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Kaum, daß der Wahlkampf noch richtig begonnen hat, bestimmte sich seine Richtung bereits anders, als die Sekretariate der großen Parteien angenommen haben: Die Erklärung der FPÖ-Führung, nur mit der Volkspartei eine politische Ehe in einer Koalition nach dem 1. März eingehen zu wollen, darf als höchst dramatischer Auftakt gewertet werden.

Daß mit der FPÖ zu rechnen sei, wußte man auch schon vor dem 16. Jänner: Die Indexwerte der FPÖ hatten rasante Zuwachsraten bei den vorangegangenen Wahlen zu verzeichnen: seit etwa Mitte 1968 kletterten sie von 100 auf 173 (Gemeinderatswahlen in der Steiermark), 152 (Landtagswahlen in Salzburg), 205 (52 Gemeinden in der Steiermark), 128 (Landtagswahlen in Wien), 133 (Landtagswählen in Vorarlberg), 167 (54 Gemeinden in Nieder Österreich). Ihr Durchschnitt erreichte den Indexwert von 133, der auch eine gewisse Bedeutung für ihr Abschneiden am 1. März erkennen lassen könnte. Diese spektakulären Erfolge resultieren aus einem ausgezeichneten Team, das die FPÖ im Parlament besitzt. Ganz ohne Frage “haben sich Peter, Zeillinger, Scrinzi und Genossen besser gehalten als die meisten Mitglieder der beiden großen Klubs. Dadurch konnten sie auch immer wieder durch die Massenmedien ins Bild kommen, wurden durch das Fernsehen weit über ihre zahlenmäßige Stärke aufgewertet.

Nun haben die Freiheitlichen eine Erklärung abgegeben, die ihnen unzufriedene ÖVP-Wähler zutreiben könnte. Diese ÖVP-Wähler könnten quasi ohne Risiko jetzt freiheitlieh wählen, weil nach dem 1. März sowieso eine „bürgerliche“ Koalition gebildet werden würde. Damit ist die Bahn frei für eine Sohwarz-Blau-Malerei der Sozialisten, die eine „Bürgerblockpropaganda“ führen werden. Damit stellt Sich aber auch dieses Gespenst eindrucksvoll neben las Gespenst der „Vereinigten Linken“. Beide nehmen sich bedrohlich genug aus, um einen Wahlkampf mit Stereotypen zu ermöglichen. Doch in der offensichtlichen Rechnung der FPÖ gibt es einige Fehler.

• Die FPÖ kann nicht so einfach über ihre Wähler disponieren; es gibt einen beträchtlichen Teil, der „lieber rot als schwarz“ wählt und die FPÖ nur in der Opposition schätzt.

• Ohne Zweifel gibt es auch freiheitliche Wähler, die sich sagen könnten, daß sie für den Fall einer schwarz-blauen Koalition nach dem 1. März gleich ÖVP wählen könnten.

• Und dann gibt es zweifellos einen Trend zum Nichtwählen in der FPÖ, weil klare Erklärungen einer Partei

bei notorisch Unzufriedenen nur weitere Unzufriedenheit mobilisieren kann. (Die Chance der NPD darf als unerheblich gewertet werden.) Immerhin: Die SPÖ darf eine Schwächung der ÖVP erhoffen und kann damit spekulieren, im Windschatten dieser Verunsicherung im „bürgerlichen“ Lager doch zu einer Mehrheit zu kommen. So bedenkt die Volkspartei die FPÖ-Erklärung auch mit Worten wie „Bärendienst“, „Blutegel“ und „Umarmung, die einen erdrückt“. Aber die Volkspartei hat sich in ihrer Gesamtheit bis heute nur ins eigene propagandistische Sperrfeuer begeben. Sie- hat bis heute den Wählern über den „klaren Wein“ der FPÖ nicht gesagt, ob sie diesen Wein zu trinken gedenkt. Anders ausgedrückt: es fehlt die Klarstellung der ÖVP, ob sie nun nach dem 1. März doch mit den Freiheitlichen koalieren wird, falls sie die absolute Mehrheit verfehlt.

Nichts kann in dieser Situation nämlich mehr schaden als Unklarheit. Es geht darum, daß die Volkspartei in dieser Stunde der Wahrheit eine klare Sprache spricht: Man kann nicht einen Trapezakt wagen, dem Publikum mitteilen, daß es auf Leben und Tod geht, und dennoch ein blaues Netz aufspannen. Dia kleine Koalition ist beim Wähler unerwünscht. Das weiß auch die Volkspartei, die sich diesen Tatbestand durch ihre Meinungsforscher längst bestätigen ließ. Oder ist es so, daß gewisse Leute, die von der Alleinregierung profitierten, alles tun, um eine schwarzblaue Achse zu schmieden? Man kann immerhin Bundeskanzler Klaus dankbar sein, daß er hinsichtlich seiner eigenen Person Klarheit geschaffen hat. Wenigstens er kann dem Wähler sagen: Mir gebt ihr nur dann wieder eine Chance, wenn ihr ÖVP wählt.

Andere Spitzenpolitiker der Volks-partei ergehen sich in sphinxischen Andeutungen und warten scheinbar da und dort auf ihre Chance. Aber in den siebziger Jahren — das kann man den Spekulanten mit dem blauen Sicherheitshetz sagen — geht es um die Bewältigung sehr tiefgreifender Reformen. Da wird die Lösung sozialpolitischer Grundfragen dringlich werden, das Gesundheitswesen wird immense Ausgaben erfordern, 'and vielleicht müssen wir in den siebziger Jahren sogar eine Souveränitätsverminderung durch Abgabe an ein übernationales Europa akzeptieren. Schließlich wartet eine Budgetumstrukturierung auf den Finanzminister — und dazu kommen alle jene Fragen, die schpn jetzt mangels Zustimmung der SPÖ nicht durchgeführt werden konnten, weil sie Verfassungsrang haben. Und letztlich: Glaubt man in der Volkspartei, daß der vielgepriesene soziale Friede auch dann auf weitere vier Jahre garantiert ist, wenn man neuerlich — nur diesmal mit Schützenhilfe von ganz rechts — eine Regierung ohne SPÖ bildet? Es mag nicht verhohlen werden, die ÖVP-Alleinregierung hat sich als sympathische und erfolgreiche Regierungsform in den sechziger Jahren erwiesen; und vieles spricht für sie (sogar dann, Wenn sie einmal mit umgekehrten - Vorzeichen erfolgen sollte). ,V-,i

Aber die .Bildung einer kleinen Koalition ist 'und bleibt eine höchst unbefriedigende Aussicht auf die siebziger Jahre. Und das dürfte auch der Wähler am 1. März zum Ausdruck bringen.

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