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Randhemerkungen zur woche

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EINMAL WAR DIE AKADEMISCHE JUGEND ein Hort extremer Gedanken und radikaler politischer Strömungen. Nichts konnte ihr scharf genug sein, wer laut schrie und heftig avom Leder zog, war allgemeinen Beifalls sicher. So war es einmal, so ist es heute nicht mehr. Gerade in den letzten Wochen waren aus Studenten- und Jung-akademikerkreisen Stimmen zu hören, die sich gut von dem an- Dissonanzen reichen Chor politischer Streitgespräche der jüngsten Vergangenheit unterschieden. Nur wenige Tage nach dem Abschluß der übermäßig erhitzten Kampagne für die Präsidentenwahlen luden die sozialistischen Studenten zum Beispiel zu einer öffentlichen Aussprache. „Christentum und Politik“ war das Thema, ein junger Sozialist und ein katholischer Student referierten. Es war dies kein Schritt in Neuland, schon in den ersten Nachkriegsjahren wurden ernsthafte Vorstöße zur Beseitigung alter Vorurteile unternommen, und in einer Reihe von Aussprachen und Aufsätzen wurden auch von sozialistischen Akademikern neue Beziehungen zu ihren christlichen Kollegen und ihrer Weltanschauung gesucht. Daß dieses Gespräch gerade nach einer Belastungsprobe, wie sie die Präsidentenwahlen Waren, wiederaufgenommen wurde, ist vorteilhaft. Der Jungakademiker von heute strebt nach einer sachlichen Einsicht. Unmißverständlich ist auch eine Resolution, die Wiener Bezirksreferenten der in den Reihen der Volkspartei stehenden Jungakademiker gefaßt haben, in der es heißt:

„Die Jugend von heute hat seit 1945 alles versucht, was in ihren Kräften steht, um die trennenden Barrikaden von 1918 bis 1934 zu beseitigen. Sie wird nicht zulassen, daß von einzelnen Personen, sei es auch aus den eigenen Reihen, ihre Bemühungen dadurch verhindert werden, daß man sich unter völliger Verkennung der Zeichen dar Zeit bemüht, die alten politischen Schützengräben aus der Zelt vor 1938 wieder auszuheben.“

IN DER WAHLSCHLACHT VOM LETZTEN SONNTAG hat „die große Unbekannte“ im politischen Kräftespiel Frankreichs, die Partei des Generals de Gaulle, einen Erfolg davongetragen, der selbst manche ihrer Anhänger überrascht haben wird. Mit 112 Mandaten, wenn nicht mehr, wird RPF an Stelle der Kommunisten die stärkste Fraktion in der neuen Kammer bilden. Damit sind jene eines Besseren belehrt, die in de Gaulle nur mehr eine historisch gewordene Figur, ohne aktuelle politische Bedeutung,' erblicken wollten. Andererseits haben sich auch jene Prognosen als unrichtig erwiesen, die, auf Grund gewisser Zersetzungserscheinungen im Lager der Kommunisten, einen Massenabfall der bisher kommunistischen Wählerschaft in sichere Aussicht gestellt hatten. Wenn auch in einzelnen Wahlkreisen, wie besonders in dem des Parteiführers Duclos, eine bemerkenswerte Schwächung des Linksradikalismus eingetreten ist, so kann doch von einem weitgehenden Umschwung nicht gesprochen werden. Noch immer haben etwas mehr als ein Viertel aller französischen Wähler für die kommunistische Liste gestimmt, und wenn die KP trotzdem über ein Drittel ihrer parlamentarischen Sitze eingebüßt hat, so ist dies zum größten Teil ein Ergebnis der neuen Wahlordnung, die sich für eine Partei, deren Charakter Wahlbündnisse ausschloß, ungünstig auswirken mußte. Freilich haben auch die kleineren Gruppen der Rechten eine größere Widerstandskraft gezeigt, als vielfach erwartet worden war; mit dem Ergebnis, daß die „Dritte Kraft“, die mit MRP verbundenen Parteien der Mitte, nicht die absolute Mehrheit errungen hat, die für die gesicherte Stabilität der Regierung erforderlich wäre. Es werden daher Bemühungen einsetzen müssen,. die Regierungskoalition nach rechts hin durch Einbeziehung der als „Vierte Kraft“ bekannten republikanischen Gruppen .zu erweitern. Ihr Gelingen setzt voraus, daß alle in Betracht kommenden Parteien das Interesse der Nation ihren Sonderinteressen voranstellen. Die Mehrheit des französischen Volkes, darüber kann kein Zweifel sein, erwartet und verlangt das von ihnen.

„ICH BIN KEIN NAZI, ICH WAR, BIN UND BLEIBE NATIONALSOZIALIST.“ — Mit diesem politischen Glaubensbekenntnis zieht Otto Remer, den Hitler einst aus Dank für die Liquidierung der Offiziersfronde am 20. Juli 1944 z%m Generalmajor beförderte, durch die deutschen Länder. Seine „Sozialistische Reichspartei“ ist heute der Sammelpunkt aller, die aus d'.n Erlebnissen des letzten Jahrzehnts nicht herausgefunden haben. Ihre Versammlungen oder, wie sie wieder genannt werden, Appelle zeigen den „alten Stil“. Bis zu dem kürzlich erfolgten Verbot sorgte die „Reichsfront“ als legitime Nachfolgerin der SA für den Saalschutz. Bei den Landtagswahlen in Niedersachsen gelang dann auch wirklich der erste Erfolg. Mit 16 Mandaten zogen die Rechtsextremisten in den Landtag ein. Wie diesen Gespensterreigen einer unseligen Vergangenheit bannen? Die Bonner Regierung hat das richtige Wort gefunden. Alt die „Sozialistische Reichspartei“ vor kurzem das Ansuchen stellte, bei ihren Zusammenkünften wieder den Badenweiler-Marsch, den Lieblingsmarsch Hitlers, spielen zu dürfen, erhielt sie den Bescheid, der Badenweiler-Marsch dürfe laut einer Anordnung des Dritten Reiches nur beim Erscheinen des Führers gespielt werden. Und dieser ist bekanntlich nicht anwesend ...

DAS ABSCHLUSSERGEBNIS DER ITALIENISCHEN GEMEINDE- UND PROV1N-ZIALWAHLEN bestätigt überzeugend die Richtigkeit der Taktik Degasperis. Fast überall dort, wo die „Formel des 18. April“ (1948), das Bündnis der demokratischen Parteien (Rechtssozialisten, Liberale und Republikaner) unter der Führung der staatstragenden Partei der „Democrazia Cristi-ana“, vollständig und sinngemäß durchgeführt wurde — das war vor allem in Nord- und Mittelitalien der Fall —, gelang es, die roten Fahnen von den Türmen der Gemeindeverwaltungen herunterzuholen, auf denen sie seit über fünf Jahren geweht hatten. Das ist ein taktischer Sieg, dessen Auswirkungen für die Zukunft nicht unterschätzt werden dürfen. Wenn sich andererseits die Hoffnungen der „Sozialistischen Einigung“, der vereinigten Sara-gat- und Romita-Sozialisten, auf einen Einbruch in das Wählerreservoir der Linksextremisten ebensowenig erfüllt haben wie die auf einen durch die Cucchi-Magnani-Krise ausgelösten • Abbröckelungsprozeß in der Kommunistischen Partei, so mag der geringe zeitliche Abstand dieser Ereignisse von den Gemeindewahlen und vor allem die zögernde und zwiespältige Haltung eines Teiles der Romita-Anhänger mit dazu beigetragen haben. Wo aber der Linksblock wirkliche Erfolge erringen konnte, wie in Bologna, wo er die relative Mehrheit mit geringem Vorsprung halten konnte, oder in Brindisi, wo er sie neu erhielt — obwohl er nur etwa ein Drittel der abgegebenen Stimmen erzielte —, dort verdankte er dies ausschließlich der Zersplitterung seiner Gegner und — besonders in Süditalien — den Monarchisten und Neofaschisten, die, außerhalb der antikommunistischen Listen-kopplung stehend, den Kommunisten diesen unerwarteten lokalen Sieg buchstäblich schenkten. Die These Degasperis, daß allein die katholische Massen- und Volkspartei der „Democrazia Cristiana“ einen wirksamen Schutz gegenüber dem Einbruch des Kommunismus darstelle und daß die kleineren Parteien nur durch das ihnen mit großzügiger und staatspolitisch lohnender Klugheit angebotene Wahlbündnis überhaupt wirksam werden konnten, hat so ihre Bestätigung erfahren. Darin liegt wohl die entscheidende Lehre dieser sonst durch die lokalen und regionalen Sonderverhältnisse schwer zu überblickenden Wahlen, eine Lehre, die auch außerhalb Italiens stärkste Beachtung verdient.

ZU DEN GEMÜTLICHEN LÄNDERN zählt gegenwärtig P er sien nicht. Terrorbanden, genährt aus den Reihen des Verbandes kommunistisch durchsetzter mohammedanischer Extremisten, „Fidayan Islam“, üben eine blutige Herrschaft: der frühere Ministerpräsident Razmara ist ermordet worden, vor kommunistischen Gewaltdrohungen mußte kürzlich tagelang der Ministerpräsident Mossadeq im Parlamentsgebäude Schutz suchen. Der Führer des „Fidayan Islam“, Syed Mojtabb Navab Safavi, rühmte sich gegenüber dem Korrespondenten des Pariser „Le Monde“: „Ich habe hunderttausende Anhänger, und wenn ich befehle, werden sofort fünftausend ihr Leben für unsere Sache hingeben. Wer immer gegen unsere Ideen ist, wird ausgelöscht werden.“ Damit aber der Interviewer ganz über das heutige Persien im Bilde sei, fuhr der Häuptling des „Fidayan Islam“ den erschrockenen Korrespondenten an: „Warum, zum Teufel, tragen Sie einen Selbstbinder? Das ist die Mode der korrupten Imperialisten. Haben Sie es so eilig, einen Strick um Ihren Hals zu haben. Der Moment dafür ist noch nicht gekommen.“

Da wandte sich der Gast mit Grausen...

Bald darauf wurde Safavi selbst verhaftet. Der fatale Moment ist für ihn bedenklich nahegekommen.

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