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Wahl zwischen Löwe und Schaf

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Am 19. Mai 1968, dem fünften Sonntag nach Ostern, wählt Italien ein neues Parlament. Man hat die Wahlen oft mit den Parlamentswahlen vom Jahre 1948 verglichen. Es bestehen gewisse Ähnlichkeiten, vor allem durch die Situation in der Tschechoslowakei. Im Jahre 1948 hatte der Prager Februarumschwung, der ja in Wirklichkeit einen bereits bestehenden Zustand auch für das westliche Ausland erkennbar machte, einen großen Einfluß auf die italienischen Wahlen.

Da man eben in Italien überzeugt war, eine Demokratie habe durch Parteiintrigen ein rasches Ende gefunden, war man erschrocken und um so mehr entschlossen, zu verhindern, daß sich etwas Ähnliches in Italien ereignen könnte. Damit die aus Kommunisten und Sozialisten bestehende „Volksfront für den Frieden“ auch keine relative Mehrheit erringen könne, stimmte ein großer Teil der Stimmbürger, der sonst mit anderen Parteien sympathisierte, für Alcide de Gasperis Christlich-Demokratische Partei, die dadurch eine absolute Mehrheit errang. Man darf annebmen, daß die Sowjetregierung sich diese Erfahrung gemerkt hat. Wenn die Zügel an der Moldau straffer gezogen werden isoliert, dann erst nach dem 19. Mai. Sonst lassen sich aber wenig Parallelen mit dem Wahlkampf vom Jahre 1948 finden. Die Sozialisten haben sich mit den Sozialdemokraten Saragats wiedervereinigt und sich dafür von den Kommunisten völlig getrennt. Nur jener Teil der Partei Nennis, der es ab- lefonte, die Regierungsverantwortung mit bürgerlichen Parteien zu teilen, bildete die Partei der Proletarischen Einheit, kurz die „Chinesen“ genannt. Die größte Gefahr für die Sozialisten sind heute nicht die Kommunisten, obwohl sie von dort scharf angegriffen werden, sondern jene linkskatholischen Kreise der Democrazia-Cristiana, die über die Sozialisten hinweg einen Schulterschluß mit den Kommunisten wagen möchten, um so den Weg zur „Kon- ziliaren Republik“ zu beschreiten.

Mit letzterem Schlagwort bezeichnet man in Italien eine Regierungsmischform aus kommunistischen und demokratischen Elementen. Außenminister Amintore Fanfanl, ein Politiker mit großem Ehrgeiz, soll ein Befürworter solcher Kombinationen sein. Und der Papst hat nichts Klares gesagt.

Die offizielle Democrazia-Cristiana führt den Wahlkampf gegen die Kommunisten, um gerade die Eskapaden ihres linken Flügels in den Augen der Wähler zu entkräften.

Sonst bestünde die Gefahr einer Abwanderung von Wählern zur Liberalen Partei. Diese konnte bei den Wahlen im Jahr 1963 ihre Stimmen fast verdoppeln, es ist aber fraglich, ob sie noch einmal einen solchen Erfolg erringen kann. Italiens bedeutendste Tageszeitung, der „Cörriere della Sera“ (Mailand), war früher immer ein liberales Blatt gewesen, jedoch seit einigen Jahren hat er sich zu einem der Regierung nahestehenden Blatt gewandelt. Die Turiner Zeitung „La Stampa“ hat immer eine linksliberale Linie gehalten und deshalb von Anfang an die Politik der Linksöffnung gestützt. Nur die ‘ Florentiner „Nazione“ ist den Liberalen treu geblieben. In Florenz hat die Liberale Partei den bisherigen Gemeinderat Graf Guelfo della Gherardesca auf ihre Liste gesetzt. Der humorvolle, geistig regsame und allgemein beliebte Spröß'ling einer großen Florentiner Familie, die schon in Dantes Göttlicher Komödie erwähnt Wird, kann gewiß etliche Stimmen sichern, aber gerade auch unter seinen Standesgenossen gibt es verschiedene ängstliche Gemüter, die meinen, man müsse doch für eine Partei der Regierungskoalition stimmen, damit die Stimme nicht verlorengehe. Korrespondenten großer Blätter mit klingenden Namen, die einstmals fest im liberalen Lager standen, wollen heute republikanisch oder sozialistisch wählen, um eben für die Regierung zu wählen. Der Wahlausgang kann also etliche Überraschungen mit sich bringen.

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