Wenn die einzigen Freunde die Berge sind

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Der Konflikt um Kirkuk

In der vergangenen Woche marschierte die irakische Armee in der nordirakischen Provinz Kirkuk ein und vertrieb dabei kurdische Peschmergas (l.).

Haifa Zangana

Wurde von Saddam Hussein verfolgt und lebt heute in London.

Separatisten haben es nicht leicht in diesen Tagen. "Irakisch-Kurdistan" wird wohl vorerst eine Illusion bleiben. Das von Kurdenpräsident Massud Barsani veranstaltete Unabhängigkeitsreferendum am 25. September brachte zwar eine überwältigende Mehrheit für die Abspaltung vom Irak, doch folgte wenige Wochen später ein schmerzhafter Gebietsverlust. Mitte Oktober mussten die kurdischen Peschmerga unter dem Druck der irakischen Armee und schiitischer Milizen die Stadt Kirkuk und umliegende Gebiete räumen. Die ölreiche Provinz, die nicht zum traditionellen Kurdengebiet zählt, war seit 2014 von den Kurden verwaltet worden. Barsani hat sich jetzt bereit erklärt, das Ergebnis des Referendums auf Eis zu legen, um mit der Zentralregierung eine politische Lösung zu suchen. Seit dem Wochenende herrscht Waffenstillstand. Barsani trat zurück.

Barsanis Fehler

Ein "kolossaler Fehler" sei das Referendum gewesen, meldete sich Bafel Talabani von der kurdischen Oppositionspartei PUK im französischen Fernsehen zu Wort. Seine Leute hatten zwar auch für die Unabhängigkeit gestimmt, doch sei es für ein Referendum viel zu früh gewesen. "Barsani hat der kurdischen Sache keinen Dienst erwiesen", sagt auch Haifa Zangana. Über 100.000 Menschen seien aus Kirkuk geflohen. Die irakische Schriftstellerin und Frauenaktivistin, die Ende Oktober anlässlich der Präsentation des Buches "Krise, Revolte und Krieg in der arabischen Welt" in Wien war, sieht Barsani politisch isoliert: "In Kurdistan heißt es: Wir haben keine Freunde außer den Bergen."

Die kurdische Autonomieregion ist ein Nebenprodukt der US-Intervention im Jahre 1990. Eine de-facto-Autonomie mit eigener Flagge und Hymne wurde von Bagdad und den Nachbarstaaten geduldet. Nach der neuerlichen Intervention unter George W. Bush 2003 wurde aus der Flugverbotszone eine autonome Provinz. Dank einer weitgehend friedlichen Entwicklung prosperiert das Gebiet ökonomisch. Die kurdischen Peschmerga haben sich außerdem im Kampf gegen den IS ausgezeichnet. Verfolgte Minderheiten wie Jesiden und Christen fanden bei den Kurden Schutz.

Bafel Talabani, Sohn des jüngst verstorbenen Barsani-Rivalen Jalal Talabani, ist überzeugt, dass das Vorhaben bessere Chancen hätte, hätte man zwei Jahre zugewartet. Die kurdische Unabhängigkeitserklärung hat auch die Regierungen im Iran und in der Türkei nervös gemacht.

Haifa Zangana hält diesen gemeinsamen Staat für eine schöne Illusion: "Seit Jahrzehnten träumt man davon." Sie glaubt aber, ein Staat, wo alle Menschen gleiche Rechte genießen, sei leichter zu verwirklichen: "Die Kurden haben zwei oder drei verschiedene Sprachen, das sind nicht einfach Dialekte. In Erbil spricht man anders als in Suleymaniya." Schon allein der irakische Kurdenstaat würde Probleme aufwerfen. Denn dort leben auch Araber und im arabischen Teil des Irak gebe es auch kurdische Gebiete. Der Versuch kurdischer Intellektueller, für das Kurdische die lateinische Schrift einzuführen, sei gescheitert.

Unterschiede gering

Und die kulturellen Unterschiede zwischen Kurden und Arabern seien gar nicht so groß, meint die Frau, deren Vater Kurde aus Kirkuk und deren Mutter Araberin aus Bagdad war. Die 66-jährige Zangana erinnert sich noch an eine Zeit, als ihre Brüder in Bagdad in staatlichen Schulen Kurdisch als Zweitsprache belegen konnten. Die Verfassung aus den 1970er-Jahren hatte schon eine Autonomieregelung und das Recht, die kurdische Sprache zu lehren, verankert. "Sie haben ihre Flagge, ihre Lieder, ihre Bräuche. Eigentlich könnten die Kurden im Irak glücklich leben bis ans Ende ihrer Tage." Großkurdistan würde neue Konflikte schaffen. Haifa Zangana erinnert an den Bürgerkrieg zwischen den kurdischen Parteien Demokratische Partei Kurdistans (KDP) und Patriotische Union Kurdistans (PUK) in den 1990er-Jahren. Dahinter stehen der Barsani-Clan und der Talabani-Clan. Und wer einmal die Grenze zwischen Irakisch-Kurdistan und der syrisch-kurdischen Autonomieregion Rojava überquert hat, weiß, dass die politischen Spannungen zwischen den jeweiligen Bevölkerungsgruppen schwerer wiegen, als die gemeinsame ethnische Herkunft.

Massud Barsani, der wie ein traditioneller patriarchaler Stammesführer regierte, wollte so wenig Kontakt wie möglich mit der PYD in Syrien, die einer sozialistischlaizistischen Ideologie anhängt und Frauen auch im Krieg volle Gleichberechtigung garantiert. Haifa Zangana sieht das kurdische Zusammenleben illusionslos: "Man spricht viel von Unabhängigkeit und Brüderlichkeit und doch führen die politischen Differenzen dazu, dass man Allianzen mit dem Feind schmiedet." So paktierte Barsani mit der Türkei, die die kurdischen Brüder in Syrien bombardiert und türkische Kurden pauschal als Terroristen abstempelt. Und während Barsani die Stadt Kirkuk verteidigen wollte, habe Talabani seine Peschmerga nach einem Deal mit der irakischen Zentralregierung kampflos abgezogen.

Haifa Zangana, die als Studentin schon mit dem Regime von Saddam Hussein in Konflikt geriet und in den 1970er-Jahren die einzige weibliche politische Gefangene war, wacht heute noch manchmal mitten in der Nacht auf: "Wenn ich im Traum darauf warte, aus meiner Zelle zum Verhör abgeholt zu werden." Der Exekution ist sie nur knapp entgangen. Sie lebt seit Jahren in London, brennt aber noch immer, wenn es um ihr Heimatland geht. Wenn sie über die US-Invasion von 2003 und die jahrelange Besetzung spricht, kann sie genauso in Rage geraten, wie über die Verbrechen Saddams. Den Versuch der USA, Demokratisierung entlang ethnischer und konfessioneller Trennlinien voranzutreiben, hält sie für fatal.

Die Kraft des Wandels

Sie hält die Frauen für die entscheidende Kraft des Wandels in der arabischen Welt. Feministische Organisationen hätten andere Ziele als jene im Westen: "Den Frauen geht es um Sicherheit und Bildung." Schon jetzt seien nicht nur im Iran, sondern auch in Saudi-Arabien mehr Frauen als Männer auf den Universitäten. Und nach und nach würden sie auch ihrer Ausbildung entsprechende Jobs bekommen.

Die Entscheidung des saudischen Prinzen Mohammed, im Zuge der Modernisierung auch das Fahrverbot für Frauen aufzuheben, sieht Zangana als notwendigen Schritt. Schon der greise König habe 30 hochqualifizierte Frauen in sein Beraterteam geholt. "Im Irak haben wir die höchste Anzahl von weiblichen Ingenieuren in der ganzen Golfregion", sagt Haifa Zangana. Seit den 1920er-Jahren hätten die Frauen sich ihre Rechte erkämpft. Auch das kleine Emirat Katar sei auf einem guten Weg: "Die gebildeten Frauen geben dort den Ton an."

Sie haben ihre Flagge, ihre Bräuche, ihre Lieder, ihre Sprache. Eigentlich könnten die Kurden im Irak glücklich leben bis ans Ende ihrer Tage. (Haifa Zangana, Autorin)

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