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Wozu Neuwahlen?

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Die zur Natur jedes politischen Prozesses im Parteienstaat gehörenden Konflikte werden in Österreich mit verschiedenen Instrumenten ausgetragen. In der zweiten Hälfte der Gesetzgebungsperiode ist jeweils eines dieser Instrumente die an die anderen Parteien gerichtete Drohung mit Neuwahlen, die schließlich auch eine Drohung gegenüber dem Staatsvolk sein kann.

Der Gesetzgeber hat die Dauer der Gesetzgebungsperiode für den Nationalrat mit vier Jahren festgelegt. Eine vorzeitige Auflösung des Nationalrates ist daher faktisch contra legem. Wie immer die politischen Konflikte im Einzelfall begründet sein mögen, nichts rechtfertigt — ausgenommen eine einmalige ordnungsbedrohende Situation — die Verkürzung der Gesetzgebungsperiode, deren Dauer auf den Arbeitsprozeß der gesetzgebenden Versammlung abgestimmt ist und der Regierung die Durchführung langfristiger Arbeitsaufgaben möglich machen soll. Darüber hinaus bedarf jedes humane Gebilde, und daher auch eine Regierung, einer längeren Anlaufzeit, um auch zu einer menschlichen Kooperation werden zu können, die allein Globalaufgaben zu lösen vermag,

Die Folgen einer Vorverlegung des Wahltermins für den Nationalrat sind bedenklich:

In erster Linie entsteht jedenfalls eine dauernde politische Unruhe. Kaum ist der eine Wahlkampf abgeklungen, wird bereits der nächste angekündigt, vorbereitet und durchgeführt. Zwischen Konstitution und Rücktritt hat die Regierung nur Atempausen — wie bei einer zeltenden, mobilen Schauspieltruppe.

• Ein Wahlkampf in Permanenz behindert jede langfristige politische Aufbauarbeit. Die Handlungen der Parteien werden überwiegend von der Rücksicht auf die Wirksamkeit der politischen Akte bei den nächsten Wahlen bestimmt. Politische Akte werden zum Schaugeschäft; nur die Etikette ist wichtig, nicht die Substanz.

• Da die psychologische Liquidation eines Wahlkampfes und die Auseinandersetzungen um die Regierungsbildung ohnedies ungefähr ein halbes Jahr in Anspruch nehmen, bleiben bei einer beispielsweise auf drei Jahre verkürzten Arbeitsperiode des Nationalrates nur zwei Jahre, die den Charakter einer Zwischenwahlkampfzeit haben. Die Politiker können und müssen daher wie in manchen Südamerikanischen Staaten nur mehr Agitatoren sein. Dementsprechend hat auch die Auswahl der Mandatare zu erfolgen.

• Die durch ständige Vor- und Nachwahlkämpfe verursachte Unruhe in der Politik setzt sich in einer allgemeinen Unruhe in der Bevölkerung fort, die keiner permanenten Autorität gewahr ist, sondern lediglich einer jeweiligen „Zwischenregierung“, deren Mitglieder stets ans Abschiednehmen denken müssen.

• Die Kosten einer Wahl und des Wahlkampfes sind absolut und relativ sehr hoch und wachsen mit der steigenden Anziehungskraft der Freizeitgesellschaft. Der Wähler wird immer „teurer“, und dies um so mehr, je zeitlich dichter die Stimmennachfrage ist. Wenn die Ziffer von 50 Millionen als Wahlkosten allein für die Parteien genannt wird, kann man eher von einer Untertreibung sprechen. Jedenfalls sind 50 Millionen ein Betrag, der ungefähr den privaten Spenden im Rahmen der Hochwasserhilfe entspricht. Falls die Gesetzgebungsperiode vorverlegt wird, bedeutet dies für Parteien und ebenso für den Fiskus vermehrte Kosten. Der Bund hat die Kosten einer Wahl, die formell auf vier Jahrestangenten umgelegt werden können, in drei Jahrestangenten zu begleichen. Bei dem Versuch einer vollen Deckung der privates und öffentliches Gut betreffenden Hochwasserschäden durch den Fiskus war man nicht gerade großzügig. Daher ist es erstaunlich, wenn neuerlich, und dies in der gegenwärtigen Budgetsituation, die Vorverlegung der Wahlen und dadurch ein unnützer Griff in den Staatssäckel verlangt wird.

• Die Wirtschaft eines Landes wird durch Wahlkämpfe nicht gefördert. Vorteile haben nur einzelne Branchen. Die Reduktion des Brutto-nationalprodukts durch ständige leistungsverkürzende politische Auseinandersetzungen und das Fehlen einer den gesellschaftlichen Bedürfnissen angemessenen Gesetzgebung lassen ebenfalls die Verkürzung der Gesetzgebungsperioden nicht vertretbar erscheinen.

Was ist die Folge von Neuwahlen? Werden die Konflikte, die den Beschluß auf vorzeitige Auflösung des Nationalrates begründet haben, dadurch gelöst? Sicherlich kann sich eine Partei durch Neuwahlen einiger unliebsamen Mandatare und Minister entledigen. Aber schließlich stehen einander die Parteien nach der Wahl statt (beispielsweise) in der Relation 81:79 in der Relation 82:78 gegenüber. An der tatsächlichen relativen Machtverteilung wird sich jedenfalls kaum viel ändern. Nicht in Österreich. Lediglich einige Minister werden ihr Amt oder eine Partei wird die in der Wahl errungene Position im Rahmen der Regierungsbildung verlieren.

Falls es zu keinem Erdrutsch in der Mandatsverteilung kommt, werden die von der bisherigen Regierung nicht gelösten Probleme auch von einer neuen Regierung kaum gelöst werden. Das Ideengebäude der einzelnen Parteien und die Eigenart jener Interessenitengruppöii, welche durch die Parteien vertreten werden, k>arm sich durch Neuwahlen kaum ändern. Argumente und Gegenargumente sind vor und nach den Neuwahlen die gleichen. Als Ausweg blieben neuerliche Neuwahlen.

Das laufende Drohen mit vorzeitigen Neuwahlen und mit der Verkürzung der Gesetzgebungsperiode ist — von Ausnahmen abgesehen — wider den Sinn der Verfassung und wider die Interessen des Landes — und auch der Parteien. Überdies müßte die Entscheidung darüber, ob die Mandate vorzeitig zurückgelegt werden sollen, den einzelnen Mandataren überlassen bleiben, die persönlich für vier Jahre und nicht für einen kürzeren Zeitraum beauftragt wurden, ihre Wähler zu vertreten (daher: Aufhebung des Klubzwanges).

Im Gegenteil: Nicht wenige schlagen sogar eine Verlängerung der vierjährigen Gesetzgebungsperiode vor, weil sie der meines Erachtens berechtigten Meinung sind, daß auf diese Weise durch Sicherung einer langen Arbeitsperiode die Erstellung und Durchführung von Long-Term-Programmen erheblich gefördert und die hysterische politische Kampfbereitschaft abgebaut werden könnte.

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