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Begegnung mit Viktor Frankl

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Ein starkes Erlebnis, das den Geist des Optimismus, der die diesjährigen Salzburger Hochschulwochen beherrschte, auf seine Weise rechtfertigte, war die Begegnung mit Viktor Frankl, dessen • Logotherapie bereits in den Vorlesungen rühmend hervorgehoben worden war. Aus seinen psychologischen und therapeutischen Einsichten heraus formulierte er das Wesen der menschlichen Person in den nachstehenden zehn konzisen Thesen, die in einem anschließenden öffentlichen Gespräch von Betschart, D e m p f und Gabriel diskutiert wurden.

1. Die Person ist Individuum (ein nicht umkehrbarer Satz): darin und insofern unteilbar, als sie unzerspaltbare (auch im Fall der Schizophrenie als Person unzerspaltbare) Einheit ist.

2. Die Person ist insummabel — Ganzheit, nicht einschmelzbar in höhere Einheiten.

3. Die Person ist je absolutes novum — jeder Geist ist ursprünglich geschaffen, der Vater in diesem Bezug Zeuge, nicht Erzeuger.

4. Die Person ist geistig — der psycho-physische Organismus ist ihr organon, Werkzeug, mit der Doppelfunktion als instrumentale und expressivum. Er hat Nutzwert, die Person in ihrer Würde Selbstwert, unabhängig von ihrer vitalen und sozialen Utilität.

Die Konsequenz: Ehrfurcht vor dem Kranken, auch dem unheilbar Kranken, dem Kranken mit dem irreparablen Werkzeug, auch vor dem unheilbar .geistig Kranken“ (Geisteskrankheit im eigentlichen Sinne gibt es nicht; immer ist es nur die Psycho-Physis, die krank ist).

Es gibt noch immer eine Psychologie ohne Geist, eine geistlose Psychologie, die nicht erkennt, daß der Mensch als geistige Person der Welt der Werte zugeordnet ist. Das Werthafte, der Kosmos, der Logos der Werte in seiner Rangordnung ist das objektive Korrelat zur subjektiven Geistigkeit der Person.

5. Die Person ist existentiell (im Gegensatz zum bloßen Faktisch-Sein). Der Mensch existiert in seinen Möglichkeiten, je nachdem er sich entscheidet.

Das Ich-Sein bedeutet mehr als bloßes Fredsein, es enthält auch das Wozu der Freiheit, das Wofür oder Wofür nicht der Entscheidung: es ist ein Verantwortlichsein.

Gerade im Gegensatz zur Psychoanalyse wird hervorgehoben, daß der Mensch kein triebterminiertes, sondern ein sinnorien-tiertes Wesen, nicht lust-, sondern wert-strebig ist.

6. Die Person ist ichhaft — nicht eshaft.

Die psychoanalytische Lehre vom Unbewußten hat den Ichbegriff erweitert: das Ich kann sehr wohl auch unbewußt sein. Das Geistige wurzelt sogar im Unbewußten seines eigenen Grundes. Jung hat das Verdienst, die Religion auch in der Unbewußt-heit aufgedeckt zu haben. Sein Irrtum ist, daß er es ins Eshafte, ins Triebhaft-Unbewußte abgebogen hat, so daß ein Jung-Schüler sagen konnte, so wie es eine triebhafte Sexualität gebe, gebe es auch eine triebhafte Religiosität.

7. Die Person konstituiert, fundiert und garantiert die geistig-seelisch-leibliche Einheit.

Die geistige Person steht in obligater Koexistenz mit der Psychophysis. Der Mensch ist gleichsam eine dreifache Kreuzungsstelle des Seins. Drei Seinsschichten sind in ihm vereinigt, aber auch in dieser Ganzheit gibt es Zäsuren, Antagonismen zwischen Psychophysis und Geist. Die Fähigkeit, die Mächtigkeit des Geistigen in der Person, der Psychophysis entgegenzutreten, die Trotzmacht des Geistes ist eine blutige Realität für jeden Arzt, ohne die in bestimmten Fällen nichts da wäre, an das er appellieren könnte.

8. Die Person ist dynamisch.

Erst wenn sich die geistige Person im Selbst gegenüberstellt, wird das Geistige real, konkret. Wir dürfen die geistige Per-. son nicht hypostasieren. Sie ist Substanz nicht im herkömmlichen, sondern in einem dynamischen Sinn.

9. Das Tier ist keine Person, weil es sich selbst nicht gegenübertreten kann. Daher hat das Tier keine Welt, sondern nur Umwelt.

Extrapoliert man von Nicht-Person auf Person, von Umwelt auf Welt, so kann man auch extrapolieren von Welt auf Uberwelt, deren Korrelat, Gott, dann als Uber-Person verstanden werden müßte. Zwischen den Seinsschichten besteht die analogia entis, und nichts, was der Mensch als Mensch erreicht hat, geht verloren in der Seinsebene Gottes, in die er erhöht worden ist.

10. Die Person ist letztlich nur verstehbar von der Transzendenz her.

Die menschliche Person ist erst zu verstehen als Ebenbild Gottes, nur zu deuten von der Uber-Person her. Und er kann nur das werden, was er sein soll, von Gnaden der Uber-Person. Die inventio hominis geschieht in der imitatio Dei.

In der Aussprache konnten wegen der zeitlichen Beschränktheit nicht alle zu klärenden Punkte zu Ende diskutiert werden. Gabriel betonte, daß die Person nicht aus eigener Setzung konstituierbar sei, und akzentuierte die Einordnung des Individuums in die über- und nebengeordneten Ganzheiten. Betschart unterschied Person im metaphysischen, ethischen und psychologischen Sinn. Die Unteilbarkeit und Unverschmelzbarkeit der Person gelte von ihr im metaphysischen Sinn, ihre Verwurzelung im Urgrund des Unbewußten gelte von ihr nicht im metaphysischen, sondern im psychologischen Sinn. D e m p f, der im übrigen eine erfreuliche Übereinstimmung in den wesentlichen Punkten feststellte, wies darauf hin, daß die Geistseele, die Geistnatur in einer nicht erfahrbaren, metaphysischen Kommunikation und Konjunktion mit der Psychophysis stehe. Frankl, der seine Thesen mit dem Satz: „Eine Person ist man, Charakter hat man und Persönlichkeit wird man in der ständigen Se1bstgesta1tung der Person“ genauer umschrieb, hatte nicht Gelegenheit, auf alle Argumente —i eine wichtige Detailfrage, der Leuko-tomie, wurde gleichfalls vom Grundsätzlichen her diskutiert — näher einzugehen.

Obwohl auch die letzten drei Thesen nicht mehr besprochen werden konnten, erwies sich doch die anregende und klärende Wirkung solcher Gespräche. Die Übereinstimmung in wesentlichen Er-' kenntnissen des personal bestimmten Seins des Menschen mit einem Arzt und

Wissenschafter, dessen Denken, unabhängig von der kirchlichen Tradition, aus der eigengesetzlichen Erforschung seines Fachgebietes herauswächst, war eines der beglückenden Ereignisse der diesjährigen Salzburger Hochschulwochen.

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