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Der Irrweg eines christlichen Denkers

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Zu dem Buch „Ehe, eine Anthropologie der Gsschlechlsgemeinschait“. Von Ernst Michel. Verlag Ernst Klett, Stuttgart. 219 Selten

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Zu dem Buch „Ehe, eine Anthropologie der Gsschlechlsgemeinschait“. Von Ernst Michel. Verlag Ernst Klett, Stuttgart. 219 Selten

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In Deutschland erregen sich immer noch die Gemüter um Michels Buch „Ehe“. Nicht umsonst! Ist es doch ein Versuch, vom christlichen Schaupunkt aus einen Beitrag zur Klärung jener Krisen zu liefern, die zutiefst unser ganzes Sein durchrütteln, und einen Ausweg aus den Nöten zu suchen, in die auch ernste Christen, ja, gerade diese, durch das Fehlschlagen einer ihrer hauptsächlichsten Lebenssphären in Ehe und Familie geraten können. Man hat gerade von katholischer Seite immer wieder versucht, das Heilmittel wie die gesamte Rettung allein von oben, von der Ubernatur zu erwarten und — hat es sich dabei zu leicht gemacht. Nur zu oft ist es nichts anderes als ein Ausweichen vor der Wirklichkeit der existentiellen Not. Es muß auch von unten her der Heilungsversuch unternommen werden, insbesondere für alle, die „nicht glauben können“, für die Verzweifelnden und für die Verzagten. Und dies ist der Versuch Michels. Es ist von vornherein zuzugestehen, daß der Versuch ein Wagnis bedeutet, daß dieses Wagnis aber 6ehr viel beitragen kann, Hoffnung und Zuversicht in 'die sich quälende Menschheit zu tragen, daß dieses Wagnis aber auch sehr gefährdet und auf völlige Abwege zu führen imstande ist. Und wir müssen feststellen, daß Michel beiden begegnet ist; daß er Klarheit, Mut und Hoffnung gebracht, aber auch den Irrweg durch eine abwegige Notlösung nicht vermieden hat.

Worin gründet die Not der heutigen Ehekrise? Michel sieht sie in der Spannung der starken Liebesanforderung und der geschwächten Liebesfähigkeit des heutigen Menschen. Diese Spannung oder besser Uberspannung der positiv zu wertenden natürlichen Beziehung zum Geschlechtlichen zur heutigen Verantwortungjschwäche bewirkt eine Ausklammerung des Geschlechtlichen aus dem zentralen Lebensbereich und in lebenswidriger Weise eine Depersonalisierung. Nun ist es aber Aufgabe und tiefster Sinn der Ehegemeinschaft, die Personalität bis zur letzten Würde und Tiefe gerade auf dem Wege des Geschlechtes zu steigern. Also: sich verlieren an den andern, ihn wecken, um sich selbst in vollendeter Weise durch das Du zu finden und zu leben. Dieses Selbstaufgeben gelingt aber gerade dem heutigen Menschen so selten, die Sichbezogenheit vereitelt Aufgabe und Vollendung des Du und Ich. Vereitelt nach Michel oft auch das Sakrament, wie es eben auch die Ehegemeinschaft vereitelt.

Diese Schau der idealen Ehe, der Gefahren ihrer Existenz und ihres Wesens gehören unstreitig zum Besten des Buches, wie auch die Darlegungen der Formen und Stadien der Liebe, der Gemeinschaft des Leibes, der leib-6eelichen Belange und der Spannung der Geschlechter.

Die Auswege aus den Krisen zu zeigen, wird freilich von unten her ungemein schwer. Oder leicht, wenn man einmal an der Unauflöslichkeit der Ehegemeinschaft rüttelt. Obwohl dem Wesen und der Bestimmung nach das frei verantwortete Ja zur Geschlechtsbegegnung eine unauflösliche Einheit wirkt, kann durch ein dezidiertes Nein diese Einheit zerrissen und aufgelöst werden, meint der Verfasser; freilich nur durch Schuld und Sünde, aber doch: wirklich zerrissen. Und nur Kirche und Gesetz hielten aufrecht, was in der Wirklichkeit nicht bestünde.

Und hier rüttelt der Verfasser bereits an den Angeln der Kitchentore. Nur, daß er es an der falschen Seite tut. Ein falscher Kirchenbegriff und die blinde Liebe zu den in der Krise Stehenden verhindern ihm die Sicht. Weil diese Kirche sich nicht über alle Gesetze hinwegsetzen kann, um den Krisen begegnen zu können, weil ihre Diener die schmerzende und bittere Pflicht der „Härte“ und Klarheit haben müssen, werden auf den letzten Seiten des Buches Notwege und Ausweichlösungen vorgeschlagen, die jeden, der sie geht, praktisch aus der Kirche hinausstellen müssen.

Der lebensgefährdende Druck der Kirche könne dem Menschen die „wahrhaft innere Freiheit“ bringen, die ihn der Herrschaft der Gesetzesmacht enthebt und ihre Verantwortung allein vor Gott tragen ließe, neben der Kirche und der Norm, denn Gott begegne dem Menschen nicht als Gesetzgeber, sondern als Heilsbringer und Lebendigmacher. Die Sünde liege in unserem Problem in der ethischen Existenzhaltung, die an die Stelle des partnerischen Zwiespracheverhältnisses eine Gesetzesbeziehung setzt oder das Gesetz in die unmittelbare Beziehung zu Gott dazwi-schenschaltet. Was der Mensch im Glauben tue, um die Notlage zu lösen, sei „gutes Werk“, weil darin Gottes Willen erschlossen ist, und auf ihn hin verantwortlich handelt, auch wenn die Rechnung in moralischer Hinsicht nicht aufgeht. Gefährliche, ja, falsche Wege, die nicht zur endgültigen Lösung, wohl aber zu noch größerer Ungesicherheit letztlich führen.

Jean Sibelius. Ein Meister und sein Werk. Von Nils Eric R i n g b o m. Musikerreihe des Verlages Otto Walter AG, Ölten. 207 Seiten.

Der biographische Teil des vorliegenden Werkes, das auf den Studien von Erik Furuhjelm und Karl Ekman fußt, beruft sich vor allem auf Gespräche des Autors mit dem Komponisten. Desgleichen können die Deutungen der Werke von Sibelius als „authentisch“ gelten. Die Vorteile einer solchen Darstellung aus nächster Nähe liegen auf der Hand: man erfährt unbekannte Details, vor allem über die Wechselwirkung von Leben, Werk und Bildungswelti über den geistigen und ästhetischen Standort des Komponisten, etwa charakterisiert durch seine leidenschaftliche Ablehnung programmatischer Erklärungsversuche seiner Werke usw. Der Nachteil: die unkritische Distanzlosigkeit zwischen Autor und Gegenstand, der dann Urteile entspringen wie die auf den letzten Seiten des Buches vorgetragenen (Sibelius als Musiker der Zukunft und ähnliches). — Die Erscheinung, von Sibelius ist, wie seine Musik, komplex und widerspruchsvoll. Der väterliche

Zweig der Familie stammt aus Finnland, war aber durch mehrere Generationen nach Sprache und Bildung schwedisch; Schwede war Sibelius auch von mütterlicher Seite. Aber Nationalfinne wurde er durch leidenschaftliches Sicheinleben in die Kultur, vor allem in die Sagenwelt des finnischen Volkes. Die wichtigsten Inspirationsquellen und Komponenten seiner Kunst sind: Landschaft, Mythologie und Geschichte des finnischen Volkes. Seit dem Streichquartett „Voces intimae“ und der IV. Symphonie tritt der subjektive (und zugleich universelle) Charakter des Komponisten stärker hervor. — Vielfältig und fruchtbar waren die Beziehungen des Komponisten zu Wien (S. 153 ff. 6ein Verhältnis zu Bruckner, die — abgelehnte — Berufung nach Wien als Kompositionslehrer usw). Seit fast fünfzig Jahren wohnt der Komponist in seinem Heim Ainola in der Nähe der Gemeinde Järvenpää in ländlicher Zurückgezogenheit. Das zuletzt veröffentlichte Opus trägt die Jahreszahl 1929. über die Produktion der letzten zwanzig Jahre, die sehr umfangreich sein soll, wissen auch die nächsten Freunde des Komponisten nichts ... Erst der Tod de6 Komponisten wird das Siegel lösen und ein Urteil über das Gesamtwerk ei möglichen. Eindrucksvolle Bilder und Notenbeispiele ergänzen die Darstellung de6 Meisters, seiner Umwelt und seines Werkes.

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