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Ein Kampf um Wien

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Auf dem Rieder Berg herrscht noch tiefster Friede. Dasselbe gilt, wenn man sich in diesen Tagen vom Süden der Bundeshauptstadt nähert, von Baden und Vöslau. Am Stadtrand aber ändert sich das Bild. Dort wartet der zwischen zwei roten Zahnrädern eingeklemmte’ Mann der Volkspartei. Bienenwaben stehen für sozialistischen Bauwillen. Rote und schwarze Hände greifen gierig nach dem Rathaus — die im schönsten Kornblumenblau glänzende FPOe-Firmen- marke dieses Plakats verrät, welche dritte Hand nicht ungern mit von der Partie sein möchte. Durch ein „Einheitsplakat“ für „Frieden und Freundschaft“, das bei sämtlichen Wahlgängen der nächsten zehn Jahre in Verwendung gestellt werden kann, machen die Kommunisten aufmerksam, daß sie auch noch da sind, wenn die Wiener am 25. Oktober einen neuen Gemeinderat beziehungsweise einen neuen Landtag wählen.

Die Szene der Plakatwände belebt sich täglich neu. Daraus aber auf einen hitzigen Wiener Wahlkampf zu schließen, wäre denn doch verfehlt. Davon wissen die Politiker aller Parteien, die sich jetzt aufmachen, um in den Hinterzimmern der Vorstadtwirtshäuser ihre traditionellen Wahlversammlungen abzuhalten, ein Lied zu singen. Die Zeiten, wo an diesen Stätten —es sind oft noch dieselben Lokale, in denen Lueger sich mit Viktor Adler maß oder später Kunschak Seitz gegenüberstand — Meinung auf Meinung prallte, ein bis auf den letzten Platz gefüllter Saal von den Lippen der Redner erwartungsvoll jene Worte ablas, die unartikuliert in der eigenen Seele zu Hause waren, sind ferne Vergangenheit. Das Geknatter der Mopedmotoren und die Töne aus dem Kofferradio vor den Fenstern der schütter von den Treuesten der Treuen des Parteivolkes gefüllten Säle lassen solche Reminiszenzen nicht aufkommen. Da ist kein Volk, das zur Freiheit, zur Sonne geführt werden will, da sind keine Bürger, die sich einer entscheidenden Wende der Geschichte ihrer Vaterstadt gegenübergestellt sehen.

Beinahe ist alles so wie einst im Mai — im Mai dieses Jahres, als das gesamte Bundesvolk sich anschickte, zu den Urnen zu gehen. In den Wahlprogrammen der beiden großen Parteien — schade, daß sie so wenig gelesen werden: das von einem jungen Akademikerteam erarbeitete der Volkspartei, birgt neben allgemeinen Formulierungen auch eine Reihe beachtenswerter Gedanken — liegt der Unterschied, oberflächlich betrachtet, oft nur in der verschiedenen Akzentsetzung. Wer sich aber zum Studium der Programme keine Zeit nimmt — und das dürften ungefähr 90 Prozent der Wähler sein —, der blickt lieber auf die Plakatwand, auf der ein sonniges junges Paar einer von der Volkspartei stärker mitgestalteten Zukunft entgegenlächelt, während daneben eine junge Familie sich für sich und ihre Kindeskinder eine glückliche Zukunft von der SPOe verspricht. Die Fürsprecher einer totalen „Entideologisierung“ unseres politischen Lebens können ihre Freude haben.

Dennoch: die Wiener Wahlen wollen ernst genommen werden. Wenn auch keine Veränderung der politischen Großwetterlage am Alpenostrand in Sicht ist, so ist es dennoch nicht gleichgültig, ob es der mit Abstand bei den letzten Wahlen führenden Sozialistischen Partei gelingt, ihren Mandatsstand von 59 zu halten oder gar noch zu verbessern. Die „Gleichgewichtsparole", die im Mai so erfolgreich von sozialistischer Seite angewendet wurde, dürfte man diesmal nicht von dieser Seite hören. Um so erstaunlicher ist, daß die Volkspartei, für die viel auf dem Spiel steht, wenn es zu einer auch nur geringen Reduzierung ihrer 35 Mandate käme, nicht viel stärker mit diesem Wort agitiert. Die FPOe darf sich auf Grund des neuen Wahlgesetzes Hoffnungen auf den Erwerb einiger Mandate machen, während sich die KPOe rüstet, um von ihren 6 Plätzen in der Wiener Gemeindestube möglichst einige zu retten.

Ein Kampf um Wien? Vielleicht 1959 ein zu großes Wort. Aber immerhin ein wichtiges Gefecht, von dessen Ausgang manche Weichenstellung der österreichischen Innenpolitik beeinflußt werden wird.

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