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Vor und nach 1933

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VOR DEUTSCHLAND WIRD GEWARNT. 17 exemplarische Lebensläufe. Von Hans Daiber. Sigbert-Mohn-Verlar, Gütersloh 197, 222 Selten, DM 18.80.

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VOR DEUTSCHLAND WIRD GEWARNT. 17 exemplarische Lebensläufe. Von Hans Daiber. Sigbert-Mohn-Verlar, Gütersloh 197, 222 Selten, DM 18.80.

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Im Mai 1921 lud der Schriftsteller Heinar Schilling im Namen des „Dresdner-Verlages von 1917“ eine Reihe deutscher Autoren ein, für eine geplante Anthologie Selbstdarstellungen und Mitteilungen über ihre künstlerischen Absichten zu verfassen. Es waren vor allem Vertreter des sogenannten Expressionismus, die „Avantgarde“ von damals. Diese Anthologie erschien zwar nie, aber von den eingelaufenen Texten blieben 17 erhalten und liegen heute im Schiller-Nationalmuseum zu Marbach.

Hans Daiber hat nun diese Texte redigiert und kommentiert und durch Berichte und Selbstzeugnisse, die das Schicksal derselben Autoren nach der politischen Wende von 1933 beleuchten, ergänzt. So ergeben sich Kurzbiographien, die uns erkennen lassen, wie die politische Realität in das Leben der Dichter eingegriffen und auf ihr Schaffen gewirkt hat. Es handelt sich zum Teil um Autoren, die in der bekannten Sammlung „Menschheitsdämmerung; Symphonie jüngster Dichtung“, von Kurt Pinthus 1920 herausgegeben, vertreten sind: Becher, Benn, Däubler, Hasenclever, Heynicke, Wolfenstein und Zech. Dazu kommen noch zehn andere, von denen hier nur Blei, Kellermann, Klabund, Sieburg, Sternheim und Toller genannt seien. „Eine trostlose Egalität prägt die deutschen Lebensläufe der letzten 50 Jahre“, schreibt Hans Daiber. „Die politischen Ereignisse sind ihnen wie ein Raster aufgepreßt.“ Von den 17 Autoren, deren „exemplarische“ Biographien in dem Buch zu lesen sind, begingen vier Selbstmord, neun emigrierten. Einige, die den neuen Machthabern gefügig waren, büßten dies mit dem Verlust der künstlerischen Eigenständigkeit. Der zukunftsgläubige Titel „Menschheitsdämmerung“, den Pinthus seiner Anthologie einst gegeben hatte, beruhte auf einer Täuschung. „Es war eine Abenddämmerung, was sie damals für Morgengrauen gehalten haben. Nur mit dem Grauen hatte es seine Richtigkeit“, heißt es im Nachwort.

Die Beispiele ließen sich über den gegebenen Rahmen hinaus natürlich vermehren, vielleicht um einige noch charakteristischere Fälle, in denen die Tragik des Dichters im totalitären Staat zutage tritt. Das Buch ist vor allem deshalb interessant und lesenswert, weil es Selbstzeugnisse von bekannten und weniger bekannten Autoren zum erstenmal veröffentlicht sowie einzelne biographische Daten bietet, die man anderswo nicht findet. Literarische Wertungen gibt Daiber nicht, sie lagen auch nicht in seiner Absicht. Er publizierte diese Kurzbiographien, nach seinen eigenen Worten, „nicht nur um Vergangenes zu beklagen, sondern auch um Künftiges zu bedenken“.

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