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Wer hat die Verbannten verbannt? S25

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DIE VERBANNTEN. Eine österreichische Anthologie, herausgegeben von Milo D o r. Stiasny-Verlag, Graz, 1962. 248 Seiten, zahlreiche Bildtafeln. Preis 135 S.

Dieser stattliche Band hat sich zur Aufgabe gestellt, Ausschnitte aus der künstlerischen Arbeit jener Österreicher zu vereinen, die unmittelbar nach Kriegsende zum erstenmal einem breiteren Publikum bekannt wurden, von Menschen also, deren meiste heute das 40. Lebensjahr überschritten haben. Wer sich ohne Kennerschaft in den Inhalt vertieft, tut gut daran, sich in die richtungweisenden Leitaufsätze zu vertiefen, die Wolfgang Kraus über den Roman seit 1945, Helmut Schwarz über die Gründerjahre des Wiener Kellertheaters, Karl Bednarik und Alfred Schmeller über bildende Kunst, Richard Hlatky über die Situation des Films, also über die künstlerischen Fragen, und Kurt Skalnik über die politischen Aspekte dieser Generation verfaßten.

Geht man hernach, vom Herausgeber darauf hingewiesen, daß diese infolge des Krieges zahlenmäßig dünnsten Jahrgänge „mehr hellsichtige Talente hervorbrachten als irgendeine andere österreichische Generation dieses Jahrhunderts“, zur Lektüre der Texte der bekanntesten Autoren über, gerät man darüber ins Staunen, daß diese Namen zumeist immer noch nicht jene überregionale Geltung besitzen, die ihnen kraft ihrer Leistung zukäme, außer, es gelang ihnen, über ausländische Verlage nachhaltiges Echo zu gewinnen. Ein Paul Celan, eine Christine Lavant, ein Karl Bednarik, ein Erich Fried, ein Hans Lebert, eine Christine Busta, eine Ilse Aichinger, eine Ingeborg Bachmann, um nur etliche und diese durchaus willkürlich zu nennen, sind schließlich Persönlichkeiten, dazu angetan, das Profil der Gegenwart in Österreich mit Nachdruck zu formen.

Daß die „Verbannten“ sich, zumeist mit Recht, um diese Wirkung geprellt finden, liegt wohl daran, daß ihre geistigen Entwicklungslinien durchaus nicht synchron mit jenen des breiten Publikums verliefen, verlaufen durften, sondern, häufig in unbewußter oder bewußter Parallelität mit den Strebungen ihrer Generationsgenossen auf internationalem Feld, eigene Wege, der Allgemeinheit entgegengesetzte Tendenzen beschritten. Dies aber ist in Perioden geistiger Umbrüche allemal das Schicksal der Künstler, das sie wohl verzeichnen, doch nicht beklagen dürfen. Ihre Verbannung, ihr geistiges Exil haben sie sich nicht nur selbst zuzuschreiben, sie .haben es auch selbst gewollt, wissend, daß jedes Opportunitätsbemüfren ihr Werk vom Kern her bedrohen müßte. Je reiner sie sich selbst treu blieben, um so ferner umkreisen sie dieses sonderbare Österreich und seinen Alltag in der Jahrhundertmitte. Und je ferner sie dem aktuellen Getriebe und Geschiebe ihre Bahnen ziehen, um so größer sind ihre Chancen, überzeitliche Abläufe, Kausalketten, Handlungszwänge, Selbstbefreiungen zu emanieren.

Daß diese Generation trotzdem nicht in Elfenbeintürmen hauste, sondern, wie der Publizist Skalnik sagt, ihre zweite Feuerprobe im harten, ermüdenden Alltag bestanden hat, daß ferner, wie Dr. Wolfgang Kraus formuliert, die Schreibtischladen der in Österreich und Deutschland verbliebenen Autoren 1945 keineswegs reich mit verborgenen und verboten gewesenen Werken gefüllt, sondern praktisch leer waren, daß schließlich, wie Karl Bednarik festhält, „der Schöpfungsakt des Menschen“ es ist, „der das einzige Konkrete schafft, dessen der Mensch fähig ist“, legt Grundstrukturen der geistigen Bewältigungsarbeit frei, die die Künstler stellvertretend für jene leisteten, deren Münder stumm blieben, deren Erlebnisfeld mit den Mühen der irdischen Werkeltage ihre Begrenzung erfahren.

Ist auch unter den Autoren und bildenden Künstlern, die der Band vorstellt (etliche Lücken gälte es bei einer Neuauflage zu füllen), weder ein Ezra Pound, Shakespeare, Stendhal oder Picasso zu finden, so ist doch die konkrete geistige Botschaft, die wir daraus erfahren, auch wo sie in sich heterogen oder in Paradoxa zerspalten erscheint, genau das, was unserer Zeit entspricht, als Gewicht und Gegengewicht entspricht. So gesehen mag der Imperativ, uns selbst im Bild unserer Künstler besser kennenzulernen als bisher, nicht vermessen klingen.

Daß es anläßlich der Herausgabe der Anthologie zu mancherlei Tauziehen zwischen dem verantwortlich zeichnenden Herausgeber, dem Verlag und weiteren Stellen kam, die sich für befugt zu Eingriffen in geistige Prozesse halten, ist keine Legende und bleibe deswegen nicht unerwähnt. Denn an derlei Vorgängen, sei ihre praktische Folge erheblich oder gleich Null, läßt sich ablesen, wie ernst geistiges Geschehen doch wieder genommen wird, welche Brisanz man ihm da und dort zutraut.

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