Offenbach - <strong>Der Wegbereiter</strong><br />
Mit seinem umfassenden musikalischen Werk und besonders als Repräsentant der Opéra bouffe ebnete Offenbach den Weg für die Entstehung der Wiener Operette sowie des amerikanischen Musicals. - © Getty Images / De Agostini Picture Library

200 Jahre Jacques Offenbach

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Geboren im Juni 1819 als Jakob Offenbach, entwickelte sich dieser deutsche Cellovirtuose im Laufe seines Lebens zum europäischen Komponisten schlechthin. Als Jacques Offenbach prägte er die Musik seiner Zeit nachhaltig.

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Geboren im Juni 1819 als Jakob Offenbach, entwickelte sich dieser deutsche Cellovirtuose im Laufe seines Lebens zum europäischen Komponisten schlechthin. Als Jacques Offenbach prägte er die Musik seiner Zeit nachhaltig.

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Am Ende seines Lebens schrieb er an einer großen vieraktigen Oper, „Les Contes d’Hofmann“. Sie blieb unvollendet, eröffnet bis heute ein Spielfeld für Spekulationen, welche endgültige Gestalt Jacques Offenbach diesem gleichermaßen mit französischer Spieloper, deutscher romantischer Oper und italienischer Liebesoper kokettierenden Werk verpasst hätte. Unbeantwortet bleiben muss auch die Frage, was der Komponist zu den unterschiedlichen Versuchen, diese Opéra fantastique – nach Bizets „Carmen“ die meist gespielte französische Oper – zu vollenden, gesagt hätte.

„Sie sind Persiflagen der Antike, des Mittelalters, der Gegenwart, aber eigentlich immer der Gegenwart und im Gegensatz zur Wiener Operette, die erst ein Jahrhundert später ihre Herrschaft antrat, gänzlich unkitschig, amoralisch, unsentimental, ohne alle kleinbürgerliche Melodramatik, vielmehr von einer rasanten Skepsis und exhibitionistischen Sensualität, ja geradezu nihilistisch“, würdigt Egon Friedell in seiner „Kulturgeschichte der Neuzeit“ die Bedeutung des Schaffens des in Köln am 20. Juni 1819 als Jakob Offenbach Geborenen, am 5. Oktober 1880 in Paris als Jacques Offenbach Verstorbenen, in dessen Bio­grafie sich mehrfach Europa widerspielt.

Europäer und Weltbürger

Offenbach war der Sohn eines jüdischen Kantors, verbrachte seine Jugend im Rheinland, erhielt seine musikalische Ausbildung in Frankreich, das später zum Mittelpunkt seines Lebens wurde, konvertierte zum Katholizismus und heiratete eine Frau mit spanischen Wurzeln und englischer Verwandtschaft – ihr Vater, Michael George Mitchell, war Direktor des renommierten Londoner St. James’s Theatre und Konzertagent der Königin Victoria. Das Paar hatte fünf ­Kinder. Diese Biografie prädestinierte Offenbach, der seine Karriere als reisender Cellovirtuose begann, später als Kapellmeister und – mit unterschiedlichem Erfolg – in Paris als Theaterimpresario wirkte, zum europäischen Komponisten schlechthin. Und diesem Anspruch wurde er auch gerecht mit seinem über 140 Bühnenwerke umfassenden Œuvre, zu dem auch eine Vielzahl von Vokalmusik, Balletten und Instrumentalmusik zählt. Denn mit seiner Opéra bouffe wurde er zum Wegbereiter der Wiener Operette, der spanischen Zarzuela, der englischen Savoy Opera, und steht ebenso an der Wiege des amerikanischen ­Musicals.

Anlässlich der Weltausstellung 1876 in Philadelphia bereiste Offenbach, der immer wieder in europäischen Hauptstädten unterwegs war, die Vereinig­ten Staaten, wo er triumphal empfangen wurde. Bereits seit zwei Jahrzehnten war er dort – wie übrigens auch in Süd­amerika – durch seine Werke bekannt. Auch in Japan war er längst ein Begriff durch „Barbe-Blue“, eines der ers­ten hier gezeigten europäischen Musiktheater. Ebenso in Afrika: Zur Eröffnung des Suez-Kanals wurde nicht – wie gerne kolportiert – Verdis „­Aida“ aufgeführt, sondern „La Belle Hélène“, eines der größten Erfolgsstücke dieses zum Franzosen gewordenen Rheinländers.

Einen Geniestreich nannte niemand Geringerer als Friedrich Nietzsche dieses Werk. Kannte der aus Wien gebürtige Essayist und Dramaturg Arthur Kahane, ein enger Mitarbeiter und Freund Max Reinhardts, diese Briefstelle aus 1888? Jedenfalls stellt er einen pointierten Zusammenhang zwischen beiden her: „Offenbach ist ein Wunschtraum Nietzsches, Offenbach ist gegeigter und gelachter Nietzsche, Offenbach oder: die Geburt der Frechheit aus dem Geiste der Musik.“ Ein Aspekt, den auch der deutsche Musikpublizist Helmut Schmidt-Garre in seiner Offenbach-Charakteristik aufgreift, wenn er konstatiert: „Offenbach gilt als das große Genie des Zeittheaters. Zeittheater: das war damals, zwischen 1860 und 1870, Paris und das zweite Kaiserreich im Zerrspiegel; Gesellschaftskarikatur und Kultursatire, Verhöhnung einer überreifen, das Geld und den Genuss anbetenden Epoche. Mit den aufreizenden Rhythmen des Cancan und den grellen Disharmonien eines dämonischen Gelächters fing Offenbach den wilden Taumel und den tollen Rausch einer sich selbst betäubenden Gesellschaft ein.“

Die Sujets, die Offenbach für sein ­Musiktheater auswählt, haben, liest man sie mit den Augen der Gegenwart, nichts von ­ihrer Aktualität verloren.

Selbst die großen intellektuellen Landsleute seiner Zeit, wie Émile Zola, Gustave Flaubert oder Théophile Gautier, hatten ihre Schwierigkeit mit diesem die Zustände seiner Zeit brillant geißelnden, unbequemen Komponisten. Es bedurfte offensichtlich des Plädoyers großer Theatermacher und Literaten außerhalb Frankreichs, wie eines Max Reinhardt, vor allem aber von Karl Kraus, um ihn in ein entsprechendes Licht zu rücken und ihm den gebührenden Platz einzuräumen. „Eine Orgie lebendigster Narrheit aus einer ganz gegenständlichen Handlung heraus“, rühmte Kraus Offenbachs „Vie parisienne“. Er stellte sie mit dem ihm eigenen Sarkasmus dem „Operettengehudel“, „Wiener Knödelgeschmack“ oder „Mehlspeisengeschmack“ der Wiener Operette gegenüber. „An der Regellosigkeit, mit der sich die Ereignisse der Operette vollziehen, nimmt nur ein verrationalisiertes Publikum Anstoß. Der Gedanke der Operette ist Rausch, aus dem Gedanken geboren wurden; die Nüchternheit geht leer aus“, bricht Kraus auch eine grundsätzliche Lanze für dieses von Offenbach neu kreierte Genre.

Einfluss auf Wien

Auch Wien spielte, wenigstens zeitweise, eine wichtige Rolle in Offenbachs Biografie. In den frühen 1860er-Jahren komponierte er für den dortigen Sängerbund den Chor „Der Trommler“, für den Journalistenverein Concordia schrieb er den Walzer „Abendblätter“, dem Johann Strauß mit seinem „Morgenblätter“-Walzer antwortete. Die Hofoper brachte seine romantische Oper „Die Rheinnixen“ zur Uraufführung. Damit stach er Wagner aus. Das andere Werk, das zur Auswahl stand, war „Tristan und Isolde“. Aus heutiger Sicht nicht ganz nachvollziehbar. Aber setzt nicht auch Ernst Krenek in seiner Selbstbiografie „Im Atem der Zeit“ die Bedeutung der Musikdramatiker Wagner und Offenbach, so unterschiedlichen Ideen sie verpflichtet sind, gleich?

Offenbach, das große Genie eines Zeitalters? Das stimmt und ist doch zu kurz gegriffen. Denn Gesellschaftskritik, noch dazu auf solch einem Niveau, hat stets ihre Berechtigung. Die Sujets, die Offenbach für sein Musiktheater auswählt, haben, liest man sie mit den Augen der Gegenwart, nichts von ihrer Aktualität verloren. Man braucht sie gar nicht verfremden, selbst wenn Regisseure heute mehr denn je ihre Ambition darauf verwenden. Man muss nur gut zuhören: Offenbach ist ein jeweils genialischer musikalischer Illustrator der einzelnen Aktionen und der spezifischen Physiognomie seiner gerne in das Gewand von Komödianten gesteckten kritischen Protagonisten. Ein zeitkritischer musikalischer Psychoanalytiker, wenn man so will.

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