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Die „geänderte Frontstellung“

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Fast gleichzeitig, aber natürlich unabhängig voneinander, erschienen im Jahr 1972 das „Salzburger Grundsatzprogramm der österreichischen Volkspartei“ und ein Buch des Wiener Kardinals Dr. Franz König, in dem dieser „die Forderung Gottes an die gläubigen Menschen dieser Zeit“, somit die Forderung eines Christen an „ein Geist-volles Parteiprogramm“ festhält. Es ist verführerisch, dieses Wort des Kardinals, welches den Autoren des Grundsatzprogramms ja nicht vorlag, mit dem „Salzburger Grundsatzprogramm“ zu vergleichen, um festzustellen, inwieweit die einzelnen Grundsätze der ÖVP den Forderungen des Kardinals entsprechen, sie vorwegnehmen oder ignorieren.

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Fast gleichzeitig, aber natürlich unabhängig voneinander, erschienen im Jahr 1972 das „Salzburger Grundsatzprogramm der österreichischen Volkspartei“ und ein Buch des Wiener Kardinals Dr. Franz König, in dem dieser „die Forderung Gottes an die gläubigen Menschen dieser Zeit“, somit die Forderung eines Christen an „ein Geist-volles Parteiprogramm“ festhält. Es ist verführerisch, dieses Wort des Kardinals, welches den Autoren des Grundsatzprogramms ja nicht vorlag, mit dem „Salzburger Grundsatzprogramm“ zu vergleichen, um festzustellen, inwieweit die einzelnen Grundsätze der ÖVP den Forderungen des Kardinals entsprechen, sie vorwegnehmen oder ignorieren.

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Das Neue, Auffallende an den Aiuflfassuingen des Kardinals ist, daß nicht, wie manche erwarten könnten, Punkte einer kirchlichen oder konfessionellen Politik dabei zui Sprache kommen, etwa die klassischen Konkondatsmaterien konfessionelle Schule, Ehe, Vermögenisfragen, auch nicht die eigenen Interessen, welche die Kirche und ihre Organisationen als pressure groupis innerhalb der pluralistischen Demokratie zu vertreten haben; es ist nicht vom Verhältnis Staat und Kirche oder von Parteien und Kirch« die Rede, oder von den historischen Prinzipien und Maximen katholischer SoziaMehre, auch nicht von der neuen Reibungsflächen zwischen Staat umd Kirche, etwa im Strafrecht, sondern von jenen Punkten welche Christen und Nicht-Christer in gemeinsamer Sorge um dies« Welt verbindet, von jenen Forderungen, ohne die ein Programm! nich.1 „Geist-voll“, „Geist-erfüllt“, ein« Partei „Geist-los“ wäre, kurz Forderungen, ohne deren Erfüllung eine „Geist-lose“ Welt nicht Überleber könnte.

Es ist jene „geänderte Frontstellung“, von der Alfred Maleta bereib 1960 schreibt, wenn er feststellt, da£ ihr „die Kirche in der Venkündigiunj

absalutier Werte und ihrer Rangord-raung heute Rechnung trägt“.

Ohne diesen Geist blieben nacl Ansicht des Kardinals „die Parteier blutarm“, der gläubige Mensch fände „den Geist Gottes“ nicht, be ihrer Erfüllung stünden aber „tausend Millionen Christen in der ganzen Welt bereit, sich für den großer Einsatz mobilisieren zu lassen“.

Diese fünf Forderungen seien kur zusammenfassend genannt:

• Die Vermittlung von Werten ir der Schulerziehung.

• Die Abschaffung des Raubbaue; am Menschen in der arbeitsteiliger Gesellschaft.

• Soziale Gerechtigkeit für alle weltweit.

• Die Überwindung der Konsumver götzung durch unbedingt gültig Werte.

• Der Mut zum Urteil wider dei Ungeübt der Zeit.

Äquidistanz?

Was kann nun ausgesagt werden wenn man die drei Parteiprogramm der im österreichischen Pariamen vertretenen Parteien an den Forde rungen des Kardinals mißt? .

• Am schlechtesten schneidet dab« zweifellos die Parteigrammati] der Freiheitlichen ab. Von den für

Forderungen werden drei nicht im mindesten erfüllt, nämlich die Frage des Raubbaus unserer Industriege-sellschaft am Menschen, die Frage der weltweiten sozialen Gerechtigkeit und idlie Frage der Überwindung des Konsumdenkens. Zum Problem der Wertorientierung der Schulen wind nur sehr kurz die Ausbildung das Charakters und die Vermittlung der Werte der Freiheit und der Men-schenwünde ausgeführt, nicht aber auf die mit der Vermittlung von Werten und damit von verschiedenen ideologischen Bezugssystemen in der Schule entstehenden Probleme eingegangen Als Un-Geist wird von der freiheitlichen Prognaimmatik ausschließlich daa Problem der Entwicklung von mehr Gemeinschaft, also die klassische liberale Fragestellung des vorigen Jahrhunderts, Auseinandersetzung zwischen Individuum und Gemeinschaft, begriffen.

• Im SPÖ-Prognamm ist eine einzige Forderung des Kardinals sehr ausführlich und systematisch behandelt, nämlich jene nach weltweiter sozialer Gerechtigkeit, aber überhaupt nicht die Frage des Raubbaus am Menschen. Hier wird ausschließlich die Ausbeutungsproblamatik, welche als eine Frage dag Besitzes von Produktionsmitteln gesehen wind, beihandelt. Die Forderung nach Uberwindung des Konsumdenkens wird im Gagenteil durch die Forderung nach Hebung des Lebensstandards ersetzt. Den Un-Geist der Zeit sieht das sozialistische Programm in seiner Kapitalismus-Kritik und in seiner Kritik aller antidemokrati-schen und diktatorischen Entwicklungen.

• Als einziges Parteiprogramm

geht das „Saflzfounger Programm“ auf alle fünf Forderungen des Kardinals ein. Es fordert die Bildung des Menschen nach einem begründeten Weltbild und Wertsystem, den Abbau dei

Überforderung des Menschen in einer humanen Lebenswelt, die nach dem Grundsatz der Lebensqualität gestaltet ist, und eine weltweite soziale Gerechtigkeit. Diese wird in zahlreichen Querverbindungen mit den österreichischen politischen Prioritäten behandelt, ebenso die Notwendigkeit der Überwindung der vom Konsumdenken und einer ausschließlich durch materielle quantitative Entwicklung gekennzeichneten Gesellschaft. Sie sieht schließlich die Zukunft nicht in einer monokausalen Weise gefahndet, wie es der Zug zu mehr Kollektivismus im FPÖ-Parteiprogramm und die Kapitalismus-Kritik im SPÖ-Programm darstellen. Für die ÖVP ist die Gefährdung eine umfassende, jedes einzelne Grundprinzip kann in verschiedener, oft gegensätzlicher und widersprüchlicher Weise jederzeit eine Verwirklichung des „Geist-erfü'llten Programms“ in Frage stellen.

Welche Konsequenz ergibt sich sich nun aus der Tatsache, daß die wichtigsten Parteiideologien in unserem Lande in sehr verschiedener Abstufung das enthalten, was nach den Worten des Kardinals dazu beiträgt, „den Geist Gottes in dieser

Welt wirksam werden“ zu lassen? Es ist die Bestätigung der etwa seit dem II. Vatikanischen Konzil in Mitteleuropa geprägten Formel, daß es keine Äquidistanz der Kirche zu den politischen Parteien geben kann. So stellt bereits das „Mariazeller Manifest“ des österreichischen Katholikentages 1952 fest: „Das bedeutet nicht, daß die Kirche immer und unter allen .Umständen zu den konkurrierenden politischen Richtungen ein gleich nahes Verhältnis haben muß (Äquidistanz). Das Verhältnis zwischen Kirche und Parteien bleibt vielmehr variabel: Es ist abhängig vom Grad aer programmatischen und praktischen Gemeinsamkeit im Erstreben humaner Grundwerte und vom Maß der Verwirklichung des kirchlichen Freiheitsraumes. In dem Maß, in dem die einzelnen Parteien mit den von der Kirche für grundlegend gehaltenen Fragen übereinstimmen oder nicht, ergibt sich von selbst eine differenzierte Nähe oder Feme zu den Parteien. Auf diese Weise haben es -die politischen Parteien in unserem Land weitgehend selbst in der Hand, ihr Verhältnis zur Kirche zu bestimmen. Die Formel „Keine Äquidistanz“ ist auch in den Stellungnahmen des Kardinals zu den österreichischen Parteien eine Kemfonmel. Ihr Schickaal war es aber, der Negation entkleidet zu wenden und in ihr Gegenteil, in eine „Äquidistanz“ umgeformt zu werden. „Ich habe den Ausdruck Äquidistanz nie gebraucht, ich glaube, daß es sich hier eher um eine Prägung der Journalisten handelt.“ (Kardinal König, „Freiheit“, Juli 1975.)

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