6999175-1987_19_10.jpg
Digital In Arbeit

Die Mutter

Werbung
Werbung
Werbung

Während sich im Muttertag eine profane Form des Mutterkuites kommerzialisiert, scheint sich ihr geistliches Gegenstück, die Marienverehrung im Mai, zu verflüchtigen. Angesichts mancher Übertreibungen früherer Zeiten und wegen seines ökumenischen Aspektes mag das auch gute Seiten haben. Doch scheint damit auch ein wertvolles Gut katholischer Tradition verlorenzugehen.

Bei beiden Phänomenen — beim recht jungen Muttertag und beim sehr alten Marienmonat — lohnt sich eine religionspsychologische Überlegung. Man wird kaum fehlgehen, wenn man am alljährlichen Mutfertagsritual auch die Wiedergutmachungszeremonie erkennt, mit der sich sowohl individuelles als auch kollektives Schuldgefühl erleichtern. Die Entlastungsfunktion eines Mutterehrungsrituals angesichts einer frauen- und mütterfeindlichen Wirklichkeit läßt sich leicht einsehen.

Heikler wird es schon bei der so Viel älteren Marien-verehrung. Handelt es sich dabei bloß um die Kompensation eines allzu hart-männlichen Gottesbildes? Soll dem streng-strafenden Va-terįott eine mild-tröstende Gottesmutter als Ausgleich gegenüberstehen ?

Es ist wohl zuwenig, wenn man die Marientradition der katholischen Kirche nur als Seelenbalance in einer patriarchalisch geprägten Religion erklärt. Man muß zu den ältesten Texten der Christenheit zurückgehen, um auf eine andere Spur zu stoßen: Das älteste Marienlob, das sogenannte .Magnifikat“ aus dem 1. Kapitel des Lukasevangeliums, ist nämlich ein durchaus subversives Loblied. Ein Lob auf einen Gott, der die Mächtigen vom Thron stürzt und die Niedrigen erhöht, der die Hungernden mit Gaben beschenkt und die Reichen leer ausgehen läßt.

Es macht nachdenklich, daß aus dieser kraftvollen und politisch denkenden Maria in unserer Tradition die poetische Madonna im Rosenhag geworden ist. Hier mag sich der Verdacht aufdrängen, daß durch die Marienfrömmigkeit und ihre traditionelle Ausprägung eine unbequeme Gestalt der Bibel verharmlost wurde.

Und eben das könnte der Marienverehrung wieder ihre ursprüngliche Kraft geben: Daß wir die Ansprüche, die von jener Frau ausgehen, ernst nehmen, daß wir den Weg Jesu so konsequent gehen, wie sie ihn gegangen ist. Denn wie jede andere Verehrung ist auch die der Mutter Jesu nur sinnvoll, wenn sie unser Leben beeinflußt, wenn sie ins Tun mündet. Sonst bliebe sie nur fromme Idylle, erbauliche Folklore, liebliches Seelenbad für Tatenlose.

24. Teil einer Serie über Zeichen und Symbole im Jahreskreis der Kirche.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung