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Im Schatten Hitlers

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Unter den sogenannten Staatspartelen der vergangenen autoritären Epoche nimmt die Vaterländische Front in Österreich eine Sonderstellung ein: sie wuchs nicht aus einer Ideologie und sich allmählich bildenden Organisationen, sondern wurde unter dem Druck des Jahres 1933 von oben gegründet. Zweifellos hat Dr. Dollfuß mit der Gründung einer „österreichischen Front“, die später „Vaterländische Front" hieß, eine Sammlung aller patriotischen Gruppen im Auge gehabt, bis sich — und nicht zuletzt unter dem Einfluß Italiens — seit dem Hochsommer 1933 die langsame Herausbildung einer Staatspartei anbahnte, die alle übrigen politischen Gruppen zum Verschwinden bringen sollte. Die Verfasserin hat in dankenswer-

ter Welse die ideologischen und organisatorischen Komponenten im Weg der Vaterländischen Front von einer zunächst losen Organisation bis zu einer straff organisierten Staatspartei mit totalitärem Führungsanspruch geschildert. Von den Persönlichkeiten, die auf die Bildung der Vaterländischen Front, ihre Ideologie und Organisation stärksten Einfluß nahmen, ragen Karl Maria Stepan und Walter Adam besonders hervor, wobei Stepans „Organisationsstatut“ die eigentliche Arbeitsgrundlage für die Vaterländische Front abgab. Mit dem Tod von Dr. Dollfuß und dem Dualismus Starhemberg-Schuschnigg konnte sich die Vaterländische Front nur allmählich zu einer Einheitspartei unter einer Einheitsführung entwickeln, aber immerhin gelang es, noch im Jahre 1934 mindestens nach außen hin Massenorganisationen aufzuziehen, hinter deren Fassade merkbare Spannungen verborgen waren. Interessant sind die Untersuchungen über die Rolle der Sozialen Arbeitsgemeinschaft“: Alfred Maleta hat in dieser Organisation beispielgebend gewirkt, um die Versöhnung mit der Arbeiterschaft herzustellen. Emst Winters Sonderaktion gehört teilweise in den Bereich der Ideologiegeschichte und verdient eine spezielle Untersuchung. Nicht zuletzt scheint der Gedanke einer Art Elitebildung in der ganzen Geschichte der Vaterländischen Front auf, um später in der verunglückten Kopie der SS, nämlich im Sturmkorps der Vaterländischen

Front, seine Ausbildung zu finden. Abgesehen vom Widerstand der politischen Gegner gegen die autoritäre Staatspartei, gab es auch im VF- Lager dauernd Oppositionsgruppen, nicht zuletzt eine Reihe demokratischer Politiker der Christlichsozialen Partei, wie Landeshauptmann Schlegel und vor allem Bundespräsident Miklas, der immer wieder darauf drängte, die Verfassung 1934 gesetzlich verankern zu lassen und die Aufgabenbereiche der Vaterländischen Front durch eine eigene Gesetzgebung zu definieren. Miklas’ Haltung zur Vaterländischen Front kommt in einem guten Anhangkapitel zum Ausdruck, wird aber in einer im Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien entstehenden Dissertation demnächst weitgehend geklärt werden, Mit dem 11. Juli

1936 trat eine Entwicklung ein, die interessanterweise Starhemberg immer befürchtet hatte, nämlich die Aufspaltung der Vaterländischen Front in einige politische Sektionen, die in ihrer Form eine Neubildung der ehemaligen politischen Lager der Republik waren. Der Einbau der sogenannten „Nationalen“ gipfelt seit

1937 in der Errichtung der Volkspolitischen Referate. Unter Pembaur und Seyss-Inquart wurde dieser Prozeß eingeleitet. Schon die Errichtung eines besonderen monarchistischen Traditionsreferates, aber auch die Forcierung der sozialen Arbeitsgemeinschaft als Gegengewicht gegen die in der Vaterländischen Front selbst nach vorne drängenden Nationalsozialisten war Ende 1937 ein böses Vorzeichen für die kommende Entwicklung. Der Dammbruch nach der Unterredung von Berchtesgaden am 12. Februar 1938 ließ in der allgemeinen Entwicklung die Vaterländische Front in ihre Urbestand- teile zerfallen. Plötzlich traten nicht nur aktive Gruppen des Heimatschutzes wieder auf, Schuschnigg wurde gezwungen, viel zu spät die Sozialisten als gewichtige Verhandlungspartner für die Bildung einer Abwehrfront anzunehmen und die Nationalsozialisten innerhalb und außerhalb der Vaterländischen Front erzwangen unter kräftiger Mithilfe des Dritten Reiches einen radikalen Umsturz der österreichischen politischen Kräfteverhältnisse. Trotzdem ist die Geschichte der Vaterländischen Front, wie die Verfasserin richtig bemerkt, ein Teilkapitel der leidvollen Historie der Ersten Republik. Viele Vaterlöndische-Front- Funktionäre bildeten einen Teil jener politischer Kader, auf deren Arbeit nach den bitteren Erkenntnissen der Vergangenheit der Wiederaufbau nach 1945 beruhte. Auch wird man von einer geistesgeschichtlichen Untersuchung der Geschichte des österreichischen Patriotismus die ideologische Komponente der Vaterländischen Front nicht lösen können.

DIE VATERLÄNDISCHE FRONT. Von Irmgard Bärnthaler. Geschichte und Orginisation. Frankfurt, Zürich: Europa-Verlag 1971. S 238.—.

Dr. phil. Ludwig J e d I i c k a, geboren 1916 in Wien, Studium der Geschichte an der Universität Wien, o. Prof, für neuere und neueste Geschichte an der Universität Wien und Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte.

Hauptwerke: „Ein Heer im Schatten der Parteien’, „Maria Theresia in ihren Briefen und Staatsschriften’, „Der 20. Juli 1944 in Österreich’, „Ende und Anfang. Österreich 1918/19’ sowie zahlreiche Aufsätze zur neuesten Geschichte.

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