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Schauplätze der Dichtung
Welch ein Labsal: Germanistik, von einem nicht nur gelehrten, sondern auch gelernten Schriftsteller betrieben — Berichte, die nicht nur ihren Gegenstand, sondern auch die Sprache beherrschen —, ein Buch über Stifter, Rilke, Trakl, Kafka, ohne die geringste Anmerkung, ohne „vgl.“, „op.cit.“ und „a. a. O.“!
Dietmar Grieser ist schon einmal den Schauplätzen von Dichtwerken und Bestsellern nachgereist, er bat
Othellos Cypem, Carmens Sevilla, Wilders Brücke von San Luis Rey, Werthers Wetzlar aufgesucht und aufgefunden, aber auch Hemings- ways Kilimandscharo und Suzie Wongs Arbeitsplatz, er ist sogar zu Franz Kafkas Schloß gelangt. Dies beschrieb er in dem Fischer- Taschenbuch „Von Schloß Gripsholm zum River Kwai“, allerdings unbebildert, und dies scheint mir ebenso abwegig, als wollte Brehms Tierleben auf Illustrationen verzichten.
Nun liegt, illustriert, ein neuer Grieser-Band vor, gibt sich als „literarischer Reiseführer“ aus und betreibt durch die Wahl des Untertitels Tjefstapelei. Denn ein Reiseführer ist nur Behelf, Unterlage, Reise» begleiten Hier aber wird der Leser zum Reisebegleiter des Autors; es gebt nicht allein um das literarische Ziel, sondern ebensosehr um den feuilletondstischen Weg dorthin.
Die Bezeichnung „feuilietoni- stdsch“ kann abwertend sein, wird aber diesmal durchaus als Adelsprä- dikat verwendet. GFiesers Edelreportagen gehören in jene Gattung, an deren oberer Grenze sich Friedens Kulturgeschichte befindet. Der Autor scheint allwissend, froh darüber, den vergnügten Leser an dem Wissen teilhaben zu lassen.
Grieser ist mit seinem jeweiligen Stoff und allem, was an ihn grenzt, bestens vertraut, er steht jeweils so hoch oder so tief in ihm, als der Anlaß es erfordert. Er hat Respekt, aber nur dort, wo es geboten ist. Zu Peter Rosegger zum Beispiel betet er nicht, auch nicht zu Wildgans, nicht einmal zu Rilke. Er bezieht die Beter und Verehrer und Exegeten in seine kleinen, abgerundeten Essays ein. „Der Rilke-Kult, man darf es mit Genugtuung vermerken, hat das schwere Parfüm vergangener Jahre abgestreift. Doch dafür ist er auf die Wissenschaft gekommen. Schwer zu sagen, was das größte Elend ist.“ So schließt der Abschnitt über Schloß Duino, betitelt „Rilke extra dry“.
Ich würde mich von einem so kundigen, souveränen und humorvollen Autor auch gern über Gebiete, die mir fad sind, informieren lassen, etwa über Numismatik oder Heraldik. Wie gern folge ich ihm zu Stifters Rosenhaus, Weinhebers Waisenhaus, in Peter Altenbergs Altenberg, in Horväths Mumau und erst recht dorthin, wo er das Zeitgenössische gleichrangig an das Etablierte oder Abgelebte anschließt, wo er ä la Recherche de Frischmuth, Bernhard, Handke und Artmann fündig wind. Ich möchte jedes Jahr mindestens einen neuen Grieser lesen; und ich glaube: ich bin nicht der einzige.
„SCHAUPLÄTZE ÖSTERREICHISCHER DICHTUNG.“ Ein literarischer Reiseführer von Dietmar Grieser,’ Langen-Müller-Verlag, München-Wien 1974. 200 Seiten, 20 Abbildungen, Preis 24.80 DM.
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