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Hobbys gibt es viele, aber daß einer nichts Besseres zu tun weiß, als den Modellen berühmter literarischer Werke nachzuspüren, dem Wetzlar Werthers, wie es heute ist, Prousts Combray (eigentlich Illiers), der eingestürzten Brücken am River Kwai und bei San Luis Rey; dem Mogersdorf des Cornetts Rilke, ist schon bemerkenswert. Und das ohne einen saftigen Verlagsauftrag, ein fach aus persönlichem Interesse, mit nicht geringen finanziellen Opfern, da er doch schließlich auch in Hongkong und Vietnam zu forschen hatte, nach Lesbos reisen mußte und nach Zypern.

Solche Literaturbeflissenheit ist heute unter den Jungen selten. Und doch ist es ein Junger, der das getan hat, nicht ganz den Jahren nach, aber als Autor — noch war kein Buch von ihm erschienen... Er ist Redakteur einer Wiener Wochenzeitung, kommt aus Hannover und entstammt der Schule für Zeitungswissenschaft, die der deutsche Professor Wilmont Haacke, auch ein großer Liebhaber von uns komischen Österreichern, in Münster geführt hat. Sein Name: Dietmar Grieser. Auch das ist selten, daß gleich ein erstes Buch bei S. Fischer herauskommt. Normalerweise fängt man bei bescheideneren Verlagen an. Nun, das Buch hat eben eine „Idee“.

Man könnte es fast als Sachbuch bewerten, es ist informativ, bildend, ohne aufdringlich zu sein. Da wird dieses heutige Wetzlar in seiner scheuen Zurückhaltung gegenüber dem Dichter Goethe und gar seinem Werther knapp und anschaulich ge-geschüdert. Und damit auch diejenigen, die ihren Werther nicht so ganz im Kopf haben, mitkommen, streut Grieser jeweils ein paar charakteristische Sätze aus dem gegenständlichen Werk ein. So hält er's bei allen seinen Darstellungen, die dabei niemals die Länge eines Feuilletons überschreiten. Der Leser erinnert sich an Dinge, die er vergessen hatte, er glaubt sich auch an Umstände zu erinnern, die er niemals gewußt hat, die ihm aber dar Autor sanft suggeriert. Und kommt sich am Ende recht gebildet vor. Jetzt kann er wieder freiweg von der Leber über Tucholskys „Gripsholm“ reden, er weiß auf einmal wieder über die Sechs auf der Brücke von San Luis Rey, auch Rilkes eigene Reserve gegen das frühe Gedicht vom Cornett kann er effektvoll im Gespräch deponieren.

Schade ist, daß das so trefflich und wissend stilisierte Buch einen so unhandlichen Titel hat — „Vom Schloß Gripsholm zum River Kwai“ —, das sagt so wenig, daß man sich lieber an den Untertitel „Literarische Lokaltermine“ hält, der fast an einen Krimi erinnert und jedenfalls leichter auszusprechen ist. Wahrscheinlich hat der Verlag diesen Leviathan von Titel erfunden. Meist ist es doch so, daß dem Verleger ein Titel gefällt, den der Autor, ist er klug, akzeptiert: Denn geht das Buch schlecht, so ist ohne Zweifel der vom Autor verlangte andere Titel schuld, hätte er doch lieber den seines Verlags genommen! Dieses Buch wird, möchten wir meinen, ungeachtet seines Titels seinen Weg machen; nicht genug, man bekommt Appetit auf eine Fortsetzung.

VOM SCHLOSS GRIPSHOLM BIS ZUM RIVER KWAI. Literarische Lokaltermine. Von Dietmar Grieser. Taschenbuchverlag S. Fischer. 122 Seiten.

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