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Neue Lokalaugensdieine

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Bücher haben nicht nur ihre Schicksale, sondern auch ihre Geschichte. Auf Dichters Spuren ist schon so mancher Kulturreisende gewandelt, und dies nicht erst im Tourismus] ahrhundert. Der Wahl wiener Dietmar Grieser, ein akribischer Kenner jenei Werke der Weltliteratur, die er besonders schätzt oder die ihn aus irgendeinem Grund interessieren, wollte gerne — da man ja nicht rekonstruieren kann, wie es wirklich war, besonders wenn es sich nur in der Phantasie des Dichters so begibt — wenigstens die Orte der Handlungen sehen, wo sich das Schicksal weltliterarischer Gestalten abgespielt hat.

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Bücher haben nicht nur ihre Schicksale, sondern auch ihre Geschichte. Auf Dichters Spuren ist schon so mancher Kulturreisende gewandelt, und dies nicht erst im Tourismus] ahrhundert. Der Wahl wiener Dietmar Grieser, ein akribischer Kenner jenei Werke der Weltliteratur, die er besonders schätzt oder die ihn aus irgendeinem Grund interessieren, wollte gerne — da man ja nicht rekonstruieren kann, wie es wirklich war, besonders wenn es sich nur in der Phantasie des Dichters so begibt — wenigstens die Orte der Handlungen sehen, wo sich das Schicksal weltliterarischer Gestalten abgespielt hat.

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So begann er, auf den Spuren dichterischer Figuren von zunächst 15 Autoren nachzuforschen. Das ergab einen schmalen Band der Fischer-Taschenibücher, der in überraschend hoher Auflage gedruckt werden konnte. Überraschend freilich nur für den, der Griesers angenehm kluge, zurückhaltende, manchmal auch etwas ironische Art des Erzählens nicht kannte. Und unweigerlich packt den Leser der Grieseri-schen Forschungsergebnisse auch der, Jagdeifer.

Gab oder gibt es eine Brücke von San Luis Rey? Wie sieht Kafkas Schloß und das dazugehörige Dorf aus — oder gibt es sie überhaupt nicht? Was ist in Bizets berühmter Oper mach Merinnmees Meisternovelle Wirklichkeit, was Erfinidiumig? Wie wohnte Tucholsky einen Sommer lang auf Schloß Grip9holm? Grieser fährt im Winter hin und erfährt, daß sich die berühmte Liebesgeschichte überhaupt nicht in Schloß Gripsholm, sondern in der Depen dance eines schönen Landhauses am anderen Seeuifer albgespielt hat. Und so weiter und so fort.

Darnach stellte Grieser einen Zyklus von Berichten über Lokal-augenscheine aus der Welt der österreicTiische. Literatur zusammen. Der Wiener Verlag, dem sie angeboten wunden, hätte gern — aber er konnte nicht, weil er inzwischen seiine belletristische Produktion eingestellt hatte. So nahm sich der Langen-Müller-Verlag, München, wie so mancher anderer österreichischer Autoren und Themen auch des neuen Buches von Grieser an und machte daraus einen stattlichen, mit schönen Photos illustrierten Band, der sich so gut verkaufte, daß bereits die dritte Auflage erscheinen konnte. Und dies wieder hatte zur Folge, daß man den Spureniflnfder aufforderte, auch seine erste Sammlung erweitert und illustriert, dem Verlag zur Verfügung au stellen.

Zunächst wurde einmal der frühere, nicht ganz zutreffende Titel „Literarische Lokaltermine. Vom Schloß Gripsholm zum River Kwai“ richtiggestellt. Jetzt heißt der Band „Schauplätze der Weltliteratur — 20 Reisen an den Ort der Handlung“. Und ist fast ein neues Buch geworden. Aus der ersten Sammlung wurden 15 Stücke übernommen, davon acht überarbeitet. Der eigentliche Gewinn alber sind die neuen Reiseberichte. Aber nur für den Grieser-Leser und -kenner gilt diese Einschränkung, denn er kannte ja viele der alten Studien bereits aus zahlreichen (fast schon zahllosen) Vorabdrucken in Zeitungen des gesamten deutschen Sprachraumes. Der durchschnittliche Umfang beträgt zwölf bis 15 Druckseiten, aber es gibt auch wesentlich längere.

Hier nur einige Themen der neuen Forschungsreisen. Das Lungenheil-institut in Darvos-Dorf, in dem Thomas Manns „Ziauberlberg“ spielt, versteht jetzt, nachdem es in das Winter-Nobelsporthotel „Bellevue“ umgewandelt wurde, da die damals dort bekämpfte Krankheit ihre Schrecken verloren hat, ganz geschickt mit seinem literarischen Renommee zu kokettieren. Hingegen hat es in den Domizilen von Gerhart Hauptmanns „Webern“ wirklich unsäglich trist ausgesehen. In Auerbachs Keller au Leipzig werden wir nicht nur an dessen Vergangenheit und dichterische Relevanz erinnert, sondern auch mit neudeutscher Realität bekanntgemacht. — Und wer, ob alt oder jung, interessierte sich nicht für Wetzlarer Wirklichkeiten? (Vielleicht wird Goethes seinerzeitiger Bestseller wieder mehr gelesen als während der albgelaufenen Jahrzehnte?)

Stimmungsvoll wie Storms Prosa und Gestallten ist auch das Kapitel über Husum, trotz seines besorgniserregenden Titels „Schiimmelreiter — motorisiert“. Und Thomas Wolfes berühmten Grabsteinengel hat Grieser nach wahrhaft detektivischen Nachforschungen wirklich und einwandfrei in Hendersonville aufgefunden und photographiert. Bei der Suche nach dem Schauplatz am Kilimandscharo stößt der Autor auf Hemingways Sohn, und in Verona gab es bis vor kurzem — jetzt leider nicht mehr — sehr merkwürdige und rührende Dinge in memoriam Romeo und Julia.

Obschon das Was bei Grieser immer interessant genug ist, empfinden wir den Charme und Reiz des Wie, nämlich wie die verschiedensten, zum Teil auch heiklen Dinge erzählt werden, als noch anziehender. Hiervon brauchen wir den Lesern der FURCHE keine Proben zu vermitteln, denn sie haben etwa ein halbes Dutzend der Grieserschen Lokalaugenscheine bereits in unseren literarischen Blättern auszugsweise gelesen.

SCHAUPLÄTZE DER WELTLITERATUR. Von Dietmar Grieser. Verlag Langen-Müller, München — Wien, 280 Seiten mit 20 Schwarzweißphotos, öS 229,50.

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