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Öffnung: nur nach einer Seite?

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Da der Öffnung nach rechts, die von „Reformern“ immer mehr verbreitert wird, keine angemessene Öffnung nach links entspricht (nicht ein Mitglied des obersten Führungsgremiums der Partei vermag offenkundig einer solchen Öffnung etwas abzugewinnen), hat die Partei derzeit eindeutig den Charakter einer Rechtspartei, zumindest eines rechten Zentrums mit einem radikalen rechten Flügel.

Dieser Umstand hat in der letzten Zeit Anlaß zur Annahme gegeben, die ÖVP wolle eine Nur-Rechtspartei sein, aus Prinzip und nicht lediglich gedrängt von den zufälligen politischen Bedingungen. Für diese Vermutung spricht nichts als das peinliche Schweigen der Parteiführung gegen eben diese Vermutung, obwohl es hoch an der Zeit wäre, etwa die mehr als mißtrauisch gewordenen jungen Katholiken zu beruhigen. Die in anderen katholischen Kreisen geradezu modisch gewordene Abneigung gegen das Politische an sich verstärkt die Fehlinterpretation.

Gerade in den für die Belange der Kirche kritischen Situationen hat sich aber gezeigt, daß die ÖVP durchaus und auch unter Opfern bereit ist, kirchliche Anliegen zu vertreten. Man denke an die Vorgänge um das Schulgesetz, wiewohl anerkannt werden muß, daß die SPÖ mit dem Präsidenten des Wiener Stadtschulrates einen katholischen und außerordentlich konzilianten Verhandlungspartner stellte. In jenem Ausmaß, in dem sich innerhalb der SPÖ die zeitweilig versprengt gewesenen antikatholischen Kräfte gegenüber dem pragmatisch-sachlichen Gewerkschaftsflügel wieder durchzusetzen vermögen, in jenem Ausmaß erweist sich auch, geradezu gegengleich, die Christlichkeit der ÖVP. Da nun sogar prominente Mitglieder der in einer Arbeitsgemeinschaft vereinigten sozialistischen Katholiken geradezu genüßlich in einen antiquierten Antiklerikalismus zurückfallen und die Geschäfte des Freisinns besorgen, reduziert sich das kirchentreue Politikergremium zur Zeit neuerlich fast ausschließlich auf Angehörige der ÖVP. Diese Entwicklung realisiert sich dabei ohne Zutun der Kirche, die sich jedem parteipolitischen Engagement entzieht. Da aber auch die FPÖ, ganz ander* als der VdU, von den Großdeutschen gar nicht zu sprechen, alles tut, um als perfekt antikatholische Partei zu gelten, sind die Katholiken weitgehend, wie bei allen Wahlen seit 1945, alternativen Entscheidungen enthoben, obwohl es doch einige Jahre schien, daß die SPÖ das von ihr lautstark verkündete Toleranzedikt auch gegenüber den Katholiken in Geltung setzen würde und nicht nur gegenüber dem linksbürgerlichen Freisinn, dem sie sich derzeit, seit dem Abgang von Präsident Olah aus der unmittelbaren Parteipolitik, mit Vehemenz zu nähern sucht.

Einzelne Vorkommnisse, wie jene um das Staatsschutzgesetz und die Rezeption deutschnationaler Gruppen, haben da und dort die Meinung entstehen lassen, daß die Volkspartei den Ehrgeiz verloren habe, sich als die österreichische Partei zu präsentieren. Wer die Verhältnisse kennt, weiß aber, daßvdas Problem der Eigenstaatlichkeit Österreichs bei keinem der prominenten Führer der ÖVP überhaupt gestellt wird. Dagegen darf man nicht übersehen, daß einzelne Prominente in der ÖVP unter Außerachtlassung, ja bewußter Vernachlässigung bewährter Patrioten in einer provo-kativen Weise Kontakte mit Angehörigen der nicht gerade vom österreichischen Gedanken begeisterten Rechten pflegen, die gewisse Bedenken nicht unberechtigt erscheinen lassen. In diesem Zusammenhang wird auch die Bildung eines sogenannten „K e r n - K r e i s e s“ verständlich, der sich gegen eine solche Fehlentwicklung verwahrt und binnen kurzem quer durch alle Bünde allein mehr als zwanzig Abgeordnete zum Nationalrat interessieren konnte. Übersehen wir auch nicht, daß die Zweite Republik in der Entwicklung ihrer Symbolik und Staatsmystik — beide sind notwendig, um die Eigen-Art jedes Staates zu stabilisieren — in den Anfängen steckengeblieben ist. Ein auch noch so gut gemeinter „Europäismus“ kann dieses Manko nicht ersetzen. Man darf nie den zweiten Schritt vor dem ersten tun.

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