"Die Braut beschimpfen, g'hört sich nicht!

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Die weiße Rose am Revers der ÖVP-Abgeordneten sollte einen "Freudentag" symbolisieren; die rote Rose stand dagegen für Angriff - in Kombination mit grüner Eintracht und blauer Kornblume wurde die Konstituierung des Nationalrats so zu einem schwarzen Tag für die Koalitionsverhandlungen.

Seit 44 Jahren sitzt der Kollege schon im Parlament in der Journalistenloge. An diesem Montag ist er zur Konstituierung des neuen Nationalrats gekommen, um sich "die neuen Gesichter anzuschauen" und "vielleicht ergibt sich die eine oder andere Idee für eine Glosse". Wie hat er sich über die ganzen Jahre hinweg motiviert? - "Bei den endlosen Budgetverhandlungen im Dezember war's oft hart, da ist man in der Früh bei Dunkelheit rein und am Abend bei Dunkelheit raus - und den Rest der Zeit musste man in diesem hässlichen und ungesunden Saal sitzen." Zu Mittag ist er immer zum Christkindlmarkt am Rathausplatz gegangen, hat gekochten Kukuruz gegessen und Zuckerl für die anderen mitgenommen. "Ich hab' das hier immer als Theater empfunden", sagt er, "dann ist es erträglich!"

"Wie am ersten Schultag!"

Montag in der Früh: Vor dem Parlament wird ein roter Teppich für den Bundespräsidenten ausgerollt, über den dieser zuerst die Feststiege hinter der Pallas Athene hinauf, durch die Säulenhalle hindurch, in seine Loge schreiten kann. Im Parlament drinnen schütteln einander Abgeordnete freudig die Hände: "Wie geht's, lange nicht gesehen!" Alexander Zach, dem liberalen Abgeordneten mit dem roten Passierschein (siehe Interview Seite 3), kommt es zuerst so vor wie am "ersten Schultag" - Später wird er seine vorschnelle Einschätzung revidieren: "War doch wichtiger!"

Mama & Gattin & Kinder...

Einige Neueinsteiger peinigen noch Orientierungsprobleme im Hohen Haus, oder sie müssen die mitgebrachte Verwandtschaft vertrösten: "Nein, Mittagessen können wir sicher erst später gehen - jetzt hört doch auf, ich weiß auch nicht wie lang das heute dauert!" Andere frischg'fangte Mandatare haben hingegen Probleme mit ihrem Rollenverständnis: Die ehemalige ORF-Moderatorin Gertrude Aubauer fühlt sich auf der Journalisten-Stiege und in den Fernseh-Übertragungskabinen noch sichtlich mehr daheim als im Plenarsaal: "Grüß Euch!" - Bussi... Zu politischen Fragen äußert sie sich nur verhalten: Große Koalition? "Ich hoffe auf eine rasche Einigung." Eurofighter? "Ich möchte dazu nichts sagen, solange ich nicht die Dringliche Anfrage im Detail gelesen habe." Was bedeutet die weiße Rose auf Ihrem Revers? "Ein Freudentag!"

Es gibt Kulturen, da ist weiß die Farbe der Trauer. Schon nach den einleitenden Worten von SP-Chef Alfred Gusenbauer, endgültig aber nach der Brandrede von SP-"Einheizer" Josef Cap dürften sich auch die bislang zuversichtlichsten Abgeordneten der Volkspartei dieser Deutung angeschlossen haben; am Montagabend beim ÖVP-Parteivorstand waren die weißen Rosen jedenfalls alle abmontiert.

Eingespieltes SP-Team

Gusenbauer und Cap - an diesem Tag sind sie ein kongeniales Team. Gemeinsam sitzen sie in der ersten Bank, der eine doppelt so breit wie der andere - erst zusammen ergeben sie ein passendes Bild: Der Kanzlerkandidat sehr staatstragend, sehr besonnen, sehr sorgenvoll; der Klubobmann in Blue Jeans, quirlig, angriffig, lieber ein Schmäh zuviel als zuwenig ("Bei allen vertrauensbildenden Maßnahmen, die wir jetzt mit Ihnen machen sollen...") Gusenbauer bemüht hingegen die "Weisheit der Wähler" vom 1. Oktober, die "Veränderungen in Zusammenarbeit" einfordere. Und weder "Drohungen noch Einschüchterungen", poltert Gusenbauer, können ihn davon abhalten, die Kontrollfunktion des Parlaments auch auf die Untersuchung der Eurofighter-Beschaffung anzuwenden.

Der Politologe Peter Filzmaier sitzt während der Plenarsitzung in der ORF-Übertragungskabine, kommentiert. Später, SPÖ und ÖVP sind zerstritten auseinander gegangen, wird Filzmaier gegenüber der Austria Presse Agentur sagen, dass Gusenbauer mit dieser Strategie im Vorteil ist, weil die "ÖVP damit vor dem Dilemma steht, aus ihrer Sicht nur aus schlechten Varianten wählen zu können: "Die eine ist Theaterdonnner, die zweite ist der Abbruch durch die ÖVP und die dritte Variante ist eine Unterbrechung, ein vorübergehendes Aussetzen - das ist aber bestenfalls ein Spiel auf Zeit."

ÖVP im Eurofighter-Dilemma

Auch Meinungsforscher Peter Hajek sieht Gusenbauer mit dem Eurofighter Untersuchungsausschuss im Vorteil: "Das verstehen die Leute, das ist gut kommuniziert." Eine Grande Dame des österreichischen Journalismus, die ebenfalls die erste Nationalratssitzung der XXIII. Legislaturperiode von der Journalistenloge aus mitverfolgt, glaubt ebenfalls, dass die SPÖ mit dem Eurofighter-U-Ausschuss auf eine sichere Bank setzt: "Die Leute verstehen nicht, dass die ÖVP so viel Trara darum macht, wenn mit dem Eurofighter-Kauf doch eh alles in Ordnung gewesen sein soll." Der eingangs erwähnte, altgediente und mit viel U-Ausschüssen-Erfahrung ausgestattete Kollege ist hingegen pessimistisch: "Spitze, jetzt haben wir ein Jahr lang wieder viel zum Schreiben - aber was wird rauskommen? Nichts wird rauskommen!"

Cap zu Khol: "Wirst fehlen!"

In der Zwischenzeit ergänzt VP-Klubchef Wilhelm Molterer die von Gusenbauer apostrophierte "Weisheit der Wähler" um die "Weisheit der politischen Verantwortungsträger". Früher wären die ersten Sitzungen des Nationalrats von Gemeinsamkeit geprägt gewesen - "doch heute ist das anders, heute steht das Trennende, die Auseinandersetzung im Vordergrund". Und Molterer mahnt: "Ist es klug, Mehrheiten um jeden Preis zu suchen?"

Cap kontert: "Sie haben noch viel schlimmere Sachen gemacht" - und zählt von der Volkspartei initiierte Untersuchungsausschüsse auf. Und außerdem sei für Molterer "klug" mit ÖVP und "nicht-klug" mit allen anderen gleichzusetzen. Dann verspricht Cap auch gleich noch eine neue, eine freiere Art des Parlamentarismus, mit mehr Minderheitenrechten und mehr Öffentlichkeit ("Das bringt er nicht durch", meint der 44-Jahre-Beobachter in der Journalistenloge) -, und weil Cap auch anders kann, verabschiedet er den scheidenden Nationalratspräsidenten Andreas Khol amikal und versöhnlich: "Du wirst mir fehlen!"

Die SPÖ ohne G'fühl

Der frühere Verteidigungsminister und ÖVP-Urgestein Robert Lichal sitzt neben Altbundespräsident Kurt Waldheim auf den Ehrenplätzen - den Sitzungsverlauf verfolgt er mit Entsetzen: "Sie wissen, ich bin ein alter Großkoalitionär, und meine damaligen Gegenüber bei der SPÖ waren auch keine leichten Burschen - aber so was wie jetzt hab' ich noch nicht erlebt!"

Peter Schieder, jahrzehntelang SP-Abgeordneter und am Montag zum ersten Mal nur Zaungast widerspricht: "Dass es zu Beginn kracht, ist doch nichts Neues, das hat es immer schon gegeben und das ist auch international üblich." Wie geht's weiter? Schieder: "Ich trau mir's nicht zu sagen."

Lichal hingegen bleibt dabei: "Man kann doch nicht versuchen, den Partner am Anfang einer Beziehung zu kriminalisieren. Das ist, wie wenn man seine Braut beschimpft, ihr einen unmoralischen Lebenswandel vorwirft - und gleichzeitig will man sie umarmen, lieben, heiraten. Das g'hört sich doch nicht, aber dafür haben sie in der SPÖ kein G'fühl mehr."

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