Koalition der Glücklichen

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Die SPÖ hat (fast) nichts falsch, die ÖVP alles richtig gemacht.

SPÖ und SPÖ offenbar fast einig", lautete die Schlagzeile des ORF-Teletextes am Montag vormittag. Man könnte diesem - lange nicht korrigierten - Fehler auch tiefere Bedeutung zumessen: Demnach lägen die eigentlichen Probleme nicht zwischen SPÖ und ÖVP sondern innerhalb der SPÖ selbst. Zumindest nach Abschluss der Verhandlungen sah es ganz so aus: Während Wolfgang Schüssel bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Alfred Gusenbauer sichtlich in seinem Element war - der sonst so Kühl-Professionelle hatte zwischenzeitlich gar Mühe, seine Fröhlichkeit zu unterdrücken -, dominierten auf SP-Seite, von der Parteijugend bis zum Altvorderen Hannes Androsch, Wut, Enttäuschung, Fassungslosigkeit. Einzig Alfred Gusenbauer gab sich staatstragend, steckte so manche subtile Bosheit des Noch-Kanzlers weg und war im übrigen bemüht, gute Laune zu versprühen. Aber: Wer, wenn nicht er (in der SPÖ) - und wann, wenn nicht jetzt - sollte das tun?

"Noch moderner, noch freier, noch sozialer" solle sich Österreich nach vier Jahren einer von ihm geführten Regierung präsentieren, versprach Alfred Gusenbauer. Der scheinbar harmlos-pathetische Satz birgt freilich parteiinternen Sprengstoff, an ihm lässt sich das atmosphärische Problem der Sozialdemokraten exemplarisch festmachen. Denn damit gibt der SP-Chef implizit zu, dass Österreich heute schon - entgegen der eigenen Propaganda - keineswegs als Hort der politischen Reaktion und der sozialen Eiseskälte dasteht. Wolfgang Schüssel konnte daher ganz im Einklang mit seinem Verhandlungspartner formulieren, man habe sich mit der SPÖ darauf geeinigt, dass Österreich "nicht zum Armenhaus" geworden sei - wie umgekehrt die ÖVP in manchen Bereichen Verbesserungsbedarf zugestanden habe. Geschenkt!

In das für die Sozialdemokraten schmerzliche Bild passt, dass etwa Gusenbauer verkündete, man werde auf den Pensionsreformen der Vorgängerregierung "aufbauen". Auf jenen Reformen also, welche die SPÖ stets als "Pensionskürzungsreformen" gebrandmarkt und strategisch zum Symbol "neoliberaler" Ungerechtigkeit stilisiert hatte. Dazu passt auch, dass in der Frage der Studiengebühren nun ein "Ausweg" gefunden wurde, der die Niederlage der SPÖ nicht einmal notdürftig camoufliert. Die Idee einer gemeinnützigen Tätigkeit als Ersatz für die 363 Euro pro Semester mutet reichlich seltsam an: Wer wird das machen (wollen)? Für welche Tätigkeiten sind Studenten überhaupt sinnvoller Weise einsetzbar (Hospiz-Arbeit ist kein Studenten-Job, hat Caritas-Direktor Michael Landau zurecht bemerkt)? Und warum sollte man nicht auch den Preis für die Vignette durch, sagen wir: Straßenkehren abstottern können? Ganz im Ernst: So führt man die Idee freiwilliger sozialer Dienste ad absurdum. Nur Josef Cap - ausgerechnet er, der uns während der letzten Wochen mit Bonmots und Pointen zum Stand der Dinge bei Laune gehalten hatte - zeigte sich "traurig" darüber, dass diese Augenauswischerei niemand als sozial-oder bildungspolitischen Meilenstein würdigen wollte.

Was hat die SPÖ falsch gemacht? Nicht viel - außer, dass sie unrealistische Erwartungen geweckt hat. Aber wenn Alfred Gusenbauer in der Opposition und im Wahlkampf so geredet hätte, wie bei der Präsentation des Regierungsprogramms, hätte er die Wahlen nicht gewonnen. Nun ist er immerhin Bundeskanzler - und hat dabei noch den Vorteil, die unangenehmen Botschaften der eigenen Klientel als notwendige Zugeständnisse an den Koalitionspartner verkaufen zu können.

Die entscheidende Frage ist, wie sich die vielen Absichtserklärungen in konkrete Politik umsetzen lassen werden. Was wird aus dem Megathema Bildung? Wie wird sich die - im Ansatz plausible - Grundsicherung finanzieren lassen, und wie wird sie sich konkret auswirken? Vor allem aber: Wird der Kitt zwischen den beiden Parteien stark genug sein, damit das Bündnis auch die unweigerlich ins Haus stehenden Zerreißproben aushält?

Wieder einmal haben SPÖ und ÖVP - gleich dem Sisyphos dazu gezwungen - den Stein "Große Koalition" den Berg hinaufgewälzt. Von Albert Camus wissen wir, dass wir uns die beiden als glücklich vorstellen müssen.

rudolf.mitloehner@furche.at

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