"Häupling Abendhand" im Christenland an der Mölz

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Warum fürchten sich viele davor, dass Kirchen staatliche Politik beeinflussen könnten, statt zu fürchten, dass religiöse Positionen von Politikern missbraucht werden?

"Man weiß ja, dass im Christenland Christen wohnen" - aber zeigen sie sich in der grundsätzlichen und aktuellen Politikgestaltung? In der Fremdenpolitik etwa, und zwar keineswegs nur im Stammesgebiet des Häuplings Abendhand, finden sich kaum mehr christliche Werte - nicht einmal in der Asylpolitik, die der Verwirklichung der Genfer Flüchtlingskonvention dienen soll. Wem in diesem Christenland ist der Fremde noch "heilig"? Wer gilt als "dein Nächster"? Österreicher "zuerst".

Warum fürchten sich noch viele davor, dass Kirchen und Religionsgesellschaften staatliche Politik beeinflussen könnten, statt zu fürchten, dass religiöse Positionen von Politikern missbraucht werden? Kirchen sind bereit, von ihren Positionen her Werte in die Politik einzubringen; sie arbeiten mit, geben Stellungnahmen ab und beraten die Regierungen und die EU-Organe. Sie sehen sich als Teil der Zivilgesellschaft, erheben in der Regel für diejenigen die Stimme, die keine Stimme haben oder deren Stimme nicht oder zu wenig deutlich gehört wird. Kirchen und Staat, Kirchen und EU sind institutionell getrennt. Diese prinzipielle Distanz zum Staat ist ein wichtiger Teil der Trennung von Staat und Gesellschaft, ohne die es keine pluralistische Demokratie geben kann. Mit dem Lissabonner Reformvertrag wären die Grund- und Freiheitsrechte für die EU selbst rechtsverbindlich. Der demokratische Pluralismus bildete dann nicht nur die Grundlage für die Kopenhagener Kriterien bei der Aufnahme von Staaten in die und für ihren Verbleib in der EU, sondern Kriterien für die europäische Politik selbst-im Sinne des Präambelsatzes des Reformvertrages "in Vielfalt vereint". Darin liegt die Begründung, dass die Kirchen den Reformvertrag befürworten.

"In Vielfalt vereint"

Die EU als internationale Organisation mit zahlreichen föderalen Elementen ist sowohl der Vertretung und Durchsetzung nationaler Interessen und Positionen als auch - und zwar zugleich - der Entwicklung eines gemeinsamen Europas verpflichtet. Beide Ziele haben die Mitgliedstaaten in den Gemeinschaftsverträgen so vereinbart und bisher auch grosso modo praktiziert.

Kierkegaards Bestreben war es, aus "Christen" Christen zu machen, das Anliegen der Repräsentanten der europäischen Integration ist es, aus "Europäern" Europäer zu machen. Im EU-Wahlkampf sollten daher konkrete Gestaltungsaufträge für eine gemeinsame, friedliche europäische Entwicklung formuliert werden. Schlagworte sind dafür unbrauchbar. Ein "Tag der Abrechnung"? Selbst wenn alle 27 Mitgliedstaaten die Türkei in die EU aufzunehmen bereit wären, wäre nicht das Abendland vor dem Osmanischen Reich zu schützen, sondern neben den anderen Kriterien die Aufnahmekapazität der EU für neue Länder zu prüfen.

Die EU ist nicht identisch mit dem "Abendland", sie ist auch nicht "christlich", wenngleich sie sich zu den christlichen, jüdischen, islamischen und vor allem humanistischen Wurzeln der gemeinsamen europäischen Geschichte bekennt. "Abendland" bedient Stereotype. Der Begriff kann seine Herkunft aus der Kriegspropaganda gegen das Osmanische Reich und seinen jüngeren Platz in der Nazi-Propaganda nicht verleugnen.

* Der Autor ist Evang. Oberkirchenrat A.B. und lehrt Politikwissenschaft an der Uni Innsbruck

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