6718999-1965_04_03.jpg
Digital In Arbeit

Einige Körnchen Salz...

Werbung
Werbung
Werbung

„Die Diskussion ... findet in einer Zeit statt, in der es doch darum geht, ob unsere Partei ihrer Rolle gerecht werden kann oder ob sie zu einer politischen Sekte wird. Denn nicht nur die Perspektive größeren und ständig wachsenden Einflusses, sondern auoh die andere des Niederganges — trotz kleineren Erfolgen — kann aus dem heutigen Zustand der Partei folgen ... Gegenüber dem Ausmaß politischer Entscheidungen, die in unserem Lande täglich getroffen werden, gleicht unser Einfluß auf diese Entscheidungen dem einiger Körnohen Salz in einer schon gesalzenen Suppe .. Wir haben unsere eigene Vergangenheit und damit die Ursachen unserer gegenwärtigen Schwächen nicht bewältigt, nicht klargestellt. Die Ideologie einer Art von Staatspartei stalinistischer Prägung, die bis zum Staatsvertrag das Denken des Kaders und damit auch der “Mitglieder beherrschte, hat tiefe Spüren hinterlassen. Unfähigkeit zur Diskussion, zum eigenen Denken, zum immer wieder In-Frage-Stellen von Strategie und Taktik ist die heute noch wirksame Erbschaft dieser Jahre.

.Unsere Politik war im Grundsätzlichen immer richtig', ist das Schlagwort, mit dem die Parteiführung den wirklichen Ursachen, die zum heutigen Zustand geführt haben, aus dem Wege geht. Natürlich haben wir im Grundsätzlichen immer richtig gehandelt, wenn man darunter die allgemeine Führung des Klassenkampfes versteht: gegen Ausbeutung, gegen Faschismus, gegen Krieg. Grundsätzlich falsch aber waren unsere Strategie und Taktik zur Erreichung dieser Ziele. Denn schließlich gibt es kaum noch andere Erklärungen: Entweder wir sind im Besitz der Wahrheit, aber verstehen nicht sie anzuwenden, oder die, denen wir die Wahrheit bringen, können sie nicht verstehen oder wollen nicht diese Wahrheit...“

Mautner geht sodann — wie so viele vor ihm — zu Fragen der innerparteilichen Demokratie und Meinungsbildung über und legt dar, daß diese derzeit in der Partei gehemmt und gelähmt sind, daß es zum Beisniel zwar Möglichkeiten zur Äußerung gebe, daß aber keine außer den bequemen Meinungen der Mitgliedschaft bekanntgemacht werden. Es mag tatsächlich so sein, daß erst mit der Herstellung demokratischer Verhältnisse in der KPÖ die Möglichkeit und innere Freiheit zur Erörterung der wirklichen und so lange schon zur Diskussion stehenden Grundprobleme der KP geschaffen werden kann. Sicherlich aber sind es die letzteren, um die es in Wirklichkeit geht, und auch Mautner wie alle anderen Dis-kutanten von „Weg und Ziel“ ist bei aller ehrlichen Bemühung um die Wahrheit nicht imstande oder nicht bereit, an die Grundfragen heranzugehen. Gewißlich hat die KP oft strategisch und taktisch schwer geirrt. Aber das ist auch schon anderen Parteien passiert, und so entstandene Krisen sind verhältnismäßig leicht von grundlegenden Krisen einer Partei zu unterscheiden und sicherlich nicht so schwer zu beheben, wie das bei der KP nun schon seit dem Abzug der Russen vergeblich versucht wird. Im übrigen war die KP just strategisch und taktisch die ganze Zeit über gar nicht so schlecht beschlagen. Die Art, wie sie ihre zusammengeschrumpften Kräfte auf die Betriebs- und Kommunalarbeit konzentriert hat, kann allen anderen Parteien als Vorbild für strategische Ökonomie und Einsatz von Kräften dienen. Nein, es sind die Grundfragen der Partei und ihrer Ideologie, ja beider weitere Existenzberechtigung, die durch die gesamte Entwicklung — sowohl im Kommunismus wie auf der Welt überhaupt — in Frage gestellt sind. Hierzu gehört auch: wie weit die kommunistische Abspaltung von der übrigen sozialistischen Arbeiterbewegung im Jahre 1919 nicht heute bereits als ein wenn auch durch historische Umstände bedingter, so doch zurücknehmbarer und zu korrigierender Irrtum1 anzusehen ist. Und das Herangehen, an diese und andere Fragen wird nun um so dringender, da die Arbeiterbewegung schon längst staatstragend und für die Lösung von Weltproblemen selbst eng mitverantwortlich geworden ist.

Am weitesten strebt der bereits zitierte Georg Vanc dem Grundsätzlichen zu:

„Erst wenn wir von der mannigfaltigen Erlebniswelt des Einzelmen-sohen ausgehen werden, werden wir wieder neue und treue Verbündete gewinnen ... Nur wenn das Gleichgewicht des Schreckens in der Welt endlich in die stabileren Beziehungen übergeht, die von Vernunft und Herzlichkeit getragen werden — sind wir noch einmal davongekommen und werden wir uns gegenseitig mehr vertrauen können!

Soll nicht für manche Genossen der Begriff Sozialismus jenen mystischen Eindruck eines“,Reiches Gottes' beibehalten beziehungsweise für andere Genossen von der dürren Formel eines“,ökonomischen Zustan-des' ausgefüllt werden, werden wir uns wohl oder übel mit den Gesetzen des Menschen vertraut machen müssen. Zugegeben — hier geht es nicht mehr so einfach und konkret zu wie in der Mechanik der Dinge; denn der mehrschichtige Mensch ist vor allem lebendig und — läßt man ihn — höchst potenzierbar!... und seien wir uns im klaren, daß sich der echte gesellschaftliche Fortschritt an niemand verpachten läßt.“

Hier ist noch vieles ungesagt, doch ein Sprachgebrauch, der aufhorchen läßt. Der kommunistische Himmel wird damit noch nicht eingerissen. Doch aber werden schon Zipfel in andere Himmel zu lüften versucht. Nooh schimmert aus aller Gutwilligkeit des Strebens ein zu großes Vertrauen auf „Wissenschaftlichkeit“. Noch glaubt Vanc, daß sich die „Vielschichtigkeit“ des Menschen mit Computer-Methoden erfassen läßt. Doch im Eingeständnis dessen, das er heute noch Vielschichtigkeit nennt, und im Ruf nach den „stabileren Beziehungen, die von Vernunft und Herzlichkeit getragen werden“, liegt schon, so darf man hoffen, die Vorerkenntnis, daß der Computer unzureichend ist. wo es um den Menschen selber geht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung