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Was ist „Vollbeschäftigung“?

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Theorie und Politik der Beschäftigung — Der Stand der Debatte um die „Vollbeschäftigung". Von Wilhelm Weber. Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung, Wien. 172 Seiten, 65 S.

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Theorie und Politik der Beschäftigung — Der Stand der Debatte um die „Vollbeschäftigung". Von Wilhelm Weber. Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung, Wien. 172 Seiten, 65 S.

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Was die Wirtschaftspolitik unter „Vollbeschäftigung" versteht, ist mehrheitlich davon bestimmt, welchen politischen Standort der Wirtschaf tspoli- tikex einnimmt. Dieses Faktum ist das Wesentliche an der Diskussion um die Vollbeschäftigung und der ihr vorgelagerten Theorie der Beschäftigung. Man geht nicht an die Dinge heran wie sie sind, sondern wie sie sein sollen S. 160. Hier ist eine Renaissance Hegelscher Denkkategorien sichtbar. Im Postulat „Politik zuerst" zeigt sich eine der Entartungserscheinungen der Demokratie, die für viele nur als Chance zur Konstituierung von Alleinmacht gesehen wird. Nicht der Mensch als Person mit Bedürfnissen und mit seinem Hunger nach Freiheit steht im Mittelpunkt der Sorge mancher Politiker, sondern der Mensch als Wähler, also bloß in der Situation der Stimmabgabe. Das ist die schier ausweglose Tragik der Demokratie, an der sie bisher immer zerbrochen ist. In der vorliegenden, von der Akademie der Wissenschaften ausgezeichneten Arbeit ist der Autor unter Verwertung umfangreichen und neuesten Materials bemüht, jenseits der Politik und in Front gegen jeden Methodenmonismus, das, was in der internationalen wissenschaftlichen Debatte um die Vollbeschäftigung Gewicht hat, herauszustellen. Indirekt kommt Weber so zur Annahme, es sei jene Maßnahme jeweils zu ergreifen, die aus der Situation heraus notwendig ist also: situationskonforme Konjunkturpolitik. Daher wird vermieden, eine feste Definition der „Vollbeschäftigung" zu geben. Ist es doch so, daß zwischen einer Arbeitslosigkeit von fünf Prozent die „noch" einem Status von Vollbeschäftigung gieichgesetzt wdrd und einem Zustand, in dem es mehr Arbeitsplätze als Arbeitsuchende gibt, je nach der Schauweise des Betrachters Vollbeschäftigung geben kann oder nicht. Freilich ist auch in der Anpassung an die gegebene Lage so etwas wie System und unter Umständen ein sehr gefährliches vorhanden, weil der Wirtschaftspolitiker sich der Möglichkeit begibt, die Wirtschaft zu gestalten, d. h. bestimmte optimale Situationen zu schaffen.

Das, was heute Theorie und Politik der Beschäftigung ist, ist elementar bestimmt von den Gedanken des großen Engländers J. M. Keynes. An seinen kühnen Ideen und seinen oft unbewiesenen Annahmen entzündet sich immer wieder die Diskussion. Gerade deswegen, weil Keynes nicht so sehr von den Tatsachen ausgeht, sondern mit der Methode des „als ob" operiert und daher mit seinen Theorien provokativ wirkt und vielleicht wirken will. Keynes ist nun ein Liberaler, der die liberale Ordnung seine Welt vor dem Kollektivismus in der Weise retten will, daß er eine Planwirtschaft besonderer Art empfiehlt. Metaökonomische Zielsetzungen die hinter jeder Ziele ‘etzenden Planwirtschaft vorhanden sind werden mit dem, was als innere Gesetzlichkeit des Marktprozesses erkannt wurde, vermengt. Weit ausholend und insbesondere die anglo-amerikanische Literatur heranziehend, zeigt der Verfasser die Argumente Keynes’ und seiner Schüler und das, was die Gegenseite zu sagen hat.

Im zweiten Teil des Buches wird die allgemeine Beschäftigungspolitik dargestellt Einkommensund Konsumpolitik, Investitionspolitik usw.. Der Verfasser gibt dabei einen instruktiven Abriß all dessen, was die großen Theoretiker der Nationalökonomie zum Gegenstand zu sagen haben. Wichtig ist vor allem, was Weber zur Beziehung der Lohnpolitik zur Beschäftigungspolitik bringt. Die Wirksamkeit der „industriellen Reservearmee" ist weitgehend aufgehoben. Der Lohn ist keineswegs mehr das Ergebnis eines Angebot-Nachfrage-Verhältnisses, also beweglich, sondern eine weitgehend feste Größe. Was beweglich ist, das ist der Arbeitseffekt, dessen Steigerung aber nicht mehr zur Gänze dem Unternehmer übereignet wird. Daher kann die Beschäftigungsgröße nicht mehr wie einst vornehmlich über eine Lohnregulierung fixiert werden.

Je mehr der Begriff der „Vollbeschäftigung" eine außerökonomische Frage wird, um so stärker ist das Bedürfnis nach einer objektiven Darstellung des komplexen Sachverhaltes. Das vorliegende Buch bietet in Kürze und Uebersicht alles, was die Wissenschaft von heute zum Gegenstand zu sagen hat.

Der Naturarzt. Lehre und Praxis aller Naturheilverfahren. Von Kurt Pollak. Sammlung „Lebendige Medizin", Salzburg 1952. 268 Seiten. Preis 56 S.

Es gibt zahlreiche Bücher über Naturheilverfahren; selten aber eines, das so gediegen und zuverlässig die Materie darstellt. Der Verfasser ist ein „philosophischer Arzt", dem auch die Erkenntniswerte der scholastischen Philosophie nicht fremd sind. Er ruft zur Besinnung in einer Krise der heutigen Menschheit; auch die Medizin hat Grund zur Besinnung. Ihre Methoden sind zu kompliziert geworden und haben sich vielfach vom natürlichen Denken entfernt. Verfasser zeigt an Hand zahlreicher Methoden der Naturheilpraxis, wie viel die moderne Medizin noch von der Naturheilkunde lernen, wie viel sie durch schlichte Naturbeobachtung gewinnen kann. Nicht nur die in Laboratorien ausgearbeiteten Methoden sind wertvoll. Im übrigen mahnt Verfasser zu Kritik und Vorsicht und warnt vor kurpfuscherischer Selbstbehandlung. Sehr wertvoll sind die einleitenden Kapitel über Wesen und Grundlagen sowie über Geschichte der Naturheilverfahren.

Aus der reichen Fülle des Stoffes seien hervorgehoben die Kapitel: Ernährungsbehandlung Fasten, Saftfasten, Rohkost, Schrotkur u. a.; Physikalische Behandlung Sonne, Luft und Klima, Wasser, Heilbäder, Seebäder, Moor, Schlamm, Bewegung; Pflanzenheilkunde, Trinkkuren; Homöopathie; Heilerde. Ferner der Abschnitt „Seelenheilkunde" Richtungen; psychosomatische Medizin; Wesen und Formen der Neurose; psychische Hygiene. Besonders sei auf die knappe Darstellung des Leib-Seele-Problems Seite 128 bis 131 hingewiesen.

Ein Abschnitt über Spezielle Behandlung umfaßt Krankheiten der einzelnen Organsysteme; am Schluß wird das Problem der Krebsvorbeugung in sehr vernünftiger Weise erörtert und vor der übertriebenen Krebsangst gewarnt.

Deutsch-slawische Schicksalsgemeinschaft. Abriß einer Geschichte Ostdeutschlands und seiner Nachbarländer. Von Fritz Gause. Holzner-Verlag, Kitzingen am Main. 312 Seiten.

Eine knappe, dabei inhaltsreiche Darstellung der Staaten- und Völkerschicksale in Ostmitteleuropa von der Frühgeschichte bis auf unsere Tage, klar und leichtfaßlich geschildert — das kündigt der Untertitel an, und das hält das Buch auch. Wenn aber der Titel von einer Geschichte der deutsch-slawischen Schicksalsgemeinschaft spricht, so ist damit mehr versprochen als das Werk zu bieten vermag: Dann hätte es sich nicht auf die politische Geschichte beschränken dürfen und weit mehr Platz der kulturellen, geistesgeschichtlichen, aber auch wirtschaftlichen Entwicklung einräumen müssen, dann hätte es sich vor allem nicht ausschließlich auf. deutschsprachige Literatur stützen dürfen, sondern auch die der östlichen Nachbarvölker heranziehen müssen. Gegenüber den-bisherigen, vom nationalstaatlichen Standpunkt aus geschriebenen Darstellungen der Geschichte dieses Raumes bleibt es auf jeden Fall ein Verdienst, wenn hier der Versuch unternommen wird, nicht das Trennende, sondern das Verbindende zwischen Deutschen und Slawen hervorzukehren. So erweitert sich die ostdeutsche Geschichte zu einer Geschichte des europäischen Ostraumes — aber wiederum mit einer bedauerlichen Einschränkung: Während der deutsch-polnische, der baltische und zum Teil auch der böhmische Raum eine ausführliche Darstellung erfährt, ist der deutsch-slawische Lebensraum im Donaubecken nicht miteinbezogen, die vielfachen Wechselbeziehungen zwischen Deutschen und Slawen im alten Oesterreich bleiben völlig außer Betracht.’ Und ähnlich dem Nord-Süd-Gefälle in Umfang und Genauigkeit der Darstellung ist auch ein zunehmendes Abgehen von dem Vorsatz, nicht nur den deutschen Standpunkt zu vermitteln, festzustellen, je mehr sich die Darstellung der Gegenwart nähert. Diese Mängel ändern freilich nichts an der Tatsache, daß hier zum erstenmal eine Gesamtbearbeitung der Geschichte des Ostens versucht wurde, die die Herausbildung einer deutschwestslawischen Schicksalsgemeinschaft darstellt und. die Zugehörigkeit Ostmitteleuropas zum Abendland immer wieder betont.

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