Sollte wer beim Taktieren um die neue Regierung auf Ermüdung der Zuschauer und Nachlassen des Interesses bis zu einem neuen Paukenschlag im Frühjahr gesetzt haben, so ist die Stunde der Ernüchterung nahe. Das Volk spielt nicht mit und der Bundespräsident spielt nicht mit. Beide sagen: Zwei Monate "Zukunftsgespräche" sind genug! Und beide haben Recht.
Das nervenzermürbende Geplauder der letzten Monate hat jenen Recht gegeben, die vorschnelle Festlegungen der Parteien vor der Wahl kritisierten. Solche dienen häufig nicht der "Klarstellung", wie deren Befürworter uns einzureden versuchten, sondern kommen einer Selbstfesselung gleich, die hinterher viele Scherereien verursacht.
Natürlich denkt man in diesem Zusammenhang vor allem an die ÖVP und ihre Oppositionsfestlegung, falls die FPÖ sie überrunden sollte. Diese Ansage hat der Volkspartei in der letzten Wahlkampfwoche noch einen kräftigen Stimmenschub gebracht - aber ironischerweise waren das lauter Wähler/innen, die die ÖVP in der Regierung und nicht in der Opposition sehen wollten! Sie fühlen sich jetzt doppelt getäuwscht.
Freilich sollte man nicht vergessen, was noch niemand beklagt hat: daß die SPÖ mit ihrer Festlegung, unter keinen Umständen eine Koalition mit den Freiheitlichen zu bilden, die Regierungsbildung gleichermaßen belastet. Die Botschaft dieser Festlegung lautet ja: Entweder mit der ÖVP oder gar nicht! Das aber kann heißen: Wenn die ÖVP nicht zu unseren Bedingungen in eine Regierung eintritt, gibt es keine Mehrheit im Nationalrat!
Liefert sich also die ÖVP den Vorstellungen der SPÖ nicht bedingungslos aus, muß sie das Odium frühzeitiger Neuwahlen (allenfalls nach einem kurzlebigen Minderheitskabinett) auf sich nehmen, was die Gewißheit weiterer Stimmenverluste einschließt. Es hat also nicht nur die ÖVP, sondern auch die SPÖ mit ihrer Festlegung vor der Wahl die Regierungsbildung erheblich erschwert und den Bundespräsidenten in eine mißliche Lage gebracht. Der muß jetzt mit Geschick und Fingerspitzengefühl beide zur Vernunft drängen.
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