Die Religion hat den Tod Gottes überlebt

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Den Glauben als "Option“ begreifen: Religionssoziologen wie Hans Joas werden zu Stichwortgebern für die Zukunft des Christentums in Europa.

Epochenwenden brauchen ihre Zeit. Elf Jahre ist es her, dass sich Jürgen Habermas in einer vielbeachteten Rede über "Glauben und Wissen“ weit aus dem Fenster nachmetaphysischen Denkens lehnte und mit der Diagnose einer "postsäkularen Gesellschaft“ ein neues Kapitel in der Debatte zwischen einer vorwiegend areligiöser Kultur und der Religion aufstieß. "Eine Säkularisierung, die nicht vernichtet, vollzieht sich im Modus der Übersetzung“ lautete damals seine elegante These. Eine glatte Selbstkorrektur, denn Habermas galt als Vertreter einer harten Säkularisierungstheorie, derzufolge Religion durch das Fortschreiten gesellschaftlicher Modernisierung früher oder später schlichtweg verschwinden würde.

Nun hat die Diskussion Eingang in die Soziologie und Sozialphilosophie gefunden. Religion ist nicht länger eine Leerstelle. Mit ihr muss man wieder rechnen. Die Religionen haben den Tod Gottes überlebt. So bildet sich derzeit eine neue, intellektuell brillante Achse religionssoziologischer Denker heraus, die auf erstaunliche Weise sozialwissenschaftliche Befunde, philosophische Tiefenschärfe und theologische Sattelfestigkeit miteinander verbindet. In Nordamerika sind dies vor allem der jüngst bei den Salzburger Hochschulwochen ausgezeichnete José Casanova ("Public Religions in the Modern World“) und der kanadische Philosoph Charles Taylor ("Ein säkulares Zeitalter“). Im deutschen Sprachraum ist dies insbesondere der in Freiburg und Chicago forschende Soziologe Hans Joas.

Kritik an Säkularisierungsthese

Sie alle verbindet nicht nur eine enge Freundschaft und eine persönliche katholische Prägung. Ihre Thesen weisen noch dazu in eine ähnliche Richtung. So ist ihnen allen eine empirisch fundierte Kritik an der als unhintergehbar geltenden Säkularisierungsthese gemein, ebenso wie ihr Plädoyer für eine neue Wertschätzung des religiösen Pluralismus nach amerikanischen Vorbild und ein Sensus für die religioiden Zwischentöne in der gesellschaftlichen Werte- und Normenbildung. Wenn sie schließlich den Glauben als neue "Option“ neben der selbstverständlich gewordenen "säkularen Option“ gleichrangig sehen und der biblischen Religion eine wichtige Rolle bei der Verteidigung einer universalistischen Anthropologie und Moral zuweisen, könnte man glatt geneigt sein, in der Religionssoziologie die Glut der längst erloschen geglaubten Apologetik, der Verteidigung des Glaubens, zu sehen.

Diese Motive finden sich auch im Buch "Glaube als Option“ von Hans Joas. Darin verabschiedet er die Säkularisierung nicht etwa, er plädiert vielmehr für eine detailliertere Rede: Es gab und gibt Säkularisierungsprozesse. Diese liefen laut Joas in "Wellen“ etwa rund um die Französische Revolution, die Industrialisierung und die 68er-Bewegung ab. Dennoch wehrt sich der Soziologe dagegen, unter diesen Wellen gleichsam Religion und Moral untergehen zu sehen. Dies sei empirisch nicht gedeckt.

Ebenso wenig sei es jedoch zulässig, weiterhin von einer prinzipiellen religiösen Ausrichtung "des Menschen“ zu sprechen. Hier sei die Säkularisierung tatsächlich unhintergehbar: "Während Säkularisten nur allzu gern an die Säkularisierungsthese glauben, neigen Gläubige dazu, die Unentbehrlichkeit des Glaubens für seelische Gesundheit, moralische Motivation und/oder gesellschaftlichen Zusammenhalt zu behaupten.“ Joas’ Sorge ist daher nicht, dass Säkularisierung Moral an sich zerstört, "wohl aber, dass eine Schwächung des Christentums einen der Pfeiler des moralischen und rechtlichen Universalismus schwächt.“

Den Glauben als "Option“ zu betrachten, bedeute dagegen, durch die ins schier Unermessliche gestiegenen Handlungsoptionen hindurch bewusst und dezidiert Ja zu einer religiösen Lebensform zu sagen - ohne den säkularen gesellschaftlichen Rahmen infrage zu stellen. "Die Vielfalt wechselseitig anzuerkennen, das scheint mir heute das Gebot intellektueller Redlichkeit in den Debatten über Religion und Säkularisierung.“ Dies gelte es als Chance zu betrachten und nicht - wie in Kirchenkreisen üblich - als Gefahr des Abbruchs oder gar des Relativismus’.

Europa wird "christlicher“

Ist das Christentum zukunftsfähig? Ja, sagt Joas, wenn es sich vom Hochmut historisch gewachsener Institutionalisierung löst, wenn es ohne Scheu neue Koalitionen im Kampf gegen die Bestreitung universalistischer Perspektiven sucht und intern konfessionelle Gräben überwindet. Denn selbst wenn konfessionelle Milieus weiter abschmelzen - das Christentum wird nicht aus Europa auswandern. Im Gegenteil: Migrationsbewegungen sorgen dafür, dass Europa zusehends "christlicher“ wird, so Joas. Es wäre fatal, diese Bewegungen daher nicht mit offenen Armen und Herzen entgegenzutreten.

Glaube als Option

Zukunftsmöglichkeiten des Christentums.

Von Hans Joas.

Herder 2012.

257 Seiten, geb., Euro 20,60

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