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Aberglaube oder Wissenschaft?

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Astrologie ist älteste Wissenschaft — Astrologie ist ältester Aberglaube. Zwischen diesen beiden Extremen pendelt die Meinung über das tatsächlich tausende Jahre alte astrologische Wissensgut. Der Glaube an die schicksalskündende Macht der Gestirne war mit der Entstehung der ersten Hochkultur, welche die Menschheit kennt, gegeben. Von Ptolemäius, der im 2. Jahrhundert nach Christus lebte, stammt das erste astrologische Werk, welches als Grundlage modernen astrologischen Wissens angesehen werden kann. Eine Hochblüte erlebte diese Wissenschaft im Mittelalter. In der arabischen Welt hatten sich die Gelehrten Al-Kindi und Alfa-Rabi auch astrologischen Ruf erworben. In der westlichen Geisteswelt gab es ebenfalls hervorragende astrologiekundige Berühmtheiten (Astrologische Gedankengänge wurden von Augustinus teilweise negativ, von Roger Bacon oder vom heiligen Thomas von Aquin, um nur einige markante Namen zu erwähnen, vorwiegend positiv diskutiert).

Man sollte nun glauben, daß mit dem Aufkommen des heliozentrischen Weltbildes, mit der koper- nikanischen Wende in der Astronomie, die geozentrisch orientierte Astrologie nicht mehr anerkannt worden wäre. Dies war nun keineswegs so radikal der Fall. Im Gegenteil, ein Forscher vom Rang eines Kepler beschäftigte sich ausführlich mit diesem Wissensgebiet. Seine differenzierte Kenntnis der einschlägigen Problematik beweist, daß er Astrologie, diesen etwas anrüchigen Zweig der Himmelskunde, nicht nur

aus Erwerbsgründen, wie man Kepler immer wieder nachgesagt hatte, sondern auch aus echtem Erkenntnisdrang nachspürte. Er diskutierte bereits die Frage der planetaren Heredität (Vererbung von bestimmten Planetenkonstellationen), die, wie wir noch sehen werden, das stärkste empirische Argument für die astrologische Überlieferung abgibt.

Im Laufe der folgenden Jahrhunderte wurde die Astrologie aber immer mehr aus dem akademischen Betrieb verdrängt, wenn sie auch an manchen Orten bis weit in die Neuzeit geduldet wurde. Zum Beispiel existierte an der Universität Erlangen bis 1831 ein Lehrstuhl für Astrologie. Im allgemeinen hielt aber das dem mechanistischen Denken huldigende 19. Jahrhundert die Astrologie nur für ein Relikt überholten mittelalterlichen Denkens, und die offizielle Wissenschaft war der Ansicht, auf diesen Aberglauben ruhig verzichten zu können. Ganz überraschend wird nun in unserer Gegenwart die Frage der planetaren Heredität und damit das scheinbar bereits erledigte astrologische Problem wissenschaftlich aufgerollt. Ist der Zusammenhang zwischen Schicksal und Sternenlauf wirklich nachweisbar? Entspringt er nicht dem Wunschdenken weltfremder Phantasten? War Kepler nicht nur ein genialer exakt kombinierender Astronom, sondern auch als Astrologe nicht von wissenschaftlicher Sachlichkeit entfernt? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir uns mit dem überlieferten astrologischen System wenigstens in einigen Punkten vertraut machen.

Die Elemente der astrologischen Deutung

Der allgemein bekannte Tierkreis bildet die Grundlage des Systems. Widder, Stier, Zwilling, Krebs, Löwe, Jungfrau, Waage, Skorpion, Schütze, '^tdffibjjick,. Wassermann und Fisch sind dem Namen nach wohl jedermann vertraut. Ein modernes vulgäres Entartungsphänomen — die Zeitungsastrologie, — hat für die Verbreitung obgenannter Begriffe gesorgt. Hier stellen sich für gewöhnlich auch die ersten Mißverständnisse ein. Meistens werden die Tierkreiszeichen mit den gleichnamigen Sternbildern verwechselt. Halten wir fest: Die eben genannten zwölf Zeichen sind nun keineswegs

mit den gleichnamigen Sternbildern identisch. Sie basieren auf einer hypothetischen Zwölfteilung der Ekliptik (der Bahn der Erde um die Sonne, vom Blickpunkt der Erde handelt es sich hier um die scheinbare Sonnenbahn). Mit dieser Feststellung ist aber auch schon der erste prinzipielle Einwand gegen das geozentrische astrologische Weltbild zu widerlegen: Der Astrologe operiert mit den relativen Beziehungen. Für diese ist es nun vollständig gleichgültig, ob sich die Sonne um die Erde oder ob sich die Erde um die Sonne dreht. Die Relativität der Beziehungen bleibt auch im heliozentrischen kopemikanischen System erhalten. Den genannten Tierkreiszeichen werden von der astrologischen Tradition bestimmte Eigenschaften zugeordnet. Greifen wir zur Illustration zwei Zeichen heraus: „Widder“, das Zeichen, das die Sonne am 21. März jeden Jahres zu

Frühlingsbeginn betritt. Die hier symbolisierten Eigenschaften: Angriffslust, starkes Durchsetzungsbedürfnis, Rauheit, viel Initiative, aber wenig Ausdauer. Im Organischen symbolisiert der Widder den Kopf. Die Unausgewogenheit 'des launischen April, der energische Durchbruch des Frühlings, der aber noch Schwierigkeiten hat, sich konstant zu behaupten, wird durch dieses Zeichen charakterisiert. Das heißt aber nicht, daß allen Menschen, bei deren Geburt die Sonne im Zeichen Widder stand, diese Eigenschaften in stärkster Ausprägung besitzen. Erst das Horoskop, das heißt die

Kombination von zwölf Tierkreiszeichen, zehn Planeten (auf Grund der Relativität werden in der Astrologie Sonne und Mond zu den Planeten gerechnet) und zwölf Häusern (entstehen durch Zwölfteilung des Äquators), welche die von den Konstellationen betroffenen Lebensge

biete anzeigen, zur genauen Geburtszeit, bezogen auf den Geburtsort, ermöglicht, der astrolog; sehen Überlieferung nach, Erkenntnis über Schicksal und Charakter eines Menschen. Sehen wir uns das letzte Zeichen des Tierkreises an. Den „Fischen“ wird Güte, Hingabefähigkeit bis zur Selbstaufopferung und ausgeprägter Sinn für Mystik zugeschrieben. Bei konstruktiven Planeteneinflüssen finden sich hier auch große wissenschaftliche und künstlerische Begabungen. Bei entsprechend destruktiven Einflüssen kann die Güte zur Schwäche entarten, und die Haltlosigkeit kann gerade hier mittels Wissenschaftsaberglauben kompensiert werden.

Hören wir uns nun einen weiteren Einwand gegen das überlieferte astrologische System an: Auf Grund der Präzessionsbewegung der Erdachse (Kreiselbewegung in rückläufiger Richtung) verändert der Frühlingspunkt (der Himmelsort, an dem die Sonne am 21. März jeden Jahres steht) seine Lage. Der Frühlingspunkt und mit ihm sämtliche Zeichen des Sonnenbahntierkreises durchwandert zurücklaufend sämtliche Zeichen des Sternentierkreises. Hier wird nun sehr häufig folgender Einwand geltend gemacht: Wenn die am Frühlingspunkt entspringenden Tierkreiszeichen mit den gleichnamigen Sternenbildern nicht mehr deckungsgleich sind, wie können sie dann Eigenschaften verkörpern, die ursprünglich von der Übereinstimmung der örtlichen Lage von Sternenbildern und Tierkreiszeichen abhängig waren? Halbwegs erfahrene Astrologen begegnen diesem Einwand mit dem Hinweis auf die Zeitalterlehre der astrologischen Tradition, welche die eben besprochenen Tatsachen berücksichtigt.

Nur Humbug?

Die bisher geäußerten Einwände reichen also nicht aus, astrologische Überlieferungen als unwissenschaftlichen Humbug abzutun; Zur gegenwärtigen Situation der Astrologie nimmt der Freiburger Ordinarius für Grenzgebiete der Psychologie, Hans Bender, folgendermaßen Stellung: „Mehr als 300 Jahre Erfahrungswissenschaft im modernen Sinne haben offenbar nicht vermocht, eine Immunisierung gegen den Anspruch der Astrologie zu erreichen, der für das Weltbild der klassischen Naturwis

senschaft schlechterdings absurd sein muß. Es hat sich auch erwiesen, daß man dem abergläubischen Mißbrauch der Astrologie, von dem die unsinnigen Zeitungsorakel nur eines der sichtbarsten Symptome sind, nicht wirksam mit einem naturwissenschaftlichen Anathem entgegentreten

kann. Es müssen neue Wege beschritten werden, die das sozialhygienische Problem aus der Sache selbst lösen helfen: Man muß die Methoden der Erfahrung gewissenhaft in angemessener, objektiver Weise auf die umstrittenen Behauptungen der Astrologie anwenden, auch wenn ein solches Unterfangen mit dem Einwand rechnen muß, daß es ein Versuch am untauglichen Objekt sei. Erkenntniskritisch gibt es keine a-priori-Gründe, mit denen die Unmöglichkeit einer nicht kausalen Entsprechungslehre im Sinne einer, neuinterpretierten Astrologie bewiesen werden könnte. Der astrologische Glaube ist eine soziologische Realität mit mannigfachen Erscheinungsformen, die schon als solche ernst genommen werden muß. Sie reicht von niederstem Aberglauben bis zu verantwortungsbewußter Ergriffenheit von ihrem Gehalt bei einer großen Zahl von urteilsfähigen Menschen — darunter eine ganze

Reihe von Psychotherapeuten —, die praktisch mit der Geburtskonstellation als diagnostischem Hilfmittel umgehen. Sie bleibt so lange ein Zankapfel fruchtloser Streitgespräche, bis durch vorurteilslose Untersuchungen eine Entscheidung möglich wird, was Spekulation und

Täuschung, was beweisbare Tatsache und was intuitive Kunst der Deutung ist, die sich mit den analytischen Methoden der Wissenschaft nicht zureichend erfassen läßt.“ Man sieht, die eingangs gestellt Frage, Aberglaube oder Wissenschaft, ist gerade hier eine unproblematische Alternativfrage.

Die empirischen Untersuchungen

Wie schon erwähnt, war bereits Kepler aufgefallen, daß bestimmte Gestirnskonstellationen iniv Horor skopen von Angehörigen der gleichen Familie in scheinbar: überzufälliger Häufigkeit auftreten. Die (hochentwickelten statistischen Methoden unserer Zeit erlauben nun, daß gerade auf dem Gebiet der planetaren Heredität (Vererbung von Gestirnskonstellationen) exakte Überprüfungen der astrologischen Lehre vorgenommen werden können. Hier wäre vor allem die Arbeit des Schweizers K. E. Krafft zu er-

wähnen, der glaubte, mittels exakter statistischer Methodik den einwandfreien Nachweis für die planetare Heredität erbracht zu haben. Leider sind seine diesbezüglichen Untersuchungen, obwohl sie bereits im Jahre 1929 abgeschlossen waren, nicht entsprechend überprüft worden. In den fünfziger Jahren wurde der Pariser Diplompsychologe Michel Gauquelin durch die Lektüre von Kraffts Arbeiten zu einer eigenen Untersuchung angeregt. Er analysierte 24.000 Horoskope, die er nach Berufskategorien ordnete. Gauquelin soll zu dem Schluß gelangt sein, daß bestimmte, in der astrologischen Tradition enthaltene Behauptungen bis zu einem gewissen Grade erhärtet werden konnten.

Die praktische Anwendung

Für die neueste Forschung auf astrologischem Gebiet sind besonders die „Experimente in blinder Diagnose“ bemerkenswert, die Professor Bender seit einigen Jahren im Freiburger Institut für Grenzgebiete der Psychologie durchführen läßt. Bei den blinddiagnostischen Experimenten werden psychologische Persönlichkeitsbeurteilungen, die auf Grund von konventionellen Intelligenz- und Persönlichkeitstests sowie Lebenslaufanalysen erstellt werden, von erfahrenen Fachpsychologen mit astrologischen diagnostischen Gutachten verglichen. Das wesentliche am blinddiagnostischen Verfahren liegt in der Tatsache, daß derjenige, der die astrologischen Gutachten erstellt, mit der von ihm beurteilten Persönlichkeit nicht bekannt ist und außer den genauen Geurtsangaben (Geschlecht, Zeit und Ort der Geburt) keine weiteren Angaben mehr zur Verfügung hat.

Mit Wahrscheinlichkeit haben also astrologische Überlieferungen einen beträchtlichen wissenschaftlich über-

prüfbaren Wahrheitsgehalt aufzuweisen; was natürlich nicht heißt, daß jedes kleinste Detail des astrologischen Systems richtig ist. So bemerkenswert dies im allgemeinen ist, so problematisch ist dies vorläufig noch für die konkrete Praxis. Wenn tatsächlich aus einem Horoskop Aussagen über charakterliche Besonderheiten, über Schicksalstendenzen, über organische Anfälli' keiten usw. möglich sind, so besteht gerade hier die Gefahr, daß diese Aussagemöglichkeiten einseitig überwertet werden und damit der Mensch in eine bestimmte Richtung ausweglos determiniert wird. Es ist daher notwendig, darauf hinzuweisen, daß man aus einem Horoskop nur mit mehr oder wenige Wahrscheinlichkeit bestimmte Aussagen ableiten kann. Außerdem muß folgendes beachtet werden: Jede astrologische Aussage hat theologische, philosophische, medizinische und psychologische Aspekte.

Der differenzierte Sinngehalt der astrologischen Lehre ist durch das kausal-mechanistisch naturwissenschaftliche Denken des 19. Jahrhunderts weder zu widerlegen noch zu erklären. Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß im Tierkreis sich nun auch physikalische (elektrische) Kräfte haben nachweisen lassen. Erst seit kürzerer Zeit weiß man von der Existenz eines gigantischen Kraftfeldes in der Ekliptik (Astrologischer Tierkreis).

Die Astrologie befindet sich also in der eigentümlichen Situation, daß sie wohl naturwissenschaftliche experimentelle Zugangsmöglichkeiten hat, die für ihre exakte Grundlage auch beschritten werden, daß aber ihr geistiger Gehalt eine entsprechende philosophische Interpretation fordert. Die Beschäftigung mit der Astrologie verlangt wissenschaftliche Aufgeschlossenheit ebenso wie Ehrfurcht vor dem wunderbaren umfassenden Wirken des Weltenschöpfers, das im astrologischen System in seinem Universalzusammenhang auf einmalige Weise dargestellt ist.

Die Heiligen Drei Könige sind einst einer Jupiter-Saturn-Konjunktion in den Fischen gefolgt, um Christus zu finden

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