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Das Horoskop

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Astrologie! Hat die uralte Sterndeutungs- lehre mit ihrer angeblichen Zukunfts- unc Schicksalsdeutungskunst überhaupt in unserer Aufklärungszeit noch eine Daseinsberechtigung? Kann sie dem modernen Menschen noch etwas bieten und bedeuten? Darf man in der Welt des heutigen Wissens noch im Ernst behaupten, daß Zukunft, Schicksal und Charakter ursächlich mit dem Lauf der Planeten verknüpft seien und von den antiken Tierkreiszeichen als von wirklichen kompakten Raumgrößen beeinflußt werden? Darf man es wagen, etwa folgende These zur wissenschaftlichen Diskussion zu stellen: „Der sensitive Punkt für Liebe und Ehe im fünften Haus weist auf eine Ehe mit einer jungen Person, auch deutet dieser Punkt im fünften Haus auf Bekanntschaften mit Personen des anderen Geschlechts bei Ausflügen und Vergnügungen, Landpartien ...?“ Ob wir in einem neueren Astrologielehrbuch lesen: „Die erste und einflußreichste Würde eines Planeten ist die Beherrschung und das Verweilen in .seinem Hause'", oder das Kauderwelsch von „feurigen“ und „erdigen“ Zeichen und „Taghäusern“, von „Vernichtung“ und „Erhöhung“ der Planeten, von ihrer unheilvollen Wirkung im „Quadrat" und von Glück und Segen im „Trigon“, immer finden wir dasselbe Durcheinander symbolischer und rationeller Elemente und dasselbe uralte Planetenjargon, das auch schon vor 5000 Jahren die Handbücher der babylonischen Astrologie oder das konfuse „Vierbuch" des Claudius Ptolemäus von Alexandrien um 160 n. Chr. bieten, oder irgendeine Bauernpraktik des 15. und

16. Jahrhunderts. Astrologie ist ein Rückfall der Kulturvölker in das Zeitalter der Babylonier.

Heute lebt die Astrologie wieder auf, blüht und erfährt wie nah dem ersten Weltkrieg eine neue Inflation trotz aller Belastung durch die Jahrhunderte. Die verschiedenen Gebiete des astrologischen Okkultismus, die Praxis des siderischen Pendels, die Lehre der Talismane auf astrologischer Berechnung, die verschiedenen astralen Heilmethoden, die Reklamen gewisser Firmen auf astrologischer Grundlage, die „Monatssteine" mit ihrer astralen Edelsteinsymbolik beweisen das Fortwuchern des Sternglaubens und der astrologischen Praktiken, die in der dem Menschenherzen angeborenen Zukunftslüsternheit und Schick- salsdeutesucbt einen üppig wuchernden Wurzelgrund finden.

Die Astrologie ist ein Januskopf mit einem Doppelgesicht. Bis zum Beginn des

17. Jahrhunderts mit seinen großen Umwälzungen auf naturwissenschaftlichem Gebiet umgab eine Ehrfurcht eigener Art die Astrologie wegen ihrer ständigen Verbindung mit der Astronomie, der strengen Wissenschaft von der Bewegung und Verteilung der Gestirne im Weltall. Das erklärt ihre Lebenskraft durch die Jahrhunderte. Sterndienst war heiliger Dienst. Nur diese Auffassung wird dem Wesen der alten' Astrologie gerecht, die in ihr Wissenschaft und Religion zugleich sieht. Auch die ältesten Texte der griechisch-ägyptischen Astrologie bezeichnen die Sterndeutung stets als eine von den Göttern geoffenbarte Wissenschaft. Die feste Überzeugung für diese großartige Einheitlichkeit alles Geschehens im Natur- und Menschenleben war die Voraussetzung, daß das Universum e i n Organismus und eine Planmäßigkeit ‘und damit eine wunderbare Sinnhaftigkeit sei. Himmelserscheinungen und Erderscheinungen laufen in parallelen Rhythmen. Wie droben, so unten. Am Himmel die Ursache, auf Erden die Wirkung. So steht die Astrologie in der Geistesgeschichte der Menschheit als eines der seltsamsten Gebilde, das je Religion und Wissenschaft hervorgebracht haben, als einer der „großartigsten Versuche systematisch konstruktiver Weltbetradiung. der je vom menschlichen Geiste gewagt wurde" (Cassirer).

Mit der Entwicklung der modernen Wissenschaften, namentlich der Astronomie mit der Ausweitung des Raumbegreifens wurden die Mauern des bisherigen astrologischen Weltgebäudes, wonach die Erde der Mittelpunkt des Alls ist (geozentrisches Weltsystem), zersprengt. Was heute sich als Astrologie bezeichnet, ist ein blutleeres Gebilde, das nicht einmal den Rang einer erfahrungswissenschaftlichen Hypothese besitzt. Ein spekulierendes Geschäftsunternehmen mit einer wissenschaftlich wertlosen Literatur, die in ihrer Gesamtheit ein trostloses Bild kindlicher, zum Teil völlig verstiegener Anschauungen bildet. Vor mir liegt eine jetzt massenhaft gekaufte kleine Broschüre: „Zwölf Frauentypen und ihr Verhalten gegenüber dem starken Geschlecht — eine astrologische Betrachtung“, in der sich unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit das sexuell-erotische Moment breit macht und dem üblen Erzeugnis schlimmster Brunnenvergiftung seine Zugkräftigkeit verleiht.

Von dieser plumpen Jahrmarktsastrologie ist sicher die wissenschaftliche zu unterscheiden, die sich der astrologischen Idee voll Interesse zuwendet, aus der Erkenntnis heraus, daß in den Gegebenheiten zwischen Kosmos und Leben eine Welt voll Bedeutung und fruchtbarster Gesichtspunkte liegt. Aber trotz aller Verwahrung der wissenschaftlichen Astrologie, von denen es nach den Worten eines ernsten Astrologen „noch nicht so viele wie Finger an der Hand" (Eitner: Der Rhythmus des Lebens. Berlin, 1930. S. 20) in Deutschland gibt, bedeutet die Trennung der populären von der wissenschaftlichen Astrologie eine Abstraktion, denn beide gehen in der Praxis zu leicht ineinander über, und die grobabergläubische lebt von der Autorität der wissenschaftlichen. Es ist hier nicht der Platz, auf all die wissenschaftlichen Bedenken gegen die Astrologie einzugehen: auf die Uneinigkeit der Astrologen über die elementarsten Faktoren des Horoskops (Tierkreis, Häuser, Aspekte), die Unvereinbarkeit der Zwangsläufigkeit des Geschehens mit der Willensfreiheit, der der ganzen Astrologie zugrunde liegende Symbolismus usw. In seinem „Lehrbuch für kosmo- biologische Forschung“ Bd. I (Augsburg 1928, S. 68), muß selbst K. E. Krafft, der bekannte Schweizer Statistiker gestehen: „Gesichert im kritisch-wissenschaftlichen Sinne ist heute vom astrologischen Lehrgebäude denkbar wenig und wo bisher Beziehungen zwischen Vorgängen im Weltall und irdischen Verhältnissen haben nachgewiesen werden können, ist dies zum Teil außerhalb des Rahmens der Überlieferung geschehen, des öftern sogar in augenfälligem Gegensatz zu den dort geläufigen Regeln."

Auch das „Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens“ kommt nach kritischer Prüfung aller Grundlagen, die dem Anspruch der Wissenschaft nicht genügen, zum Ergebnis der Ablehnung der Astrologie und zum Schluß, „daß auch das Traditionsgut des deutschen Volkes keinen Anspruch hat auf wissenschaftlichen Wahrheit'wert, sondern Glaube ist, und zwar Aberglaube im eigentlichen Sinne des Wortes, indem in den hier in Betracht kommenden Untersuchungen sich nicht einmal der Niederschlag einer ursprünglich geglaubten Religion widerspiegelt, sondern aus für die Deutschen sehr anfechtbaren Voraussetzungen hergeleitet sind, die einer verzweifelten, um die individuelle Zukunft bangenden Menschheit als seelischer Halt dienen“. (Stegemann: Horoskop. Spalte 398 bis 399.)

Gegenüber den bettelhaften und armseligen Elementargöttern und astrologischen Schicksalsmächten sah das Christentum von Anfang an im Gestirnkult das Erbe heidnischer Antike und kannte nur entschlossene Abwehrstellung, vor allem wegen des Ausforschens des göttlichen Willens und der völligen Schicksalsgebundenheit durch den ehernen Gestirnmechanismus. Dekrete der Konzilien, Kirchenlehrer und Kirchenschriftsteller sahen in der Astrologie wegen der mit ihr eng verbundenen Magie eine „teuflische“ Kunst und Verrat am Vorsehungsglauben.

Shakespeare sagt im „König Lear": „Das ist die ausbündige Narrheit dieser Welt, wenn es mit unserem Glück übel aussieht, oft durch Überladung unseres Wissens schieben wir die Schuld unserer Unfälle auf Sonne, Mond und Sterne — als wenn wir Schurken wären durch Notwendigkeit, Narren durch himmlische Einwirkung, Schelme, Diebe, Verräter durch sphärische Übermacht, Trunkenbolde, Lügner und Ehebrecher durch notgedrungene Abhängigkeit von planerischem Einfluß.“

Das uralte quälende Menschheitsproblem, menschliche Willensfreiheit und göttliche Allwissenheit in Einklang zu bringen, löst der christliche Glaube, der uns jene Kraft und Gnade schenkt, daß wir in eigener Selbstbestimmung unser Glück erringen nach einem tiefen Worte von Angelus Silesius: „Ich selbst muß Sonne sein, ich muß mit meinen Strahlen das farbenlose Meer der Gottheit malen.“

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