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Durch Verklausulierung der festeren Aussagen, durch offensichtlich beabsichtigte Ungenauigkeit und Mehrdeutigkeit der Formulierungen, durch deren Mischung mit Allgemeinplätzen und nicht bindenden Standardangaben werden jedenfalls so viele Lesearten möglich, daß es trotz allem nicht leicht ist, die Unstimmigkeit verschiedener Horoskope gleichen Tages durch präzisen Vergleich nachzuweisen: so wie sie selbst deuten wollen, sind sie in sich deutbar, und letztlich lassen sich hernach auch die Ereignisse bei einigem Bemühen so betrachten, daß das Horoskop ihnen wenigstens nicht widersprochen hat. Dies gilt namentlich für die Gruppe, die sich auf bestimmte, nachprüfbare Prognosen einläßt. Mit Bestimmtheit jedoch kann man anhand jeder Vergleichsreihe feststellen, daß alle Horoskope weniger aus dem Stand der Sterne berechnet als vielmehr von Praktikern der Massenpsychologie, die sich Astrologen nennen, zusammengestellt sind.

Die Verbreitung der astrologischen „Fachpresse” ist genau so erstaunlich wie ihr Inhalt. Zum Teil sind es Organe von Vereinen oder Zusammenschlüssen. Doch wie erklärt sich der Erfolg von astrologischen Zeitschriften, wenn — wie bei der ältesten europäischen in England — eine Auflage von 400.000 erreicht wird? Die Werbewirkung auch, der deutschen, als „Zeitung” kaum getarnten Wochenblätter geht ins Volksganze!

Es gibt im deutschen Sprachraum mehrere dieser Blätter, die im Kioskvertrieb sich den Anschein seriöser Presse zu geben versuchen — und lebhaft gekauft werden. Am bekanntesten ist wohl eine mit dem Untertitel „Politik — Astrologie — Unterhaltung”. Die Lektüre einer einzigen Ausgabe genügt zur Charakterisierung: aus ihr spricht eine fanatisch-abstruse Geistesverfassung mit dumpf-fatalistischen und ethisch anrüchigen Konsequenzen für die Lebensführung des einzelnen. Ein zweites Blatt des gleichen Verlages ist auf das zuerst genannte genau abgestimmt: während dieses den halbwegs seriösen Ton einer normalen Wochenzeitung anschlägt, befleißigt das andere sich eines Massenblattstils mit inhaltlich starker Bindung an Aktualitäten. Eine dritte astrologische Zeitung wieder, die sich im Untertitel „das führende Weltblatt für alle Fragen der kommenden Entwicklung” nennt („In mehr als 70 Ländern der Erde verbreitet!”), verzichtet im halb schwarz und halb rot gedruckten Text auf die Gegenwart, um ausschließlich Prognosen der näheren und ferneren Zukunft zu geben.

Noch aufschlußreicher als die leider so vielgelesenen Verschrobenheiten der Texte scheinen uns die Inserate; sie nämlich zeigen die Konsequenzen und Abirrungen mit schlagender Deutlichkeit: Angebote privater Astrologen auf Jahres- und Lebenshoroskope (zwischen 20 und 60 DM Honorar) und Charakterdeutung (ab 10 DM) sowie sogenannte Lottoschlüssel für das laufende Jahr. Daneben als angrenzende „Wissenschaften” je einmal Handlesekunst (Forschungskreis) und Superhypnose (Lehrschrift), als weltanschauliche Werbung ein Inserat des „Ordens vom Rosenkreuz” und die Empfehlung einer Monatsschrift „für Okkultismus, Jenseitsforschung, Magie, Mystik, geistiges Heilwesen und ähnliche Gebiete”. Zudem: „Galante Luxuswäsche” (Modellmappe)

Tn einem anderen Blatt: Buch- und Bildempfehlungen, über deren Charakter kein Zweifel sein kann. Allein 15 Inserate von „kuriosen” oder „besonderen Büchern”, „interessanten Photos”, „Spezialmagazinen” und Spezialliteratur („Nur für reife Men-

sehen!”), Farbdias, Stereoserien usw., dies in Verbindung mit „hygienischen” oder „sanitären Artikeln” und Präparaten (zum Beispiel Stimulanzen) — und wahllos untermischt mit Anzeigen von Briefbünden, Lottoschlüsseln, okkulter Literatur („Gespräche mit Toten”, „Das Pendel in deiner Hand”); angepriesen wird wieder Hypnose, ferner Alraunewurzel („uralter, magischer Naturtalisman”) und ein als Bestseller bezeichnetes Werk über „Religiöse Astrologie”.

Sind sie wirklich nur dumm, diese Hunderttausende in Deutschland, Millionen in Europa und Amerika, die heute ihr Privatleben und ihre geschäftliche Existenz dadurch beeinflussen lassen, daß sie sich entweder nach den wirren Angaben der Pressehoroskope richten oder von Fall zu Fall Astrologen um honorierten Rat fragen? Zwar spricht niemand davon; es ist ein heimliches Tun des einzelnen, so als ob das Horoskoplesen unerlaubt oder es doch beschämend sei, aus der dunklen Quelle zu schöpfen. Umgekehrt liegt gerade in dieser Obskurität übermenschlicher „Informationen” ein nicht zu übersehender Anreiz. Viele greifen zum Horoskop als „heimlichem Medikament”, wenn in Familie, Beruf oder Gesundheit nicht alles zum besten steht. Und das geht so weit, daß tatsächlich das Lebensverhalten nach dem Horoskop ausgerichtet wird. Widersprechen sich zwei oder drei Horoskope, stellt man Spekulationen an, um den „realistischen astrologischen Mittelweg” herauszufinden.

Dann ließe sich also bei uns fast jeder fünfte Horoskopkonsument in seinem privaten und beruflichen Dasein von den „Sternen” bestimmen, gleich was aus dieser angstvollen Abhängigkeit für ihn folgt. Die optimistische Meinung, in vollem Lebensernst glaube wohl keiner an solche Weisungen, ist auch wohl hinsichtlich der Konsumenten kaum berechtigt. Man kann sich nicht auf die Redensart beschränken, es handele sich halt um eine Sucht, sich der Lenkung durch irrationale Mächte anzuvertrauen, wenn von der Vernunft her viele Handlungsfaktoren fragwürdig werden und ein Bedürfnis nach Sicherung im vor aus herrscht, die sich durch kein Elektronenhirn errechnen läßt.

Ist es etwa nicht eine Krankheit, wenn eine britische „Börsenastrologin” an die 1500 Firmen in Mitteleuropa und den USA als feste Kunden zählt, und wenn diese Kunden ihre Transaktionen nach den Deutungen der Beraterin ansetzen? Oder ist es ein Zeichen christlich verantworteter Demokratie, wenn die „Pythia von Rhöndorf”, Elfriede Keiser, unter ihren rund 2000 geburts-, politik- oder geldaristokratischen Klienten auch Bonner Prominenz zählt? 60 Prozent dieser Kundschaft sind Akademiker, und ihr Andrang macht „erhebliche Lieferfristen” erforderlich. Aus welchem zureichenden Grunde lassen sich Politiker und Wirtschaftsführer, unter Ausschluß ihres sonst so unbestechlichen, tiefgekühlten Verstandes, Schicksalsstunden für ihre Entscheidungen und Beschlüsse „errechnen”? Die Vorstellung, wieviel echtes Schicksal, wieviel geschichtsbildende Wirklichkeit aus den trüben Quellen dieser Astrologie gespeist wird, ist bedrückend.

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