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Sie wer Jen eine Reise maclien

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Seitdem ich allwöchentlich mein Horoskop lese, hat das Leben wieder Inhalt bekommen. Sonst passierte rein gar nichts, jetzt hingegen: „Sie stehen vor wichtigen Entscheidungen“, „Jetzt heißt es für Sie, die Nerven nicht verlieren!“, „Befragen Sie jetzt mehr Ihr Herz als Ihre Vernunft“ — kurz, meine Existenz ist recht spannend geworden, so daß ich das funkelnde Firmament (abends nach dem Kino) wie einen sensationellen Spezial-korrespondenten begrüße. Zwar passiert noch immer nichts, doch ich habe immerhin das Gefühl, daß man sich dort für mich interessiert. Es ist, als ob man durch irgendein Schlüsselloch in die Zukunft blinzelt. Darum rate ich jedem, das Horoskop, und am besten gleich mehrere, zu lesen. Man lernt allerhand zu über sich. Man ist wer.

Hiemit erlaubte ich mir, mich als Skorpion vorzustellen. Wenn ich auch nicht viel im Leben erreicht habe, dieses ist immerhin etwas: ich bin ein Skerpion-mensch. (Jedenfalls mehr als Nichtraucher.) Das Tier soll ziemlich giftig sein. Meine Bekanntschaft mit ihm beschränkt sich darauf, daß ich einst in Malaria-Paroxysmen auf dem Bette lag, während zwei Krankenwärter den von oben gefallenen Skorpion in munterer* Hätz rund um mein Lager jagten. Ohne Zweifel befand ich mich in seinem Tierkreis. Gut, daß ich das weiß, denn eigentlich bin ich schon fast ein „Schütze“, weshalb ich auch stets an den Schaufenstern der Flintengeschäfte stehenbleiben muß. Schade, daß ich mein Zurweltkommen nicht auf die Minute in Erinnerung halte, denn dann könnte mir die genaueste Nativität gestellt werden, ein Horoskop in Präzisionsausführung — wie Merkur, Venus, Jupiter und Neptun sich damals gerade gestanden haben. Ich tippe dabei stark auf Neptun, denn als Kind war ich ein ergiebiger Tränenerzeuger und fühle noch heute einen heftigen Drang zum Wasser und zu jeglicher Meerfahrt. Warum nicht? Wenn alles mit allem zusammenhängt (und sonst müßte ja das Universum zusammenstürzen), dann werden wohl auch die Sterne auf die Menschenmikrobe „Ich“ ihren Einfluß haben. Die Astrologie ist ein solides, seriöses Geschäft, zumal da sie ihre Revenuen aus einem Gebiete einstreicht, wo ihr niemand dreinreden kann: der Zukunft. Wenn man Bulter-troma, nur wenig gebrauchte Hosen, Staubsauger und Gedichte verkaufen kann, warum soll man dann nicht auch die Zukunft auf den Markt werfen? Die Gegenwart ist ja nicht viel wert und ergibt durch die tiefenpsychologische Diagnose „Du bist ein Trottel“ höchstens eine Gerichtsklage, wo man den Trottel noch entschädigen muß. Die Vergangenheit läßt sich auch höchstens durch Jugenderinnerungen oder Erpressungen verwerten. Aber die Zukunft, die hat noch eine, da gerade nach ihr bei den Sterblichen zunehmende Nachfrage besteht. Mein visionäres Auge sieht k Amerika, dem Lande der Zukunft, bereits an den Straßenecken rotlackierte Horoskopautomaten aufgestellt: „Man werfe 50 Cent in den Schlitz, stelle den Zeiger aufs Geburtsdatum ein und ziehe am Handgriff.“ Dann schnurrt das Schicksal sphinxartig im Apparat und wirft dir einen Kupon heraus, wo alles über dich steht: was du für einen Charakter hast, ob du Geld verdienen wirst, ob Er (Sie) blond oder brünett ist, und worauf du im Leben achtgeben mußt. Jede Woche neue Nachfüllung! Wie schmeichelhaft — die Sterne haben sich um mich abgezappelt. Noch nie hat ein Horoskop gesagt: „Mein Lieber, du bist leider nicht ganz gelungen. Du besitzest eine Herzkammer, eine Hirnschale, eine Familie und einen Arbeitsplatz, nicht mehr und nicht weniger. Dein nichtssagendes Leben wird einen nichtssagenden Verlauf nehmen. Du hinterläßt eine Lücke, die dich ersetzt.“ Aber dabei soll es solche Leute doch geben; sie sollen sogar, munkelt ein Magus, zuweilen die kompakte Majorität ausmachen. Und seltsamerweise hat der Normalmenschrecht! Nämlich mit der Uberzeugung, daß gerade sein Leben von ungeheuerster Wichtigkeit sei — und unrecht nur darin, daß er den Bedeutungsakzent komischerweise auf Geld oder Einfluß oder Markensammeln setzt. Doch sein Grundgefühl täuscht ihn nicht. (Das ist.es ja, was uns am „Osten“ mißfällt, daß er den Menschen nur in der Addition, nicht an sich, wichtig nimmt.) Und hier enthüllt sich die Rolle des Horoskops: es ist Religionsersatz. Denn in unserer Religion ist auch der Geringste von einem Wert, gegen den alle Sternenhimmel erblassen: Gott selbst hat sich für ihn geopfert. Wer Religion hat, dem sind also in dieser Hinsicht die Sterne schnuppe. Wer sie nicht hat (das ist letztlich eine Sache des Willens, nicht der Gabe; Gott zwingt nicht mit 2X2 = 4) — der ehaut einer Lichtspur am Himmel nach und wünscht sich was. Mit jenem Stern, der über jenem Hause in Bethlehem stehenblieb, hat das Firmament seine Beratungsaufgabe erfüllt. Es jetzt noch weiter befragen, hieße es entwürdigen.

Mit der Zukunft stehen sich die Astrologen gut, sie stehen sich überhaupt gut, mit der zukunftsgierigen Gegenwart natürlich auch — nur mit der Vergangenheit, da fängt es an zu hapern. Denn diese hat die widerliche Eigenschaft, einer exakten Kontrolle zugänglich zu sein. Auf den Schrei der Branche: „Bitte, es ist alles eingetroffen!“ nickte die Wissenschaft bloß freundlich, nahm einhundert wohlbekannte Lebensläufe, deren Geburtsstunde ermittelt, war, stellte denen nach allen Regeln das Horoskop und ließ sodann die Statistik sprechen. Das Ergebnis war. wie bei allen großen Erwartungen, enttäuschend: etwa 20 Prozent gingen mit dem Horoskop, bei 30 Prozent konnte man noch eine entfernte Ähnlichkeit hineinschauen, und die übrigen 50 Prozent halten sich um ihr Horoskop überhaupt nicht gekümmert. Also eine Schicksalstombola mit zwanzig Treffern'auf hundert. Man verstehe: dieses Ergebnis war noch peinlicher, als wenn sich kein einziger an das Horoskop gehalten hätte... Ich möchte zu einer verbesserten Wiederholung des Experiments raten. Auf dem Erdball werden in jeder Minute viele Kinder geboren. Der Nativität nach müßten sie einen ähnlichen Charakter und ähnliche Schicksale haben (ich weiß, die Astrologen leugnen den freien Willen nicht — aber nur deshalb, weil sie nicht anders können). Man greife zwanzig der Minutengeschwister heraus und beobachte' im geheimen ihr Leben: etwa fünf Amerikaner, fünf Europäer, fünf Asiaten und fünf Neger. Dann, nach 80 Jahren, wird man vielleicht klarer sehen und der Vorsehung in die Karten gucken. Die Sache ist ja verwickelt: nannte man diesen Stern Venus, weil er der Liebesstern war, oder war er der Liebesstern, weil man ihn Venus genannt hatte? Und ebenso Mars, und ebenso Merkur, he? Dann, weiter: damit, daß alles mit allem zusammenhängt, und also auch die Sterne irgendwie mit den Menschen, muß man ja einverstanden sein. Warum beachtet man aber nur den allernächsten Sternenstaub unseres Planetenstaubkornes, und nicht auch die Milchstraße oder etwa die riesigen Spiralnebel? Die haben doch auch was dreinzureden. Aber gerade mit denen spießt es sich, weil unsere Intellekte und Teleskope nicht ausreichen... Als ob sich Sterne um unsere Teleskope kümmern! Bescheiden wir uns also mit der Erkenntnis, daß jedenfalls die Astrologie eine gesicherte Zukunft hat, zumindest solange Eitelkeit, Neugierde und Angst zu den dauernden menschlichen Beweggründen zählen. Die Astrologie ist bereits anno Kopernikus zusammengebrochen, aber das tut nichts. Fatalismus war von jeher eine innere Krankheit Europas und wird bei jeder überhitzung oder Erkältung des Glaubens aus diesem leicht herausgefällt. Denn natürlich will so ein Wallenstein oder eine Alliierte Heeresleitung wissen, wie's ausgeht. Die Astrologen wollen auch leben. Sie sind unter einem günstigen Aspekt geboren.

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