6757719-1968_02_11.jpg
Digital In Arbeit

Mystik und Ideologie

19451960198020002020

PERSPEKTIVEN TEILHARDS DE CHARDIN. Acht Beiträfe zu seiner Weltanschauunf und Evolutionslehre. Herausgegeben von Helmut de Terra. Verlag C. H. Beck. München 1966. 218 Selten. DM 9.8«.

19451960198020002020

PERSPEKTIVEN TEILHARDS DE CHARDIN. Acht Beiträfe zu seiner Weltanschauunf und Evolutionslehre. Herausgegeben von Helmut de Terra. Verlag C. H. Beck. München 1966. 218 Selten. DM 9.8«.

Werbung
Werbung
Werbung

Ernst Benz behandelt in seinem Beitrag „Zum theologischen Verständnis der Evolutionslehre“ keineswegs das angegebene Thema, sondern stellt die Behauptung auf, daß in der politischen Evolutionslehre Franz von Baaders — die in Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution konzipiert wurde—ein heilsgeschichtliches Verständnis der Evolution gegeben sei. Da es außerdem nach Benz zwei Bereiche göttlichen Willens gibt: die Natur und die Heilsgeschichte (S. 16) — eine mehr als problematische Einteilung —. läßt sich, natürlich sehr leicht noch ein Zusammenhang mit der biologischen Evolutionsidee und den Lehren Teilhards de Chardin konstruieren, denn „in ihrem Ziel konvergieren Evolution und Heilsgeschichte“ (S. 42). Zusätzlich bringt der Beitrag jedoch einige interessante Aspekte der Auseinandersetzung mit verschiedenen Evolutionsideen im 19. und 20. Jahrhundert. Aus diesem historischen Überblick wird der Schluß gezogen, daß viele Ideen Teilhards im vorigen Jahrhundert präformiert waren, daß er es aber war, der sie in die heutige geistige Situation des römischen Katholizismus (Was ist das?) eingeführt hat (S. 47). Besonders ärgerlich ist die unkritische Verwendung von Schlagworten wie z. B. „moderne Natur-

Wissenschaft“ (S. 48)), noch dazu, wenn sie so präzisiert wird: Atomforschung (klingt gut, sagt aber nicht viel aus), Zellbiologie (auch ein „umfassender“ Begriff), Gen-Chemie (diese Wissenschaft gibt es leider noch nicht), Virenforschung (siehe unter Atomforschung). Es gibt ja heute keine Ideologen mehr, die sich nicht auf die „moderne Naturwissenschaft“ und ihre Ergebnisse berufen; daß es sich hier eindeutig um Ideologie handelt, wird klar, wenn uns die Teilhardsche Weltanschauung als Erlösungslehre an- geboten wird, mit deren Hilfe die Befreiung von den „negativen Aspekten einer Theologie und Philosophie der Resignation, von Existentialismus und theologischer Dialektik, lähmendem Sich-Zurück- wenden auf die Analyse der eigenen Existenz, von dem Wühlen in den eigenen Abgründigkeiten, von der Koketterie mit dem ,Sein zu Tode , von dem Verfallensein an die Faszination des Bösen“ (S. 48, 49) möglich sei: Nur geistiger Totalitarismus bringt es zuwege, das Ringen um die Probleme menschlicher Existenz mit einem Schlag zu beenden.

Madeleine Barth ėlemy-Madaule kämpft in ihrem Artikel gegen die Ablehnung Teilhards durch die zeitgenössischen Philosophen, die sie schelmisch ein „Orchester der Berufsphilosophen“ nennt (S. 53). Nach äußerst mühsamen Überlegungen kommt sie zu dem Schluß, daß ein

Philosoph ein Mensch sei, der unaufhörlich sein Denken ausweitet, im Gegensatz zum Gelehrten, der nur einen begrenzten Ausschnitt des Phänomens erfasse (S. 56). Mit

Hilfe dieses nichtssagenden Satzes kann man nun Teilhard de Chardin als Philosophen betrachten; doch sprunghaft — wie die Autorin nun einmal argumentiert — erklärt sie plötzlich, daß Teilhard die Wissenschaft erneuere (welche?) und seine Schau mystischen Ursprungs und keine Philosophie im eigentlichen Sinne sei (S. 60). Wozu also dann das Bemühen um die Anerkennung durch die Philosophie?

Ein weiterer unkritischer Epigone kommt mit F. G. Eliiott zu Wort, der uns in seiner Abhandlung über „Pierre Teilhards de Chardin Weltanschauung“ versichert, es handle sich hiebei um ein „neues Denken, eine neue Methode, eine neue Terminologie“; Teilhard sei „einzigartig in seinem Anspruch auf Vollständigkeit bei der Betrachtung des Menschen und seines Universums“ (S. 67). Man wundert sich nur, daß ein besseres Verständnis dieses neuen und einzigartigen Systems nur durch eine so triviale Dreiheit wie „Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ möglich sein soll; wobei allerdings nach Ansicht des Autors eine Differenzierung in „die nahe Vergangenheit im Gegensatz zur weit zurückliegenden und die nahe Zukunft im Gegensatz zur ferneren“ von Vorteil wäre. Banaler geht es nicht mehr.

Aus der Schwierigkeit, die Unterscheidung zwischen lebender und lebloser Materie mit Hilfe chemischphysikalischer Argumente zu treffen, schließt Eliiott, daß es diesen Unterschied gar nicht gibt. Das braucht er allerdings, um die Evolution beim Atom beginnen lassen zu können. Wenn wissenschaftliche Erkenntnisse bei der teleologischen Betrachtung der Naturvorgänge hinderlich sind, werden sie mit einem plumpen Argument gegen die empirische Wissenschaft wegdiskutiert: durch die Beschränkung der Gültigkeit der Gesetze auf den „Bereich der Meßgeräte und Laborgefäße“ (S. 73). Der Versuch die Naturphänomene in das Schema von „Divergenz, Konvergenz und Emergenz“ zu pressen, führt zu keinen neuen Erkenntnissen und hat daher höchstens nomen- klatorischen Wert. Nach dem Lesen dieses Beitrages fragt man sich, ob diese Ungereimtheiten wirklich die Weltanschauung Teilhards darstellen, die Eliiott ja eigentlich beschreiben wollte?

Für Kenner fernöstlicher Mystik und Philosophie dürften die Abhandlungen „Teilhard de Chardin und Sri Aurobindo“ von Emst Benz und „Die Weltanschauung Teilhards de Chardin im Spiegel östlichen Denkens“ von Lama Anagarika Govinda von einigem Interesse sein.

Die Untersuchungen „Zur Sprache und Begriffswelt von Pierre Teilhard de Chardin“ von Fritz Paencke zeigen die Schwierigkeiten auf, die dadurch entstehen, daß für ein „synthetisches System aus paläontologischen, bio logischen, anthropologischen und theologischen Erkenntnissen“ (S. 167) nicht die Terminologie einer einzelnen Fachwissenschaft übernommen werden kann. Dies führt bei Teilhard zu einer Neuschöpfung von Begriffen, an die das Kriterium der Prägnanz allerdings nicht angewendet werden kann.

In seiner Bemerkung zu „Pierre Teilhards de Chardin Schrift ,La Mystique de la Science “ versucht Max Knoll, den unklaren Aussagen über „die neue Religion innerhalb der Wissenschaft“ einen Sinn zu geben; es ist jedoch schade, daß diese originellen und präzisen Überlegungen zur Rolle der Emotion in der naturwissenschaftlichen Forschung für einen derartigen Zweck angestellt wurden.

Adolf Remane zeichnet „Die Entwicklungslinien in der lebenden Natur“. Man nimmt dankbar zur Kenntnis, daß es sich der Autor versagt, mit den dargelegten Fakten Spekulationen irgendwelcher Art zu beginnen.

Das Buch ist eine über weite Strecken unkritische Apologie der Lehre Teilhards de Chardin; dort, wo Kritik geäußert wird, bleibt sie in den Ansätzen stecken. Das dürfte jedoch kein hinreichender Grund für die Herausgabe dieses Buches sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung