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Die Sozialisierung des Bauernlandes

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Für das Konzept der kommunistischen Agrarpolitik im Südosten wurde das Jahr 1950 durch drei Ereignisse bedeutsam: die Spannungen um den Koreakonflikt veranlaßten die Volksdemokratien zur beschleunigten Angleichung ihrer Landwirtschaften an das sowjetische Vorbild. Um die Kontrolle über den bäuerlichen Sektor schlagartig zu vereinfachen und wirksamer zu gestalten, mußte das Kominform allerdings Zwischenlösungen akzeptieren. Einen Meilenstein am „einzigen Weg in ein besseres Leben“ bedeutete ferner die Mißernte des Vorjahres im Balkan-Donau-Raum. Bei Mangelerschemungen bietet die zentrale Versorgung in diesen Staaten ein wesentliches Argument zur Agitation für das Kollektiv. Drittens aber bezeichnet Titos Abkehr vom sowjetischen Kollektiv seit dem letzten Herbst ein neues Experiment teilweiser Reprivatisierung: denn die jugoslawische Volksrepublik meldete vor Jahresfrist als Schrittmacherin der Kollektivierung 25 Prozent kollektivierte oder verstaatlichte Anbaufläche. Seither ist zwischen moskautreuen Statistikern und Belgrader Agrarpolitikern eina bewegte Diskussion entstanden, in der sie sich wechselseitige Mißerfolge in präzisen Hundertsätzen an den Kopf werfen. Der härteste Vorwurf des Kominform bezichtigt Marschall Tito, daß er darauf verzichtet habe, seinen Agrarstaat in ein Industrieland zu verwandeln. Im Grunde stehen jedoch nicht genossenschaftliche

Bewirtschaftungsmethoden, sondern Besitzverhältnisse — die Eigentumsfrage — zur Debatte. So lohnt es sich, dem Werden der Kolchoswirtschaften in dieser Phase ein besonderes Augenmerk zu schenken:

Die globale Zerschlagung des Bodenbesitzes in den Volksdemokratien durch die Agrarreformen von 1945 zielte bewußt auf die spätere Kollektivierung und Verstaatlichung der stark vermehrten Zwergbesitze. Trotz dieser Voraussetzungen wurde die bäuerliche Kollektivierung bis 1948 ein Fehlschlag. Der anhaltende, zähe Widerstand in der Bauernschaft des Südostens führte Ende 1949 zu einer neuen Taktik kommunistischer Agrarpolitik, deren Parole „Ohne Zwang!“ lautet. Uber geschickte Umwege hofft man, den offenen Widerwillen der bäuerlichen Besitzer weit wirksamer zu brechen als bisher.

Es gab im Südosten Anknüpfungspunkte für die gegenwärtige Kollektivierung der Landwirtschaft: die serbische „Zadruga“ mit dem Gemeinbesitz der Sippe; näherliegend, die totale Kollektivierung im Räteungarn Bela Kuns 1919; in Bulgarien ein noch bestehendes staatliches Genossenschaftswesen, das Stambulijski 1918 bis 1923 aufgezogen hatte. An sich beließ die Bodenreform

von 1945 den .Kulaken* Grundbesitz: in Rumänien bis zu 50 Hektar, in Bulgarien bis zu 36 Hektar, in Ungarn bis zu 100 Hektar, in der Tschechoslowakei bis zu 50 Hektar, im altpolnischen Gebiet bis zu 50 und im neupolnischen bis zu 100 Hektar. Der neugeschaffene kleinbäuerliche Besitz war, wie schon nach 1918, alles andere als krisenfest. Durch Krieg und Besatzungsverhältnisse war der Viehstand auf ein Minimum gesunken, der landwirtschaftliche Maschinenpark völlig verwahrlost. In Bulgarien gab es 1945 bei einer Million Bauernwirtschaften zwölf Millionen Parzellen, in der Tschechslowakei bei 1,400.000 Bauerngütern 33 Millionen Parzellen. Nur ein strenges Verkaufsverbot der aufgeteilten Hektarflächen und zusätzliche Enteignungsmaßnahmen, zunächst gegen Volksdeutschen Einzelbesitz, verhinderten die Neubildung gesunder Privatwirtschaften.

Trotz dieser gesetzlichen und parteipolitischen Maßnahmen versteifte sich der bäuerliche Widerstand gegen die Kollektivierung.

Der Klassenkampf auf dem Dorf bot nicht den erwarteten Erfolg; auch nicht, als praktisch jeder selbständige Bauer zum „Kulaken“ erklärt wurde. So gelangte die Kollektivierung bisher über das Stadium des Experiments an 10 bis 15 Prozent landwirtschaftlicher Nutzfläche nicht hinaus. Hinter diesem gar nicht so traditionellen“ Konservativismus der Bauern wurde schlagartig der geistige Hintergrund dieser Auseinandersetzung zwischen der individuellen und kollektiven Wertung des Menschen sichtbar. 1947 war ein schlechtes Erntejahr im Südosten. Allein die tschechoslowakische Landwirtschaft wies einen Abgang von 15 Milliarden Tschechenkronen auf. Der verschärfte Ablieferungszwang bewirkte, daß um die Wende von 1948 zu 1949 der erste keimhafte Erfolg der Kollektivierung sichtbar wurde. Bis zur Stunde aber melden volksdemokratische Presseorgane „kulakische“ Verstöße gegen die Ablieferungspflicht, das Verbergen von Erntevorräten, geheime Viehschlachtungen, Ermordung dörflicher Funktionäre.

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