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Blow-up der Konservativen

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Das in Großbritannien geltend System, wonach dem Premierminister die Festsetzung des Wahltermins überlassen bleibt, hat zur Folge, daß der Wahlkampf oftmals schon früh beginnt und lange anhält. Der Führer der konservativen Opposition, Edward Heath, muß damit rechnen, daß Premierminister Wilson schon dieses Jahr, im Frühling oder im Herbst, Neuwahlen ausschreiben läßt, oder aber erst im

Frühjahr 1971 — das wäre der letztmögliche Termin.

Die letzte Tagung des konservativen „Schattenkabinetts“ sollte nicht zuletzt gewährleisten, daß die Partei selbst im Fall baldiger Neuwahlen mit einem klar umrissenen Kurs vor die Wählerschaft treten kann.

Das „Schattenkabinett“ hat fünf Fragen in den Vordergrund gestellt: Den Vorrang hat die Frage der Besteuerung. Die Konservativen sagen, sie würden den Akzent von direkten Steuern auf indirekte verlegen. Auch haben sie sich von neuem verpflichtet, im Fall einer Regierungsübernahme die selektive Beschäftigungssteuer abzuschaffen, von der in erster Linie diejenigen Wirtschaftszweige betroffen sind, die nichts mit

industrieller Produktion zu tun haben — zum Beispiel Einzelhan-delsgeschäfte, Hotels und Gaststätten und andere Dienstleistungsbetriebe. Daß diese Steuer unpopulär ist, läßt sich nicht bestreiten; und dasselbe gilt für die hohe direkte Besteuerung überhaupt Aber die selektive Be-

schäftigungssteuer bringt jährlich mehr als 600 Millionen Pfund ein; es ist also nicht leicht zu ersehen, was an ihre Stelle treten könnte — sollte man die indirekten Steuern obendrein noch erhöhen, um einen Ausfall an direkten wettzumachen, dann wäre die Folge ein starkes Anziehen der Preise. Premierminister Wilson wird bestimmt nicht versäumen, dies der Wählerschaft vor Augen zu führen.

Gewerkschaftsreform

Der zweite Hauptpunkt Im Programm der Konservativen ist eine Reform der Gewerkschaften. Um wilde Streiks zu verhindern, sollen Verträge zwischen den Sozialpartnern rechtsverbindlich gemacht werden. Dies ähnelt dem Plan, den Premierminister Wilson im vorigen Sommer verkündet hat und den er dann wieder aufgeben mußte, weil der Widerstand der Gewerkschaften zu stark war. Die Idee einer Gewerkschaftsreform findet ohne zweifei in weiten Kreisen Anklang, so daß dieser Plan den Konservativen manche Stimme einbringen dürfte. Aber ob sich wilde Streiks tatsächlich auf dem Gesetzeswege

verhindern lassen, bleibt abzuwarten.

Ein anderer Punkt im Programm der Konservativen ist die Forderung, daß die über Achtzigjährigen eine Rente erhalten sollen — gegenwärtig bekommen sie keine staatliche Altersrente, weil sie niemals Beiträge gezahlt haben. Dem Beispiel Präsident Nixons folgend, hat Eward Heath ferner erklärt, er werde nach einer Regierungsübernahme besser für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sorgen: durch eine Verstärkung der Polizei und die Abänderung der Gesetze, die für bestimmte Formen öffentlicher Kundgebungen gelten. Auch das dürfte weithin Anklang finden, da Straftaten und besonders Gewaltverbrechen in Großbritannien von Jahr zu Jahr zugenommen haben.

Fünftens verpflichten sich die Konservativen, einen neuen Kurs in der Frage der Einwanderung zu verfolgen. Dieser Kurs soll einem zweifachen Zweck dienen: einmal jenen Gebieten Großbritanniens zu helfen, in denen es viele Einwanderer gibt, und zum anderen die Einwanderung noch weiter zu beschränken, indem

Bürger aus Commonwealth-Ländern ebenso behandelt werden wie alle anderen Ausländer.

Edward Heath ist vielleicht der professionellste aller Politiker, die die Konservative Partei jemals geführt haben; und die auf der Tagung angenommenen Vorschläge betreffen ohne Zweifel viele der Fragen, um die es der britischen Wählerschaft heute vor allem geht. Als Wahlprogramm dürften sie daher Eindruck machen. Aber wie für jede Opposition, besteht heute auch für die Konservativen die Gefahr, daß sie mit ihrem Wahlkampf vorzeitig beginnen.

Bei ihrer Tagung sind sie anscheinend zu dem Schluß gekommen, daß die Neuwahlen vermutlich erst im April nächsten Jahres stattfinden werden. Bis dahin kann noch manches geschehen. Es können sich neue Probleme ergeben, und Fragen, die gegenwärtig eine wichtige Rolle spielen, können an Bedeutung verlieren. Dadurch, daß die Konservativen ihr Wahlprogramm so früh und in so detaillierter Form verkündet haben, hat Premierminister Wilson reichlich Zeit erhalten, seinen Gegenangriff zu planen.

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