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Manches hat "Kohls Mädchen“ mit Übervater Helmut gemeinsam: Die Tatsache, dass sie lange unterschätzt wurde, dass sie als wenig charismatisch gilt, dass sich ihre Gegner an ihr abarbeiten und sich immer neu zurechtzulegen versuchen, warum ist, was ihrer Ansicht nach gar nicht sein dürfte: ein Christdemokrat als erfolgreicher Kanzler. Der deutlichste Unterschied: Angela Merkel ist es nicht vergönnt, den "Saum des Mantels der Geschichte“ zu ergreifen. Statt Wende, Mauerfall und Wiedervereinigung bleibt ihr nur das Navigieren durch eine nicht enden wollende, lähmende und verunsichernde Krise. Damit geht man nicht in die Geschichtsbücher ein.

Auch sonst ist es schwieriger geworden, ein "Denkmal“ zu werden. Wir leben in keinen "heroischen“ Zeiten - und dementsprechend fehlen auch die großen, starken Persönlichkeiten (nicht nur in der Politik). Man mag das bedauern oder als Folge einer Demokratisierung und Enthierarchisierung begrüßen - es ist jedenfalls so. Wenn das Vakuum zu groß wird, besteht freilich die Gefahr, dass mediokre Gestalten zu übergroßen Projektionsfiguren anwachsen.

Ideologische Gewissheiten

Mit dem Vorwurf mangelnden Formats geht auch oft jener fehlender weltanschaulicher Festigkeit einher: Merkel laviere, zögere und lasse es an klarem christdemokratischen Profil missen, habe die CDU sozialdemokratisiert. Da mag was dran sein - nur muss man hinzufügen, dass sich ideologische Gewissheiten auch auf sozialdemokratischer Seite vielfach aufgelöst haben. Wer vermöchte klar zu sagen, was heute bürgerlich-konservativ heißt? Auch hier hatte es ein Kohl leichter: Damals verstand sich das noch von selbst.

Oder doch nicht: Gab es nicht auch damals schon die Klagen über ein Defizit an programmatischer Arbeit, an inhaltlicher Debatte und Positionierung? Kohl habe die CDU zum "Kanzlerwahlverein“ degradiert, hieß es. Das kehrt jetzt - eine weitere Gemeinsamkeit - bei Merkel wieder. Sie sei stark, die CDU schwach. Ähnliches konnte man im Übrigen auch zu Wolfgang Schüssels Zeiten über die ÖVP hören.

Vermutlich muss man das als eine Art Kollateralschaden des politischen Erfolgs in Kauf nehmen. Gedanken macht man sich in Zeiten der Not - wenn es gut läuft, gibt einem das hinreichend Legitimität. Erst aus der Krise wächt die Kritik - beides hängt nicht nur etymologisch miteinander zusammen. Das kann man von hoher ideeller Warte aus durchaus kritisieren, ist aber jedenfalls menschlich verständlich.

Vermeintliche Widersprüche

Es sei ein Widerspruch, dass Merkel sich so hoher Beliebtheitswerte in der Bevölkerung erfreue, während die Menschen doch der ganzen Euro-Rettungspolitik äußerst skeptisch gegenüberstünden, meinte Hans-Ulrich Jörges, Co-Chefredakteur des stern, kürzlich in der ZIB2. Nein, das ist es nicht: Die Leute sind diesbezüglich - man möchte ergänzen: aus guten Gründen - zwar skeptisch; aber sie wissen auch, dass die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende dieser Skepsis noch weit mehr Rechnung trägt, als es jeder andere potenzielle Kanzler tun würde. Vereinfacht gesagt: Merkel mag zu oft nachgegeben haben, "umgefallen“ sein - aber ohne sie sähe es noch ganz anders aus: Wer wäre denn sonst ein Gegengewicht zu Hollande (abgemildert auch zuvor schon Sarkozy) & Co.?

Vielleicht ist es ja überhaupt so, dass die Schwächen der Angela Merkel in Zeiten wie diesen sich als Stärken erweisen. Sie hält Kurs - aber nicht starr-dogmatisch. In ihrer Nüchternheit und ihrem Pragmatismus entspricht sie mehr dem Zeit- und Lebensgefühl als es jemand mit Pathos und großer Geste könnte. Offensichtlich nimmt man ihr ab, dass sie es ernst meint - ohne dass sie dabei vor unangemessener Gewissheit strotzte. Im Moment ist sie konkurrenzlos - und deshalb hat sie am Parteitag auch fast 98 Prozent Zustimmung erhalten.

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