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Farmer statt Bauern?

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Wenn es auch auf den ersten Blick im Rahmen des Ausschnittes, der ein Jahrzehnt bloß einer Generation darstellt, wahr ist,-daß allein die fortschreitende Technisierung und Mechanisierung der österreichischen Landwirtschaft (ihre totale Industrialisierung wie in Amerika bewußt oder unbewußt vor Augen) die autarke Versorgung des österreichischen Binnenmarktes erreicht hat, so liegt es in der Natur der Sache, daß daran vor allem die Großlandwirtschaft partizipieren muß und interessiert ist. Nahezu dasselbe Ziel wurde überdies zwischen den beiden Weltkriegen auf wesentlich primitiverer technischer Grundlage, freilich bei geringerer Landflucht und größerem Vorrat an Arbeitshänden, ebenfalls erreicht. Nicht daß die Mechanisierung dem Bauerntum nicht zu gönnen ist; sie löst nur die eigentlichen Probleme nicht, sondern verschärft sie im Gegenteil. Vor allem aber ist die Autarkie in der landwirtschaftlichen Produktion für eine durcfiindustrialisierte Wirtschaft, die in einer Friedensdauerkonjunktur steht, oder zu stehen glaubt, durchaus kein Ideal mehr. Nach Stabilisierung der internationalen Markt- und Verkehrs Wirtschaft kann die Uebersee (die dazu ihre eigenen Agrarprobleme der Ueberproduktion hat) immer noch billiger produzieren. Auch in einer donauländischen Koexistenz, wenn sie vom Idealtypus der Industrialisierung bestimmt ist, würden polnische Eier, böhmischer Zucker, ungarischer Weizen und jugoslawische Schweine immer noch billiger zu beziehen als im eigenen Lande zu produzieren sein. In einer solchen Situation ist keiner industriegesellschaftlichen Konsumentenschaft einzureden, daß sie dauernd wirtschaftliche Opfer zur Erhaltung einer — am Typus der Industrie gemessen: rückständigen — Landwirtschaft bringen soll, die im Grunde dieselben Qualitäten wie die Uebersee, keine besseren, nur zu höheren Preisen bereitstellt. Um in solcher wirtschaftlicher Lage das Bauerntum zu retten, bedarf es vor allem auch auf Seiten der Industriearbeiterschaft eines tieferen wirtschaftlichen (nicht etwa bloß religiös-sittlichen) Verständnisses, daß es Grenzen der Industrialisierung gerade im landwirtschaftlichen Sektor geben muß.

Wenn die Industrialisierung unbegrenzt weitergeht und in ihrer logischen Konsequenz für die Industriebevölkerung ausschließlich die billige Quantität, nicht mehr die hohe Qualität europäisch-bäuerlicher Agrarprodukte entscheidet, dann ist die Substituierung des europäischen Bauerntums durch das amerikanische Farmertum unvermeidlich.

Wenn es bei der Dynamik und dem Tempo der Industrialisierung bleibt, die neben der amerikanischen Wirtschaft in der nächsten Epoche vor allem auch die deutsche den übrigen Völkern wird vorzuschreiben vermögen, dann sind die Tage des europäischen Bauerntums gezählt. Damit aber wäre auch der wirtschaftliche, nicht bloß religiöse oder militärische Vorteil erledigt, der in der Existenz des Bauerntums für eine Gesamtwirtschaft liegt. In unserem Falle bestünde die besondere Gefahr, daß damit auch die Idee der Neutralität Oesterreichs zur bloßen Attrappe würde, indem das Land im unaufhaltsamen Gleichschritt der Industrialisierung am Ende auf alle Fälle dem stärksten Bieter in die Hände zu fallen bestimmt wäre. Wenn freilich umgekehrt der moderne wirtschaftliche Wert des konservativen Bauerntums für die Gesamtnation gerade darin liegt, daß es bei aller Technisierung und Mechanisierung, die in den konkreten Einzelheiten durchaus sinnvoll sein kann, einen nicht bloß technischen, ja in vielen Elementen sogar unaufhebbar antitechnischen Sektor verkörpert, und wenn in dieser Eigenart vor allem sein gewaltigster Beitrag zur Bewahrung des großen Gleichgewichtes liegt, das in einer gesunden Wirtschaft, Nationalwirtschaft, Blockwirtschaft oder Weltwirtschaft, zwischen Industrie und Agrikultur, Stadt und Land bestehen muß, dann sollte eigentlich auch der industrielle Sektor der Gesellschaft, das Unternehmertum und die Arbeiterschaft eingeschlossen, selbst wenn es gegen ihre nackten materiellen Interessen ginge, durch entscheidende Initiativen und Aktionen dazu beitragen, daß ein kraftvolles, zielbewußtes, seiner besonderen Eigenart sicheres Bauerntum für das Gesamtvolk erhalten bleibt. Nur in solcher bewußter Gestaltung der eigenen Wirtschaft kann auch die österreichische Neutralität selbst sich davor schützen, von der identischen indu-strialistischen Gesellschaftsordnung beider Hemisphären verschlungen zu werden. In eine solche Abhängigkeit zwangsläufig hineingezogen zu werden, verhindern nicht der Industrialismus und die Verkehrswirtschaft, auch nicht die Konzentration auf die Qualitätsindustrie allein, noch selbst die wirtschaftliche Blockbildung mit den Nachbarn, sondern nur jene Form einer neuen donauländischen Wirtschaftsintegration, in der auch für das Bauerntum in allen Nachfolgestaaten noch genug Raum bleibt, und zwar auf einer durchaus modernen Grundlage, die sich ein gutes Stück des technischen Fortschrittes organisch einverleibt hat. Man muß deshalb darin noch lange nicht das alleinige Um und Auf sehen, kann auch noch an anderes, als bloß an die maschinelle Bewältigung der landwirtschaftlichen Probleme denken und soll vor allem nicht im Weitertreiben der Industrialisierung die Rettung der Landwirtschaft sehen, wie dies alles die amerikanischen Farmer tun.

Der-Schlüssel für die Anwendung dieser Erkenntnisse liegt nicht so sehr bei der Landwirtschaft und dem Bauerntum, sondern zu einem guten Teil bei der Industrie selbst und ihrem strukturellen Ausgleich zwischen Unternehmern und Arbeitern. Dieser Primat der Stadtwirtschaft vor der Landwirtschaft muß in jeder sozialen Reformbewegung wirksam sein, die erfolgreich sein will. Daß innerhalb dieses Primats heute dem Sozialismus eine entscheidende Funktion zukommt, liegt in dem allgemeinen Trend der Weltwirtschaft, zu deren Organisation sozialistische Faktoren in verschiedener Form, aber in steigendem Maße immer mehr beizutragen berufen sind. Wir wissen heute über „Rerum novarum“ und „Quadra-gesimo anno“ hinaus, daß der konkrete Sozialismus, das ist nicht nur der Munizipalsozialismus, auch nicht nur die einzelne Verstaatlichung, sondern auch die planwirtschaftliche Organisation der Großindustrie durchaus mit dem Christentum in Theorie und Praxis vereinbar ist. Wir wissen freilich auch um so stärker, daß der abstrakte Sozialismus, der politisch im Sowjetismus verwirklicht ist, für den aber auch der Amerika-nismus nicht wenige Anlagen hat, ein Irrweg ist, wo immer sich dieses System in das Eigenleben kleiner, lebensfähiger, wirtschaftlicher Organismen einmengt, zu denen vor allem das Bauerntum gehört Der allein mögliche, fruchtbare, konstruktive Sozialismus muß im eigenen Interesse, das mit dem der Gesamtwirtschaft identisch ist, auch die nicht-sozialistischen Sektoren in Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft organisieren helfen. Diese Organisationsleistung ist nicht etwas Vorübergehendes bis zum zwangsläufigen „Absterben“ dieser anderen Sektoren, sondern etwas in der Natur der Gesellschaftsordnung bleibend Begründetes.

Auf zwei konkrete Haltungen kommt es daher in der österreichischen Wirtschaftspolitik an, die beide vorbildlich werden können für die gesamte industrielle Ordnung der Welt (wenn einmal aus der Annäherung der hemisphärischen Extreme die Notwendigkeit und das Bedürfnis nach einem dritten System sich ergeben wird). Beide Haltungen sind Folgerungen aus der Idee der Neutralität, wenn man darin eine Aufgabe sieht, nicht bloß ein Ausweichen. Es müssen vor allem die nicht-sozialistischen Wirtschaftskreise erkennen, daß es keine kapitalistische Renaissance in ökumenischen Dimensionen unter allgemeiner Vorherrschaft des amerikanischen Kapitalismus geben wird, durch die Oesterreich allein absolut bestimmt werden könnte, da in steigendem Maße gerade der koexistente Kommunismus sein Wort und sein Beispiel nicht minder in die Waagschale der Weltwirtschaft werfen wird. Aus diesen Gründen wird der staatskontrollierte Sektor der Großindustrie aller Länder nicht absterben, sondern ansteigen. Nach Maßgabe des weiteren Wachstums des Industrialismus kann die Vorhand des Sozialismus darin nur zunehmen, vor allem wo dieser fähig ist, konkrete Zielsetzungen einzubringen. Das ist aber nur die eine Seite des Problems. Denn damit ist erst die Organisation der einen geistigen Hälfte der modernen Volkswirtschaft erreicht. Dieselbe darf vor allem den Sozialismus nicht verführen, sich auf den Pfühlen solcher Errungenschaften zur Ruhe zu legen. Denn je stärker sein eigener

Primat in der Industriewirtschaft wird, desto größer wird auch die ihm auferlegte historische Verantwortung, jene grundlegende Organisationsleistung zu vollbringen, durch die auch die Landwirtschaft in ihrer überindustriellen Wurzel gesichert, das Bauerntum auf neue Grundlagen gestellt und damit der Gesamtwirtschaft der Zugang erhalten wird, der sie mit einem gesunden Ueberrest naturgetreuer, bodenverbundener Wirtschaft verbindet.

Eine solche Organisationsleistung, vielfach gegen die naturhaften Instinkte der Industriearbeiterschaft sich kehrend, wird an ihr nicht ohne neue durchgreifende Erziehungsleistung von Seiten ihrer gewerkschaftlichen, genossenschaftlichen und staatspolitischen Führung zu vollbringen sein. Gewiß ist der Aberglaube von der Zwangsläufigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung, an dem gerade die kontinentale Arbeiterbewegung zu ihrem eigenen Nachteile so lange festgehalten hat, nicht ohne legitimen Anlaß in den Verhältnissen selbst. Die Technik scheint in der Tat sich in zwangsläufiger Form weiterzuentwickeln, indem sie die Menschen, die sie geschaffen haben, hinter sich her-schleppt. Zwangsläufigkeit scheint schier auch das Kennzeichen des industriellen Fortschrittes, der Rationalisierungen, des Automatismus, wodurch die Arbeitswürde der menschlichen Person im modernen Industriearbeiter vielfach ausgehöhlt wird. Soweit es sich hier um Zwangsläufigkeiten handelt, relativ im Rahmen einer gegebenen Gesellschaft, die daran nicht rütteln will, weil sie davon durch Erhöhung ihres Lebensstandards Vorteile zieht, ist es nur recht und billig, daß die Industriearbeiterschaft in ihren Kollektivverträgen ein Lohnniveau durchsetzt, das zumindestens eine geldliche Entschädigung für das Opfer an Arbeitswürde bietet. Gerade der Christ wird in Erinnerung an die Idee der Gerechtigkeit in dem Gleichnis von den früh-, später- und letztberufenen Arbeitern (Matthäus 20) daran am wenigsten mäkeln dürfen. Denn der Erstberufene hat seinen vorzüglichsten Lohn in der vollen inneren Befriedigung seiner Arbeitsleistung, die der Ausdruck seiner Arbeitswürde ist, wogegen der Letztberufene, dessen Arbeitswürde durch äußere Umstände verkürzt wird, dafür wenigstens denselben geldlichen Ersatz gewinnen soll wie sein glücklicherer Bruder. Diese Norm der sozialen Gerechtigkeit, die dem einen gibt, was sie dem anderen nimmt, ist freilich erträglich nur, wenn über ihr noch eine andere Idee steht, die nicht minder ein wirtschaftliches Prinzip ist, wenn sie auch mehr als ein solches ist: die Idee der Entsprechung von Wirtschaftsleistung und Arbeitswürde auf allen Stufen der Gesellschaft im Unternehmertum, in der Arbeiterschaft und im Bauerntum, an deren Wiederherstellung daher alle Hand anlegen müssen. Erst in dieser letzten ethischen Perspektive, in der die schöpferische Arbeitsleistung des bäuerlichen Menschen zu einem Idealtypus wird, den weder der Status der Arbeiterschaft unterbieten, noch jener des Unternehmertums überbieten darf, wird es durchaus sinnvoll, daß der industrielle Mensch dem bäuerlichen auf der gesamten Linie im Interesse des nationalen Ganzen Hilfe leistet. So erst greift der menschliche Geist wirklich ein in die Speichen der wirtschaftlichen Zwangsläufigkeit E. K. W.

(Ein letzter Artikel folgt)

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