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Frankreich vor einer Diktatur?

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E. v. H. Paris, im Mai Mit seiner Straßburger Rede vom 7. April ist General de Gaulle wieder ins volle Rampenlicht der politischen Bühne zurückgekehrt — sensationell wie bei seinem unvermittelten Rücktritt im Jänner 1946. Damals fand sich Frankreich mit einer un-frtigen Staatsverfassung, ohne Regierungsund Staatsoberhaupt, unversehens sich selbst überlassen, und es gibt Stimmen, die sagen, daß es gerade deshalb seither noch zu keiner wirklichen Konsolidierung gelangt ist. Der Zeitpunkt, den der General nun zu seiner politischen Rückkehr gewählt hat, ist nicht weniger spannungsreich, wie die verwirrenden Ereignisse, die ihm im Mutterland und in Ubersee unmittelbar vorausgingen und folgten, beweisen.

In dieser gewittrigen Atmosphäre rief de Gaulle zur Bildung einer neuen Bewegung, des „Rassemblement du Peuple Francais (R. P. F.)“ auf. Binnen drei Wochen

zählte sie eine halbe Million Mitglieder. Sie erklärt sich bereit, Mitglieder aus allen politischen Parteien aufzunehmen, die nicht „antinationalen Organisationen“ angehören,womit sie sich gegen Kollaborateure und Kommunisten abgrenzt. Aber nun beginnen neue Unklarheiten und Rätsel! De Gaulies Programm sieht vor, daß die Exekutivgewalt nicht von den politischen Parteien, sondern vom Lande ausgehen und bei jedem unlösbaren politischen Konflikt das Volk selbst die Entscheidung treffen solle. Diese Reformen setzen aber eine Verfassungsänderung voraus, welche auf den gemeinsamen Widerstand von Sozialisten und Kommunisten stoßen und auf legalem Wege kaum zu erreichen wäre. Zudem schwebt über de Gaulles politischen Handlungen etwas Irreales. Man hat ihn als einen Mann bezeichnet, der Ideen besitzt, ohne die Fähigkeit, ihnen praktisch Gestalt zu verleihen. Noch mehr, man glaubt nicht, daß seine engsten Mitarbeiter die Gabe besitzen, einen solchen Mangel auszugleichen. Wie soll die Tätigkeit dieser neuen Bewegung auf den politischen Mechanismus der Parteien übertragen werden? Will de Gaulle die Situation für einen Staatsstreich reif werden lassen oder einmal selbst an die Spitze einer dieser vielen, sich so rasch verbrauchenden parlamentarischen Regierungen gelangen? Müßte nicht diese Entwicklung zum Aufgehen der Sozialisten in den Kommunisten und xu einem überwältigenden Sieg des Linksblocks führen?

In dieser Lage bekam die Entscheidung der christlichen Demokraten Frankreichs, des „Mouvement Republicain Populaire“, besonderes Gewicht. Es stand vor einer schwierigen Entscheidung. Gewiß hatte es ihm nach den gemeinsamen Kämpfen und Leiden der Resistance ein sentimentales und politisches Opfer bedeutet, als es sich im Herbst 1946 das erste Mal von de Gaulle trennte. Aber dann hatte bei den Wahlen zur Nationalversammlung das Veto de Gaulles diese Fraktion von der Stellung der relativ stärksten Partei zugunsten der Kommunisten verdrängt. Dieser Stimmenverlust wieder war durch den Anschluß neuer Elemente, gerade von links her, zum Teil ausgeglichen worden. Und es war erstaunlich, daß ich die Vertretung des französischen Katholizismus gegen diese Angriffe von rechts und hnks als zweitstärkste parlamen-tariche Gruppe, ganz dicht nach den Kommunisten, behaupten konnte.

Damit gelangen wir nun zu dem Punkt, der für die Stellungnahme der politischen Vertretung der französischen Katholiken zu de Gaulles Aufruf bestimmend war. Sie hatte von Anbeginn an Wert darauf gelegt, von der Arbeiterklasse nicht abgeschnitten zu werden und dies durch die Forderung ihrer Parteileitung nach Zuweisung der an die Sozialisten unmittelbar anschließenden Parlamentssitze symbolisch zum Ausdruck gebracht. Das „Mouvement“ ist in gewissem Sinne Fortsetzung und Erneuerung von Bewegungen, Richtungen und Fraktionen, wie der „Volksdemokratischen Gruppe“, die mit ihren Deputierten an der Volksfront der Vorkriegszeit teilhatte und ihrerseits wieder ihre zeitlichen oder ideellen Zusammenhänge mit den christlichen Gewerkschaften und linkskatholischen Intellektuellenkreisen hatte. Auch die Jocisten und Strömungen, wie sie etwa in Fr. Gays Blatte „L'Aube“ zu Worte kamen, trugen zur Wesensbildung der jetzigen großen Partei bei. So ist diese ganz und gar keine rechtstendierende Bewegung! Die katholische Kirche war die erste Macht, die den Aufruf der sozialen Frage gehört und eine Antwort gegeben hat. Politische Organisationen christlich-sozialer Prägung formen und wandeln sich nach den Anschauungen der Kirche, sie bemühen sich, wie Francisque Gay einmal schrieb: „Die Vorschriften des päpstlichen Stuhls auf den politischen Plan zu übertragen“, wobei Gay erläuternd hinzufügt: „Die Lösungen, die wir darbieten, sind jedenfalls unsere Lösungen, wir behaupten nicht, Wortführer der religiösen Autoritäten zu sein.“

Dies trifft, mutatis mutandis, auf die jetzige führende, im katholischen Volke Frankreichs verankerte Partei zu, und wer diese Vorgeschichte kennt, wird in ihrer Gegnerschaft gegen den Kommunismus nicht den Gegensatz zwischen Reaktion und sozialer Gerechtigkeit zu entdecken vermeinen. Sie nennt sich wohlbewußt ,-Bewegung“ und will ihren Raum, ihr Wirkungsgebiet nicht behaupten, sondern erweitern. Der Raumgewinn nach links löst die Abwehr von links aus. Die Ausdehnung nach rechts stößt auf — de Gaulle. Dieser Zusammenstoß ist bedauerlich, er ließe sich aber nur um einen allzu hohen Preis vermeiden, den das MRP nicht zu zahlen gewillt ist: durch den Verlieht auf die Verständigung mit denjenigen auf der Linken, die eines guten Willens sind. De Gaulle will die Linke überwinden, erobern, das „Mouvement“ will sie, soweit alt möglich, gewinnen. Es war die große Ober-raschung des 27. April, daß die CGT (die kommunistisch orientierte Confederation Generale du Travail) bei den Wahlen der Aufsichtsräte für die vielen Sozial ver-■cherungsinstitute — den sogenannten so-alen Wahlen — nicht den erwarteten großen Erfolg davontrug, sondern etwa ein Viertel der Plätze der CTC (Confederation des Trarailleurs Chretiens), weitere Sitze der „Mutualite“ und der „Famiiiale“ überlassen mußte. Wenn auch die christliche Arbeiterschaft Prankreichs von der Parlamentsfraktion des MRP keine Weisungen entgegennimmt, so hat doch diese umgekehrt auf die christlichen Arbeiter ebenso Rücksicht zu nehmen, wie die christlichsoziale Partei Österreichs auf die unter der Führung Kun-schaks stehenden christlichen Arbeiter Bedacht nahm.

Damit Ist gesagt, was die Partei Maurice Schumanns und Bidaults mit de Gaulle verbindet und was sie von ihm scheidet. Sie mußte sich entschließen, ob sie ihren Mitgliedern die gleichzeitige Zugehörigkeit zur neuen Bewegung des Generals gestatten solle oder nicht. Sie hat neingesagt. Allerdings hat das „Mouvement“ seinen Anhängern aber auch den Beitritt zu den von kommunistischer Seite initiierten Komitees, dem „Codtre-Rassemblement“ — untersagt. Die „Partei der Treue“ kann nicht mit de Gaulle gehen, sie muß sich seinen Bestrebungen versagen, kann aber auch nicht gegen ihn sein.

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