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„Ich will kein Militär sein“
Der neue Präsident hat in Typ, Herkunft und Gesinnung eine erstaunliche Ähnlichkeit mit seinem argentinischen Kollegen, dem früheren Kriegsminister und jetzigen Diktator Ongania. Auch er ist ein etwas barscher, erst neuerdings als „junger Großvater“ zuweilen lächelnder Mann, ein erprobter General ohne politisches Gesicht, den nur das Vertrauen der Offiziere legitimiert. Der Chefreporter der Zeitung „O Estado de Paulo“ schrieb kürzlich, man wisse von ihm sehr wenig und fast nichts von seinen Ideen, Plänen und Absichten. In der Tat hat Costa e Süva in den letzten Wochen viel geredet, aber wenig gesagt. Seine Situation empfiehlt freilich die Zurüchhaltung. Anfang Juli konnte man noch in einem Interview der „Visa“ lesen: „Ich will kein Militär in der Präsidentschaft sein. Der Militarismus hat in Brasilien keinen Platz. Ich will ein verfassungsmäßiger Präsident sein, der einer höchsten Autorität, dem von dem Volkswillen ausgehenden Gesetzt, unterliegt.“ Wenn er im September 1966 von „Verfassung“ oder ..Volkswillen“ sprach, lächelte man nur. Das neue Grundgesetz soll dem
Kongreß am 1. Dezember vorliegen. Wenn er es nicht bis zum 21. Jänner angenommen hat, will Castelo Branco es durch Dekret einführen. Da er bis zum 15. März 1967 jedem die „politischen Rechte“ auf 10 Jahre mit einem Federstrich entziehen kann, werden es sich manche Parlamentarier lange überlegen, ob sie mit „Nein“ zu stimmen wagen. Im übrigen ist Castelo Branco mit dem Entwurf, den eine „Juristenkommission“ aus seiner Umgebung ausgearbeitet hat, nicht einverstanden. Er will einen „starken Mann“ mit „einer starken Partei“ an das Steuerrad der Macht stellen, wobei noch nicht feststeht, ob er diese Rolle „dem Präsidenten“ oder dem „Parteiführer“ zugedacht hat. Um dem Vorwurf der „Diktatur“ zu entgehen, will er die „Nachfolge“ sichern. Aber es entspräche seinem legalistischen Scharfsinn, wenn er sich selbst als „Parteichef“, der er wohl werden will, die Chance öffnete, den „Präsidenten“ zu überspielen.
Bei der augenblicklichen Situation scheint Costa e Silva nur die Wahl zu haben, als Befehlsempfänger seines Vorgängers zum Diktator oder als Vollstrecker des Volkswillens zum Gegenrevolutionär zu werden.
Zwar haben sich der ultrarechte, allzu impulsive „Präsidentenstürzer“ Exgouverneur Carlos Lacerda und die beiden Expräsidenten, der Wohlstandsbürger Dr. Kubitschek und der Führer der Arbeiterpartei Jango Goulart — heute in Lissabon und
Montevideo als Emigranten —, viele Jahre lang fanatisch bekämpft. Jetzt führt sie ihre gemeinsame Feindschaft gegen Castelo Branco zusammen. Nachdem Lacerda seinen „Aufruf zur Gewalt“ zurückgenommen hat, scheint die „demokratische Einheitsfront“ Wirklichkeit zu werden. In ihrem Namen hat Lacerda dem neuen Präsidenten die allgemeine Gefolgschaft angeboten, wenn er zu der nationalistischen Wirtschaftspolitik übergeht, wieder direkte Wahlen zugesteht und die Maßnahmen aufhebt, mit denen Castelo Branco seine Gegner kaltgestellt hat. Nun ist die Ausschaltung der früheren politischen Kräfte das einzige, was „die Revolution“ herbeigeführt hat. Wenn Costa e Silva ihnen den Rückweg öffnete, würde er also zum „Gegenrevolutionär“. Bisher hat er erklärt, daß er sich zu den Zielen der Revolution bekenne und sie fortsetzen wolle. Wenn er sie — aus dem Gesichtspunkt Castelo Brancos — „verriete“, würde ihn dieser zu beseitigen wissen. So ist es erstaunlich, daß die Opposition noch große Hoffnungen auf die direkten Parlamentswahlen setzt, die am 15. November stattfinden sollen. „Der provisorische Präsident“ hat oft genug bewiesen, daß er den Volkswillen nur so lange respektiert, wie er sich mit seinen politischen Plänen deckt. So wird er — trotz der Wahl seines Nachfolgers — mindestens bis zum 15. März 1967, wahrscheinlich durch ein legalistisches Manöver sogar länger, die Zügel der Macht in Händen behalten. Denn das Offizierskorps plant — trotz der systematischen Brüskierung führender Generäle — keinen neuen Militärputsch. Auch die Opposition strebt keinen gewaltsamen Umsturz an, sondern eine „friedliche Demokratisierung“. Von ihr spricht auch Costa e Silva. Nur versteht er sie als Verewigung der Revolution, während die Politiker sie als ihre Beseitigung auffassen. So bleibt abzuwarten, ob der Weg des neuen Präsidenten zu der Volksherrschaft oder zu der Gewaltherrschaft führt.
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