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Longos Gedankenspiele

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Togliattis Nachfolger an der Spitze der italienischen KP, Luipi Longo, hat vor dem ZK und der Zentralen Kontrollkommission der Partei sehr ins Einzelne gehend die Alternative geschildert, welche die Kommunisten an Stelle der linken Mitte Aldo Moros anzubieten haben. Zum erstenmal hat man von maßgeblicher Seite und in verbindlicher Weise die Vor-tchläge von dem auseinandergesetzt bekommen, was „nach Moro“ kommen würde, unter welchen polltischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen die Italiener in einem Italien mit kommunistischer Mitregierung zu leben hätten. Longo nennt seine Alternative nicht Volksfront, aber faktisch ist sie eine. Die Zugeständnisse der italienischen gehen erstaunlich weit. So weit, daß sie in anderen kommunistisch regierten Zonen Europas Verlegenheit hervorrufen könnten, es sei denn, man erinnert sich dort augenzwinkernd, wie oft man es vor Tisch anders liest als nachher.

Die KP Italiens behauptet, daß sich das Centro sinistra teils aus mangelndem Willen, teils seiner fehlenden politischen und programmatischen Kraft wegen als unfähig erwiesen habe, eine effektive und demokratische Erneuerung herbeizuführen. So ist der Sturz der Regierung Moro beschlossen. Der kommende Sommer wird die KP im Kampf sehen, auf allen Ebenen, im Parlament mit dem Angriff auf die Außenpolitik der Regierung, wegen ihrer Haltung gegenüber Vietnam; der Austritt aus der NATO wird verlangt werden; im Lande durch den Druck der gewerkschaftlich organisierten Massen, in den Fabriken, in den öffentlichen Diensten. Im Post-, Telephon- und Eisenbahnverkehr stehen schlimme Zeiten bevor. Gleichzeitig wird eine politische Initiative entfaltet: die KP stellt die Bildung einer „großen Linken“ zur Debatte, eine Art Sozialistischer Einheitspartei, deren treibende Kräfte außer den Kommunisten selbst noch die linkssozialistische Dissidentenpartei der „Sozialproletarier“, die Lombardi-Anhänger in der NenniPartei und die progressistisch gesinnten Katholiken und Republikaner sein sollen. Diese Partei würde keineswegs den Kommunismus zur programmatischen Grundlage haben, vielmehr in einem fortschrittlichen Sozialismus den gemeinsamen Nenner finden. Ihren einzelnen Komponenten würde eine gewisse Autonomie nicht versagt sein. Der Vorschlag Longos ist nicht neu, er ist von anderen Parteiexponenten ventiliert worden. Neu daran ist, daß ihn sich die KP offiziell zu eigen gemacht hat. Aber sie hat Eile. Dem von sozialdemokratischer Seite ausgehenden Vorschlag für eine sozialistische Wiedervereinigung steht die Nenni-Par-tei, von ihrem linken Flügel abgesehen, mit großen Sympathien gegenüber. Es muß vorgebeugt werden, daß dieses Projekt greifbare Gestalt erhält.

Longos Bericht wird an dem Punkt spannend, wo er in einer Reihe von Thesen, eine überraschender als die andere, die Absichten der italienischen Kommunisten auseinandersetzt. Die erste These lautet: „Wir sind für einen demokratischen Ubergang zum Sozialismus. An der Führung des Staates können verschiedene politische und soziale Kräfte teilnehmen. Der Staat garantiert die Pluralität und Autonomie der Parteien, die Möglichkeit eines Regierungswechsels auf Grund des Mehrheitsprinzips und der freien Mehrheitsbildung.“ Denn in Italien trenne keine Chinesische Mauer den Sozialismus von der Demokratie. Longo weiß natürlich, daß er mit dem Zugeständnis der Pluralität der Parteien vor dem Angesicht des Kommunismus in der Welt eine gewagte These aufstellt. Er begründet sie mit der Besonderheit der in Italien herrschenden nationalen Verhältnisse und Traditionen. Er fügt zwar rasch hinzu, man werde sich die in anderen Ländern gemachten Erfahrungen zunutze machen, aber er spricht das wie in einem negativen Sinne aus, so als wolle man die in den anderen kommunistischen Ländern begangenen Irrtümer vermeiden.

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