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Parteienkrise in den USA

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Dem europäischen Beobachter muß es merkwürdig vorkommen, daß der der Demokratischen Partei angehörige Präsident Truppen in Einzelstaaten sendet, um Gouverneure, der gleichen Partei angehörig, die sich gegen föderale Gesetze zur Wehr setzen, zu disziplinieren, unter anderem mit dem Ergebnis, daß einer dieser hochgestellten Parteigenossen einem Senatskomitee erklärt, sein Parteichef sollte aus dem politischen Leben eliminiert werden.

Die beiden Großparteien der USA — Demokraten und Republikaner — haben niemals ein einheitliches Gesicht gehabt. Die oft. wiederholte Feststellung, daß es im Grund vier und nicht zwei Parteien gibt: Reaktionäre (Süd-) Demokraten und liberale (Nord-) Demokraten auf der einen, fortschrittliche

Der Riß geht tiefer

Truman gewann — unerwarteterweise — die Wahl. Es dauerte nicht lange und die Sezessionisten kehrten in die Mutterpartei zurück. Sie sahen, daß ein scheinbar gegen ihre Interessen gerichtetes Programm noch nicht bedeutete, daß es auch aktiv werden würde. Heute liegen die Dinge ganz anders.

Der Süden rebelliert nicht mehr gegen parteipolitische „Plattformen'', sondern gegen föderale Gesetze, hinter die die Exekutive gewillt ist, die Macht des Bundes einzusetzen, gegen praktische Maßnahmen, denen gegenüber die Opposition immer mehr auf papierene Proteste oder „staatsrechtliche“ Gummiknüppel angewiesen ist, solange nicht Fallschirmspringer des Bundes durch die Straßen patrouillieren. Kann man hier wirklich noch weiter in der gleichen Partei um Gefolgschaft werben? Für und gegen die endgültige „Sklavenbefreiung“ ?

Der Riß, der diesmal durch die Demokratische Partei geht, ist weit tiefer als eine Programmdiskussion ihn hätte herbeiführen können: es geht praktisch um die Existenz der südstaatlichen Parteiorganisation.

Es kann kaum zweifelhaft sein, daß der Widerstand gegen die — nach Meinung nicht nur der Negerführer, sondern auch mancher „Liberaler“ nicht einmal weit genug gehende — Zivilrechtsgesetzgebung von außergewöhnlicher Schärfe sein wird. Letzten Endes stehen die traditionell tief im Bewußtsein eines großen Teils der weißen Bevölkerung im Süden verankerten „Staatsrechte“ auf dem Spiel. Sie würden, werden die Kennedyschen Vorschläge, mit oder ohne die mannigfachen Ergänzungen, die inzwischen dazu von an der Frage interessierten Kongreßmitgliedern eingebracht worden sind, Gesetz, praktisch in wesentlichen Teilen außer Kraft gesetzt. Die Position der südstaatlichen Abgeordneten, einfach um ihre Anhänger zu halten, und konservative Republikaner auf der anderen Seite, hat sich bei fast allen wichtigeren Fragen, vor die ihre Repräsentanten im Kongreß gestellt wurden, als im Kern richtig erwiesen.

Hart am Bruch vorbei

Als bei der zweiten Truman-Wahl die südstaatlichen Demokraten einen eigenen Kandidaten aufstellten, da sie die „Plattform“ der Zentrale ablehnten, schien der Bruch vollzogen. Ihr Kandidat Thurmond konnte zirka eine Million 'Stimmen hinter sich bringen, ungefähr die gleiche Zahl, die die gleichzeitige „linke“ Sezession unter dem demokratischen Vizepräsidenten Henry Wallace, die seither nicht mehr existierende „Progressive Party“ aufbrachte. könnte in diesem Fall kaum eine andere sein, als die demonstrative — endgültige — Sezession aus der Partei J. F. Kennedys. Die Entscheidung mag erst im letzten Vierteljahr 1963 fallen. Sie scheint fast unabwendbar, wenn nicht das Weiße Haus durch eine vernichtende Niederlage im Kongreß die wesentlichen Teile der Zivilrechtsvorlage in Rauch aufgehen sieht...

Aufstand der Neger?

Dann steht die a n d e r e Entscheidung auf der Tagesordnung: die Möglichkeit, daß zwanzig Millionen von der passiven zur aktiven Gehorsamsverweigerung gegen den Staat überhaupt übergehen, das heißt, um es pointiert beim Namen zu nennen: der tatsächliche Aufstand des farbigen Amerika.

Niemand weiß heute, wie das Duell ausgehen wird. Man kann nur hoffen, daß nichts Ernsthafteres als eine Parteispaltung passiert...!

Aber nicht nur die Parteistrategen der Demokraten denken besorgt an die — nationalen und parteipolitischen — Entwicklungsmöglichkeiten, die die Zivilrechtsdiskussionen erwarten lassen. Die Republikaner — nicht zuletzt in psychologischer Vorbereitung der nächsten Präsidentenwahl — sehen sich plötzlich bei der Ausnützung der Situation im demokratischen Lager vor unerwarteten innerpolitischen Schwierigkeiten. Der New Yorker Gouverneur Nelson Rockefeiler, als republikanischer Kandidat gegen Kennedy vom „liberalen“ Flügel der Republikaner enger in Aussicht genommen, hat in ungewöhnlich scharfer Form öffentlich verlangt, daß sich sein „konservativer“ Mitbewerber, der Senator von Arizona, Barry Goldwater, unmißverständlich von den „Rechtsradikalen“ distanziert, die im Begriff wären, in seinem Namen Teile der Parteiorganisation zu „übernehmen“. In der Tat haben Angehörige solcher Gruppen, insbesondere Leute der berüchtigten „John Birch Society“, systematisch örtliche republikanische Organisationen unter ihren Einfluß zu bringen verstanden, und nicht nur die „jungkonservativen“ Idealisten der

„Young Americans of Freedom“ (der „National Review“ nahestehend) teilweise „erobert“, sondern auch die eigentlich „zentralistischen“ „Young Republicans“ unterwandert.

Goldwater, der sich auf der einen Seite bereits vor der Attacke Rocke-fellers von einer Reihe hysterischer Publikationen solcher Gruppen distanziert hat, auf der anderen Seite ihren Mitgliedern bescheinigte, daß sie wunderbare Patrioten seien, wird nicht umhin können, irgendwie zu erklären, daß er die Unterstützung besagter „Patrioten“ begrüßen würde, aber eine systematische Unterwanderung der Partei durch die Gruppen scharf zurückweisen muß ... Eine wirkliche Spaltung der Republikaner steht kaum auf der Tagesordnung!

Eine Konzentration dieser rechtsradikalen Kräfte auf der anderen Seite — in Niveau und Einzelprogramm sehr voneinander verschieden — dürfte indes fast so sicher in diesem Fall auf die Gründung einer eigenen „Konservativen Partei“ hinzielen wie innerhalb der Demokraten die südstaatliche Sezession als mehr als eine Möglichkeit erscheint.

Örtlich aufgezogene „konservative“ Parteien haben — wenngleich weit von „Siegen“ entfernt — ganz ansehnliche Sympathisanten zu sammeln vermocht. Irgendwie ist die amerikanische Parteistruktur in Gefahr.

Liberal gegen Konservativ?

Das mag sich zum Guten auswirken, oder zu neuen Schwierigkeiten führen. Kein Mensch kann hier Definitives voraussagen. Es gibt eine apokryphe Geschichte über ein Gespräch Franklin D. Roosevelts mit dem — gerade von ihm besiegten liberalen republikanischen Kandidaten Wendell Will-k i e — keine dokumentarische Bestätigung scheint vorhanden zu sein, obwohl sie ständig wiederholt wird — in der FDR seinem Gesprächspartner erklärte (sinngemäß, nicht wörtlich wiedergegeben): „Unsere Parteistrukur ist überholt. Beide Parteien haben in ihren Reihen Reaktionäre und Männer, die die Anforderungen der Zeit zu verstehen versuchen. Warum nicht die fortschrittlichen Demokraten und die fortschrittlichen Republikaner zu einer neuen Partei formieren, unter der Führung von uns beiden? Und die Ewig-Gestrigen beider Parteien sich selbst überlassen? Sie werden zusammen eine neue — rechte - Partei bilden. Und das Bild unserer Politik wird klar sein: Liberal gegen Konservativ.“ Willkie starb, bevor etwas getan werden konnte. FDR starb. Blieb nur die Legende dieses Gesprächs?

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