6590525-1952_23_02.jpg
Digital In Arbeit

„Parteiwahlen“ in den Vereinigten Staaten

Werbung
Werbung
Werbung

St. Louis, Missouri, im Mai

„Die demokratischen Rechte sind unvollständig, wenn sie nicht auch das Recht dės Wählers umfassen, nicht nur zwischen Kandidaten zu wählen, nachdem diese bereits nominiert worden sind, sondern auch das Recht, selbst mitbestimmen zu können, wer diese Kandidaten sein sollen.“ Es wäre fälsch, ZU behaupten, dieses Wort, das der ehemalige Präsident Theodore Roosevelt zu Beginn dieses Jahrhunderts gesprochen hat, wäre mittlerweile in den USA vollständig verwirklicht worden. Trotzdem ist es der Mühe wert, die Methoden zu untersuchen, nach denen in Amerika die Kandidaten für ein öffentliches Amt bestimmt werden. Denn gerade jetzt folgen einander anscheinend widersprechende und für den Außenstehenden oft schwer verständliche Meldungen von „Vorwahlen in einzelnen Staaten der nordamerikanisdien Union, die leicht dazu angetan sind, „Verwirrung hervorzurufen — besonders in einem Lande, wo es als hergebrachte Tatsache gilt, daß Parteistrategen allein darüber entscheiden, wer die Partei auf dem Stimmzettel (und dann im Parlament) zu vertreten hat. Es ist schwer, eine allgemein gültige amerikanische Praxis festzustellen, da die Wahlgesetze ausschließlich in die Kompetenz der einzelnen Staaten fallen und daher Sehr voneinander abweichen. Auch differieren die Wahlmethoden für die Auswahl von Abgeordneten, Senatoren oder Sehulbehördenvorstehem begreiflicherweise untereinander. Bei den im Vordergrund des Interesses stehenden Präsidentschaftswahlen gilt nachstehendes Verfahren: Die unmittelbare Instanz, der die Bestimmung des Kandidaten zufällt, welcher die offizielle Unterstützung der Partei iip Wählkampf erhalten soll, ist für beide Parteien ein außerordentlicher Bundesparteitag, die National Convention . An dieser nehmen nun gewöhnlich etwas mehr als 1000 Delegierte aus allen 48 Staaten der Union teil. Die Auswahl dieser Delegierten ist es nun, auf die sich das Interesse des Staatsbürgers konzentriert. Von ihnen hängt es ab, ob ein Kandidat erkoren wird, der dem Wunsche der Bevölkerung entspricht und — der eine Wahl auch tatsächlich gewinnen kann! Nun nehmen an diesem außerordentlichen Bündesparteitag natürlich sämtliche prominenten Parteimitglieder, gegenwärtige und ehemalige Kabinettsangehörige, Landeshauptleute und ähnliche Funktionäre auf jeden Fall teil. Aber sie sind nicht ausschlaggebend, “ wenn es zur numerischen Abstimmung kommt. Hier entscheidet der Mann und die Frau, die der Farmer von Missouri und der Arbeiter von New York delegiert haben.

Ungefähr zwei Drittel von diesen werden auf Parteiversammlungen der jeweils kleineren regionalen Einheit bestimmt. Sämtliche registrierten Mitglieder oiner Partei jedes Ortes oder Wohnblocks Versammeln sich hiezu und entscheiden, welchem Kandidaten sie den Vorzug geben würden. Delegierte werden gewählt, welche diesen Kandidaten bei der Pärteiversammlung der nächtshöheren Verwaltungseinheit, also des Bezirkes, vertreten werden. Der Bezirkskongreß wählt nun seinerseits die Vertreter für den Landes- (in Amerika Staats-) Parteitag, auf welchem dann endgültig die Delegierten für die Convention bestimmt werden. Ist schon dieser Prozeß ein durchaus demokratischer, so gibt es in ungefähr einem Drittel der Staaten eine Einrichtung, die noch weniger als die eben besprochene Methode einen Mißbrauch durch „beratende“ und „empfehlende“ Parteigrößen zuläßt. Es sind dies die „Primaries“, wörtlich mit „Vor-“, besser wohl mit „Parteiwahlen“ übersetzt.

In diesem Tęit der Staaten wird dem Wähler die Gelegenheit gegeben, in geheimer Wahl mit dem Stimmzettel zu bestimmen, wen er auf den Stimmzettel seiner Partei setzen möchte. Während früher diese Art der Kandidatenaufsteilung als ausschließliche Parteiangelegenheit betrachtet wurde, kommt heute in den meisten Fällen der Staat für die Finanzierung der „Primaries“ auf und unterstreicht so deren staatspolitische Bedeutung. Auch hier gibt es naturgemäß wieder verschiedene Arten in den verschiedenen Staaten. In manchen werden nur die Kandidaten gewählt, welche zur „Convention“ delegiert werden sollen. Natürlich ist es bekannt, daß etwa Mr. Brown für Senator Taft oder Mr. Parker für General Eisenhower stimmen wird. In manchen Staaten ist es aber auch möglich, direkt für den ins Auge gefaßten Präsidentschaftskandidaten selbst zu stimmen, und die Parteitagvertreter sind dann unbeschadet ihrer eigenen Überzeugung verpflichtet, die Ergebnisse der Primaries zu berücksichtigen. Das Prinzip ist hiebei folgendes: Eine bestimmte Anzahl von Wahlberechtigten reicht den Wahlvorschlag auf den Namen eines Kandidaten ein, der sodann auf dem offiziellen Stimmzettel aufscheinen wird. Der Wähler betritt die Wahlzelle und verlangt einen Stimmzettel für die Demokratische (oder Republikanische) Partei. (Manchmal ipuß er sich als Parteimitglied legitimieren, manchenorts auch nicht.) In der Zelle streicht er dann den Namen seines Kandidaten an, wie: Stevenson, Kefauver, Kerr, Russell. So ergeben sich die Resultate, von denen wir augenblicklich sooft im Rundfunk hören. Ein Pri- mary-Sieg Eisenhowers in New Hampshire bedeutet also, daß die Vertreter New Hampshires bei der National Convention ihre Stimmen für den General abgeben werden.

Ein Nachteil der „offenen Primaries“, also jener, in denen keine Parteilegitimierung erforderlich ist, besteht darin, daß es theoretisch möglich ist, daß etwa eine große Menge demokratischer Wähler in den Parteiwahlen republikanisch wählt und deren besten Kandidaten durchstreicht und einen anderen mit wenig Erfolgsaussichten vorreiht, was natürlich der Gegenpartei schadet. Die Praxis aber hat erwiesen, daß diese Methode selten und dann erfolglos angewandt wird.

In manchen Staaten können auch Namen nicht auf dem Stimmzettel enthaltener Kandidaten dazugeschrieben werden, und die mehr als 100.000 (!) „write-ins“ für Eisenhower in den Minnesota-Parteiwahlen Ende März wogen qualitativ natürlich weit schwerer als die rund 120.000 Stimmen für Ex-Gouverneur Stassen, dessen Name als der eines „favorite son“ an erster Stelle am Stimmzettel stand.

Es ist verständlich, daß auch diesem System Mängel und Unvollkommenheiten anhaften. Vor allem ist zu berücksichtigen, daß nur ein Drittel aller Delegierten auf diese Weise gewählt werden und auch diese wieder nach sehr verschiedenen Methoden. Trotzdem scheint die Einrichtung der „Parteiwahlen“ im Prinzip durchaus der Nachahmung wert. Sie bedeutet, wie man hier sagt, einen „Schuß hinter die Kulissen der Parteimaschinerie“. Wenn der Österreicher wieder einmal „Waffen“ tragen darf, könnte man sich unter Umständen auch dieses Primary-Revolvers erinnern …

In diesem Jahr halten beide Parteien ihre Conventions in Chikągo ab: die Demokraten beginnen die ihre am 21. Juli, die Republikaner Schon am 3. Juli. ..

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung