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Eskalation in Demokratie

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Eine gewisse Eskalation im Demokratisierungsprozeß der Kandidatenauslese findet gegenwärtig zwischen steirischer ÖVP und steirischen Sozialisten statt. Beide Parteien ver-antalten Vorwahlen, wobei die SPÖ die vier Wahlkreise als Basis heranzieht, während das Vorwahlmodell der ÖVP, seinen Vätern zufolge, „den Teilnehmern die reale Chance, Kandidaten zu beurteilen, die ihnen auch tatsächlich bekannt sind“, bieten will. Hier sind die kleineren politischen Einheiten der politischen Bezirke die Basis.

Alle Modalitäten dieser Vorwahl deuten darauf hin, daß die Demokratisierung der Kandidatenauslese ein nicht mehr umkehrbarer Prozeß ist und daß die Demokratisierung von hier aus auch in die demokratisch weniger entwickelten Parteistrukturen eindringen könnte.

Die Vorwahlen der ÖVP haben bereits Tradition — schon vor den letzten Landtagswablen (1969/70) fanden im grünen Bundesland Vorwahlen der ÖVP statt, die nicht nur Mitgliedern, sondern auch Nichtmit-gliedern der ÖVP (und damit sogar SPÖ-Mitgliedern) offenstanden. Schon damals nahmen 40.000 Steirer oder zehn Prozent aller Haushalte teil, indem sie die Computerkarten ausfüllten und rücksendeten.

Die ÖVP-Vorwahil des Jahres 1974 wird mehr Ähnlichkeit mit einer echten demokratischen Wahl haben, denn sie wird am 8. September in Vorwahllokalen stattfinden. Auch diesmal sind Mitglieder und Nichtmitglieder wahlberechtigt, wobei die Wahlen selbstverständlich geheim stattfinden, die Stimmen der Mitglieder und der Nichtmitglieder aber getrennt aufgeschlüsselt werden können, was itneressante Informationen über das Image der ÖVP-Kandidaten bei politischen Anhängern und Ferner-, wenn schon nicht Fernstehenden verspricht.

Ausgangspunkt sind die aus den Wahlvorschlägen der Hauptbezirksparteileitungen, und den Beschlüssen der außerordentlichen Hauptbezirksparteitage, hervorgegangenen Kandidatenlisten, die in den Vorwahllokalen aufliegen. Mitglieder und Nichtmitglieder wählen auf verschiedenfarbigen Stimmzetteln, da sich gerade die Meinung der Nichtmitglieder als wertvolles Korrektiv gegen die drohende Enge und Betriebsblindheit innerhalb der Parteiorganisation erweist

Die ÖVP praktizierte bei ihrer letzten Vorwahl (ebenso wie die SPÖ diesmal) nicht nur Wahlen innerhalb der politischen Bezirke, sondern auch Negativwahlen, bei denen niichtgewünschte Kandidaten gestrichen werden konnten. Bei den ÖVP-Vorwahlen 1974 wird es anders gehandhabt : Das Ankreuzen besonders geeigneter Kandidaten und das Anführen eventueller weiterer, auf der Liste nicht aufscheinender fähiger Personen verspricht ein „echteres“ Ergebnis. (Zweifellos fallen dem Streichsystem nicht nur Kandidaten, die dem Wähler ungeeignet erschei-

Steirischer Landeshauptmann Niederl: Überall an der Spitze nen, zum Opfer, sondern auch solche, die er einfach nicht kennt, und die er streicht, um „seinen“ Kandidaten besser zu plazieren.)

Auf allen Listen wird Landeshauptmann Niederl an der Spitze figurieren, während die übrigen Kandidaten in alphabetischer Reihe folgen. Das Ergebnis der Vorwahl ist kein unverbindlicher Vorschlag, sondern die steirische ÖVP hat sich verpflichtet, daß jeder Bezirk jenes Drittel der Kandidaten, die bei den Vorwahlen am besten abgeschnitten haben, unter den ersten 50 Prozent der Kandidaten einreiht, während das Parteipräsidium unter jene vier Kandidaten, deren Nominierung statutengemäß in die Alleinverantwortung des Parteipräsidiums fällt, zwei Kandidaten aus dem Kreise der von den Vorwählern neu genannten aufzunehmen und sie ebenfalls in der oberen Hälfte des Wahlvorschlages zu plazieren.

Damit betritt die steirische ÖVP zweifellos politisches Neuland, und zugleich wagt sie einen weiteren Schritt auf dem Wege einer Demokratisierung, die man kaum wird zurückdrehen können, da derlei vom Wähler kaum honoriert würde. Noch gibt es in Österreich keine Erfahrungen mit parallelen Vorwahlen unter Parteimitgliedern und Nicht-mitgliedern und mit bezirksweise organisierten Landtagsvorwahlen. Bald aber wird man sie haben.

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