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Alemannisches Trägheitsprinzip

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Aufregung im „Ländle“: Hatte die Vorwahl der ÖVP in Vorarlberg einen Minusrekord aufzuweisen, stieß das „Fußvolk“ der Partei die vom Landesparteivorstand vorgesehene Reihung der Vorarlberger Kandidaten neuerlich um. Am Endeffekt hat sich zwar nichts geändert, aber der Vorgang zeigt doch atmosphärische Spannungen deutlich an.

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Aufregung im „Ländle“: Hatte die Vorwahl der ÖVP in Vorarlberg einen Minusrekord aufzuweisen, stieß das „Fußvolk“ der Partei die vom Landesparteivorstand vorgesehene Reihung der Vorarlberger Kandidaten neuerlich um. Am Endeffekt hat sich zwar nichts geändert, aber der Vorgang zeigt doch atmosphärische Spannungen deutlich an.

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Während in anderen Bundesländern, vor allem in der Steiermark, die ÖVP-Vorwahlen eine rege Beteiligung brachten, war die Beteiligung in Vorarlberg an der Vorwahl für die Nationalratswahlen vom 5. Oktober außerordentlich gering. Es mag sein, daß steirische Erfindungen derzeit in Vorarlberg besonders niedrig im Kurs sind. Sicher ist aber, daß man in Vorarlbergs ÖVP-Mitgliedskreisen für eine Vorwahl nicht viel Verständnis aufbrachte und dieses Projekt mit niedrigster Vorwahl-Beteiligung abtat. Nur 12 Prozent der Wahlberechtigten nahmen an dieser Vorwahl teil, im ÖVP-treuesten politischen Bezirk Österreichs, dem politischen Bezirk Dornbirn, gar nur 2,7 Prozent. Bedenkt man, daß die ÖVP in Vorarlberg, auf Nationalratswahlen bezogen, doch erheblich über 50 Prozent aller Wählerstimmen auf sich vereinigt, ist das ein sehr wenig erbauliches Ergebnis.

In einigen Sprengein, so im Bregenzerwald, war die Teilnahme an dieser Vorwahl allerdings relativ sehr groß, im bevölkerungsreichsten Rheintal hingegen sehr gering.

Analysiert man dies, so ergibt sich insbesondere, daß man in Vorarlberg überhaupt keinen Grund dafür sieht, Vorwahlen zu veranstalten. Die nüchterne politische Betrachtungsweise des Alemannen spielt dabei eine Rolle. Der normale Landesbürger weiß, daß seine Vorwahlstimme keinerlei Ausschlag gibt, daß die Nominierung der Nationalratskandidaten vom Landesparteivorstand bestimmt wird und die Vorwahl keinerlei Einfluß haben kann. Warum hätte er sich also in ein Wahllokal begeben sollen, noch dazu mit äußerst abgekürzten Wahlzeiten (nur von 8 bis 11 Uhr), um dann in Wirklichkeit mit seiner Stimme nicht das geringste an höherenorts getroffenen oder zu treffenden Entscheidungen ändern zu können? Dazu kommt ferner, daß die von der Landtagsparteileitung aufgestellten Kandidaten ohnehin im großen und ganzen dem Wählerwillen entsprechen und da keine Reihungen und Streichungen, außer auf höchst indirektem Weg, möglich waren, auch gar kein echter Bedarf nach Vorwahlen bestand.

Selbstredend wurde von den 12 Prozent Stimmbürgern, die sich an diesen Vorwahlen beteiligten, die beati possidentes, nämlich die dem Nationalrat bereits angehörenden Abgeordneten Wolfgang Blenk und Ludwig Hagspiel, an erste Stelle gereiht. Das ist nicht anders zu erwarten gewesen, obzwar gegen Blenk sich noch immer manche Stimmen

erheben. Er gilt zwar im Nationalrat geradezu als ein „As“ der ÖVP, in Vorarlberg ist sein Ansehen angeschlagen, seitdem er mit sehr umstrittenen Methoden Landeshauptmann Keßler zu stürzen und sich als Landeshauptmann qualifizieren wollte. Seine Erfolge in Wien ließen ihm aber eine gewisse Verzeihung zuteil werden, zumal Keßler keineswegs so unkonziliant in Landeshauptmanns-Fragen ist wie die Kärntner SPÖ-Spitzenmandatare. Bei Ludwig Hagspiel, einem Bauern-bundvertreter, der im Parlament bisher nie aufgefallen ist, gab es von vornherein keine Debatten. Dafür ist er viel zu brav. In Bludenz wurde überraschend ein neuer Mann, der Schlunzer Bürgermeister Kalb, an die Spitze gestellt, was eher eine kleine Sensation war.

Die Frage konnte daher nur sein, wer auf den dritten ÖVP-National-ratssitz gekürt würde. Der bisherige Abgeordnete des ÖAAB, Herbert Stohs, hat aus Altersgründen sich nicht mehr zur Wiederwahl gestellt, sonst wäre er ebenfalls nach dem Trägheitsprinzip erneut vorgewählt worden. Die Landesparteileitung hat den Landesbeamten Gottfried Feur-stein, einen profilierten Vertreter der katholischen ÖVP-Richtung (der Wirtschaftsbund gilt eher als jesphi-nistisch-liberal) vorgeschlagen und damit einen guten Griff getan. Obwohl ihn die Wähler so gut wie nicht kennen, haben sich die erwähnten 12 Prozent davon doch für ihn ausgesprochen. Damit ist noch nicht gesagt, daß er auch an die sicher Stelle des ÖAAB-Kandidaten für die Herbstwahl nominiert werden wird. Doch würde es dem Wählerwillen arg widersprechen, wenn das nicht geschähe. Feurstein, ein radikaler Gegner des Wiener Zentralismus in allen seinen Erscheinungsformen und in dieser Beziehung von nahezu unbeugsamer Inkonzilianz, wie man sie hier nur für gut ansieht, ist eine Persönlichkeit von größter Vitalität und zugleich von lauterstem Charakter. Die Vorwähler haben sich mit sicherem Instinkt für ihn ausgesprochen.

Dennoch sollte nicht übersehen werden, daß die ÖVP-Vorwahlen in Vorarlberg ein Mißerfolg waren. Aus anderen Bundesländern kuriose Ideen hieher zu importieren, mögen sie woanders noch so attraktiv sein, kann nicht gutgehen, man wird wohl nie wieder für Nationalratswahlen in Vorarlberg ÖVP-Vorwahlen durchführen. Noch dazu, wenn man bedenkt, welch enorme Kosten diese Vorwahlen der ÖVP des Landes verursacht haben.

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