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Wilsons Dilemma

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In den letzten Wochen vor der Sommerpause des Parlamentes sind die Abgeordneten ein wenig aus ihrer Lethargie geweckt worden. Die Regierung Wilson erlitt im Unterhaus eine dreifache Niederlage, als über Zusatzartikel abgestimmt wurde, die der konservative Abgeordnete Peter Walker eingebracht hatte. In die bis zu diesem Zeitpunkt eher langweiligen Debatten um das Budget 1965/66 kam mit einemmal wieder Leben. Premierminister Wilson erklärte zwar sofort, er sehe in dem Abstimmungsergebnis keinen Grund, der ihn zum Rücktritt veranlassen könnte; es habe sich ja bloß um eine unbedeutende Angelegenheit und nicht um einen wichtigen politischen Punkt der Labourregierung gehandelt. Dieser Standpunkt ist sicherlich verfassungsmäßig vertretbar, wie einige britische Kronjuristen meinten. Innenpolitisch dürfte dieser Vorfall die

Handlungsfreiheit des Kabinetts doch beträchtlich einengen; überdies hat er das Prestige erschüttert.

Engländer sind nicht immer „kühl“

Die Opposition gab sich auch mit der lauen Erklärung Mr. Wilsons nicht zufrieden. Das Unterhaus wandelte sich vorübergehend zu einem Hexenkessel und strafte das Stereotyp Lügen, wonach die Engländer kühl und reserviert reagier-

ten. Die konservativen Abgeordneten trommelten nach den Berichten der Parlamentskorrespondenten auf den Sesseln und forderten schreiend die Regierang-■auf. zurückzutreten. Die' Regierungspartei blieb natürlich auch nicht stumm. Die alles andere als würdige Szene endete schließlich mit der Erklärung Wilsons, daß er schon sehr bald eine Vertrauensfrage stellen werde.

Worum war es gegangen? Mister Walker hatte in drei Zusatzanträgen eine Ausnahme von der Kapital-ertragssteuer für Investmentfonds verlangt. Die Regierung hatte dieses Verlangen zurückgewiesen und in der folgenden Abstimmung verloren.

Dieses Ereignis kennzeichnete nur den vorläufigen Höhepunkt einer Entwicklung, die schon vor Monaten begonnen hatte. Pfundkrise und die Uneinigkeit des zahlenmäßig schwachen aber einflußreichen rechten und linken Flügels der Partei über

die Verstaatlichungspolitik hatten das Vertrauen in die Sozialisten unterhöhlt. In den vergangenen Wochen dehnte sioh die Vertrauenskrise auch auf den Premierminister persönlich aus. Nicht geringen Einfluß auf die1 politische Meinung hatte der mangelnde Erfolg Minister Browns mit. seiner Einkommenpolitik. Wie vor ihm die konservativen Premierminister, versuchte auch Wilson, durch außenpolitische

Manöver von den Innenpolitischen Schwierigkeiten abzulenken. Die Commonwealth-Konferenz, die Ende Juni in London tagte, schien di richtige Gelegenheit zu sein.

Hintergründe der Friedensmission

Tatsächlich kündete schon nach wenigen Tagen die Presse in Schlagzeilen von einer Friedensmissdon des Commonwealth unter Führung Mr. Wilsons in Vietnam. Auch die schärfsten Gegner des Premierministers unterstellen ihm selbstverständlich nicht, daß dieser Vorschlag sich ausschließlich innenpolitisch erklären lasse. Man meint hier nur in London, daß man in dieser Angelegenheit den nötigen diplomatischen Takt außer acht ließ und hauptsächlich zum Fenster hinaus redete, kurz, man opferte die Sache zugunsten der Optik.

Jedenfalls erreichte Mr. Wilson mit der Friedensmission den wichtigen innenpolitischen Nebenzweck einer Konzentration der Aufmerksamkeit auf Vietnam. Nach Meinung einiger Kommentatoren verfolgte Harold Wilson mit diesem Schritt auch das Ziel, die innerparteiliche linke Opposition kaltzustellen. Diese ist über die Vietnampolitik der Regierung schon lange verstimmt und möchte den Premierminister zu einer Änderung bringen. Die extremlinken Kreise der Labour Party möchten nämlich einen totalen Rückzug Großbritanniens aus Ostasien und lehnen die amerikanische Intervention in Südvietnam ab. Daß an jener Auffassung der Publizisten gewiß etwas Wahres ist, geht aus dem Umstand hervor, daß der Premierminister als Abgesandten des Commonwealth nunmehr Mr. Davies schickte, einen Mann, der für seine linkssozialistische Ausrichtung bekannt ist.

Schweres Erbe

Objektive Beobachter bezeichnen die Lage als zu vielschichtig, als daß man sie mit wenigen Worten umreißen könnte. Sie weisen auf das Erbe hin, daß die Regierung Wilson übernahm. Es bestand nicht nur aus einem großen Zahlungsbilanzdefizit. Die Labourpartei erbte auch die verworrenen und sozialpsychologisch schwierigen Probleme der Einwan-derungspolitikimA des Verhaltens gegenüber Südrhodesien. Trotz mehrfacher Beteuerungen prominen-

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