6561100-1948_48_11.jpg
Digital In Arbeit

Abendstimmungen im Liberalismus Italiens

Werbung
Werbung
Werbung

Rom, 10. November 1948

Mit dem kürzlichen Untergang des römischen Organs der Liberalen Partei „Risorgimento Liberale” ist ein ragender Baum im italienischen Blätterwald, für viele überraschend, gefallen. Die Zeitung genoß besonders wegen ihrer wohlinformierten außenpolitischen und wirtschaftlichen Artikel Ansehen. Dennoch litt sie, die von einigen glänzenden Federn bedient war, an jener schleichenden Auszehrung, dem chronischen Übel der Liberalen Partei selbst, die bei den politischen Wahlen des 18. April trotz einem Wahlbündnisse mit dem Uomo Qualunque für die Kammer nur 3,8 v. H. und für den Senat 6,1 v. H. Stimmen aufbrachte. Selbst die klangvollsten Namen der alten liberalen Staatsmänner Orlando, Nitti und Benedetto Croce vermochten der Partei, die unter der Devise Cavours in die Wahlen eingetreten war, nicht die Dezimierung ihrer Reihen zu ersparen. Bedeutet das Einziehen der Fahne des „Risorgimento Liberale” den Eintritt in die Agonie des liberalen Gedankens und politischen Wollens in Italien? Wir glauben es nicht, wenn wir auch kaum annehmen, daß wesentliche Kraftströme von dem vor allem in der Schweiz lebendigen Weltliberalismus auf die Bewegung in Italien übergehen werden. Bei dem Kräfteverfall des politischen Liberalismus haben eigentlich nur die Sozialkommunisten frohlockt, während die stärkst Partei des Regierungsblocks, die Christlichen Demokraten, auch jetzt bei dem Verschwinden des Hauptsprachrohrs der Liberalen Zurückhaltung geübt hat. Es lebt die liberale politische Willensbildung ohne sonderliche Parteibindung noch publizistisch weiter im Mailänder „Corriere della Sera”, während in Rom allerdings die Zeitungen „Tempo” und „Messaggero” einen liberalistischen Einschlag haben, der beim „Tempo” häufig durch offenes Sympathisieren mit dem rechten Flüge! der Democracia Christiana verdeckt ist. Es haben sich eben allerlei Wandlungen und Anpassungen in der einst allmächtigen großen Staatspartei Italiens, deren halbhundertjährige Herrschaft durch den Faschismus gestürzt wurde, ergeben. Die seitherigen großen Veränderungen im Staate haben auch das geistige Gefüge des Liberalismus erschüttert. Tüchtige Köpfe unter den Liberalen haben seit dem Ende des zweiten Weltkrieges zwar keine offene Absage an die Ideen erteilt, denen sie als Politiker und Nationalökonomen” vor drei oder vier Jahrzehnten als Nachfahren Camillo Cavours und als jüngere Mitarbeiter Gio- littis gehuldigt hatten, aber es offenbarte sich allmählich da und dort bei ihnen eine Annäherung an christliches Gedankengut. Von keinem Geringeren als Benedetto Croce stammt das in diesem Munde eindrucksvoll schwerwiegende Wort „von jenem christlichen Empfinden, das unser immer wiederkehrendes Bedürfnis ist und das heute mehr denn je akut und aufwühlend zwischen Schmerz und Hoffnung ist”. Und bei der Vorbereitung der italienischen Konstitution vom 27. Dezember 1947 brachte der liberale Abgeordnete La P’ra eine Motion ein, die für die Präambel der Verfassung eine feierliche Berufung auf Gott vorschlug. Eine Mehrheit für dieselbe fand sich indessen in der Verfassunggebenden Versammlung nicht. Bei der Frage der Verweisung der Verfassung auf die Lateranverträge stimmte die Mehrheit der Liberalen dafür zusammen mit den Christlichen Demokraten. Nur der stets eigenwillige Croce verfocht damals staatsrechtliche Einwände. Der Nestor der liberalen Staatsmänner, der heute 88jährige vormalige Ministerpräsident Orlando, hat sich schon in mittleren Jahren vom weltanschaulichen Konzept des ursprünglichen Liberalismus losgesagt und sich zum christlichen Humanismus bekannt. Vor wenigen Jahren trat der geistesfrische Mann als gefeierter Redner in der päpstlichen Gregorianischen Universität auf. Sicherlich besteht der Liberalismus in Italien trotz seiner geschwächten publizistischen Vertretung in mancherlei Abschattierungen weiter fort. Aber seine einstige Bedeutung auf weltanschaulichem und politischem Felde ist in Verflüchtigung begriffen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung