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Die KPÖ sucht Weg und Ziel

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Seit einem Jahr wird im theoretischen Organ der KPÖ, „Weg und Ziel“, eine gar nicht sehr theoretische „Diskussion über Perspektiven“ geführt, die die Aufmerksamkeit aller an der Entwicklung des Kommunismus in Österreich irgendwie Interessierten verdient. An dieser Diskussion sind — das sei gleich gesagt — kaum irgendwelche theoretischen Erkenntnisse und Schlußfolgerungen bemerkenswert: es gibt derer keine. Solche anzustellen ist heute für jeden, der Kommunist zu bleiben wünscht, zu gefährlich; der durch die ganze Entwicklung im Kommunismus aufgelockerte programmatische Boden ist mit Ein-bruchstellen übersät; der Kommunist, der sich an ihn heranwagte, könnte plötzlich bemerken, daß er kein Kommunist mehr ist.

Einer der Diskussionsteilnehmer, Georg Vanc, gibt das mit desperater Offenheit zu, wenn er im Novem-berheft 1964 von „Weg und Ziel“ schreibt, daß „wir durch den Zusammenbruch unseres theoretischen Rückgrats das Vertrauen in die Gesellschaftswissenschaft (i. e. die kommunistische; J. T.) wie überhaupt zu bestimmten wissenschaftlichen Fragen (gemeint, zu deren kommunistischen Beantwortungen; J. T.) verloren haben“.

Die schmerzliche und rücksichtslose Offenheit solcher Äußerungen stellt etwas Neues, bisher in kommunistischen Diskussionen Unbekanntes dar. Wie und daß es zu solcher Offenheit kommen konnte, geht aus jenen Beiträgen hervor, in denen die innere und äußere Lage der KPÖ geschildert wird:

„Die Diskussion über die Perspektiven hätte im Zusammenhang mit einer kritischen Überprüfung der Politik der Partei vor sieben oder acht Jahren beginnen sollen. Damals hatten Tausende, die später resigniert haben, gehofft, daß dem 20. Parteitag der KPdSU e^n ebensolcher unserer Partei folgen werde.

Die Folgen des Ausbleibens dieser kritischen Auseinandersetzung,

welche die Grundlage für die Erneuerung der Partei hätte legen müssen, waren katastrophal; tausende Kommunisten haben den Glauben an eine künftige Bedeutung der Partei verloren, verfielen in Passivität oder sind, teilweise auch unter dem Druck der Gegner, aus der Partei ausgetreten.

Das Mißtrauen der Werktätigen gegen die politischen Absichten unserer Partei hat sich vertieft, und die Isolierung hat in beängstigendem Ausmaß zugenommen. Von den verschiedenen Ursachen, die unsere Isolierung in erheblichem Ausmaß mitverschuldet haben, möchte ich eine herausgreifen: die Stellung unserer Partei zur Demokratie.

Die demokratische Gesinnung unserer Partei ist in den Augen der Öffentlichkeit aufs schwerste belastet durch die Verletzung der Gesetzlichkeit und der Persönlichkeitsrechte in der SU und in anderen sozialistischen Ländern. Es ist einleuchtend, daß, wenn die sozialistische Gesetzlichkeit nicht einmal, sondern massenweise verletzt wurde, auch die demokratische Mitwirkung des Volkes zur Farce wird ...

Wir sind mit diesen tragischen Entartungserscheinungen der jüngsten Vergangenheit nicht ganz zu Unrecht belastet. Unsere Parteiführung hat sowohl die sogenannten Trotzkistenprozesse als auch die Verurteilung von Rajk, Clementis, Slansky und anderen kritiklos übernommen beziehungsweise als Siege im Kampf um die Festigung der .monolythischen Einheit' der Partei und Niederlagen des Weltimperialismus bezeichnet. ... zur unrühmlichen Absetzung Professor Have-manns haben wir geschwiegen. Durch unsere Kritiklosigkeit... haben wir uns mitschuldig gemacht.

Unsere innerparteiliche Struktur, die Handhabung des demokratischen Zentralismus in unserer Partei sind keine Garantie dafür, daß es in Österreich unter ähnlichen Verhältnissen nicht auch zu solchen tragischen Exzessen gekommen wäre ...“ (Ernst Mustal, ehemaliger Sekretär der KPÖ, 4. Bezirk, „W. u. Z.“, November 1964.)

„ ... Die Mitgldederzahl der Partei ist dezimiert, in den Gebieten treffen sich, mit Ausnahmen, wenige alte Genossen, die hauptsächlich organisatorische Fragen besprechen und kaum die brennenden politischen und Parteifragen. Sie haben nicht die Kraft, die vielfach entstandenen neuen Wohngebiete zu bearbeiten. Wir haben 40 Prozent der Wähler und unsere Nationalräte verloren, die Vertretung im Wiener Gemeinderat blieb mit knapper Not erhalten, weil wir nur so viele Stimmen verloren, als Mitglieder starben. Die Partei stagniert.“ (E. Mas-sarek, „W. u. Z.“, Jänner 1964.)

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