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Alte Lösung für neue Konflikte?

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Den sozialen Frieden in Österreich kann in Zukunft die Sozialpartnerschaft allein nicht gewährleisten.

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Den sozialen Frieden in Österreich kann in Zukunft die Sozialpartnerschaft allein nicht gewährleisten.

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Es gibt in der politischen Kultur Österreichs eine große Konstante: ein vielfältiges Sicherheitsbedürfnis, das mit einem besonderen individuellen Freiheitsbedürfnis kombiniert ist.

Die meisten der heute lebenden Österreicher haben Krieg und Krisen, Gewalt und Not, Arbeitslosigkeit und Unterdrückung kennengelernt. Ihre Lebenserfahrung und die Schlüsse, die sie daraus gezogen haben, werden durch die Sicherheit, die das derzeitige politische System liefert, bestätigt. Der Friede ist nicht nur ein privates, sondern auch ein politisches „Heiligtum“ der Österreicher.

Die heikle geopolitische Lage, seine Geschichte und die der an-

deren Nachfolgestaaten der Monarchie, die krisenhafte Weltlage machen den’sozialen Frieden zur raison d’etre Österreichs. Diese Daten und Fakten, oft mit einer tradierten Lager- und Obrigkeitsmentalität verbunden, führen als „innere Besatzungsmächte“ meist von selbst zur Ruhe der Menschen in diesem Land.

Ausdruck des Grundkonsens „Friede“ sind aber auch die vielen mehr oder weniger institutionalisierten Formen der möglichsten Konfliktvermeidung, der Konfliktregelung und der gewaltlosen Konfliktaustragung. Diese Formen sind meist auch Ausdruck der gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Es ist kein Zufall, daß die originellen österreichischen Institutionen wie Sozialpartnerschaft und die" Verfassungsgerichtsbarkeit der Konfliktaustragung dienen.

Die Sozialpartnerschaft als kooperatives Krisenmanagement und „sublimierter Klassenkampf“ ist ebenso eine Friedensinstitution wie die Verfassungsgerichtsbarkeit, durch die politische Machtkonflikte in Rechtskonflikte verwandelt werden und Politik durch Richterspruch entschieden wird. Allerdings entscheidet auf lange Sicht auch dabei die lange Mehrheit.

Die Verhaltensmuster des Aushandelns und Ausgleichs, die schon in der Monarchie zwischen den Nationen und Bürokratien praktiziert wurden, sind in der Zweiten Republik für die Austragung von Interessensgegensätzen schlechthin adaptiert worden. Sie rangieren praktisch und stati-

stisch gesehen vor der Mehrheitsentscheidung. Die informellen Formen der Konsensdemokratie (Konkordanzdemokratie, Sozialpartnerschaft) ergänzen die Mehrheitsdemokratie.

Obwohl die Verfassung der einfachen Mehrheit viele, wahrscheinlich allzuviele Machtprämien gibt, verlangt auch sie gewisse Formen der kooperativen Konfliktregelung und des Kompromisses (Verfassungsgesetzgebung, Schulgesetzgebung). Auch der Proporz ist in verschiedener Weise Verfassungsgebot (Proporzwahlrecht, Proporz in der Zusammensetzung von Regierun-

geft). Die lange Hegemonie einer Partei führt aber zu einer Bündelung der Gewalten und kaum zur Bindung und Bändigung der Macht, welche die Verfassung verheißt.

Zur Konfliktkanalisierung und -regulierung trägt die „institutio

nalisierte Gesellschaft“ bei. Die Bevölkerung ist in Tausende von Körperschaften öffentlichen Rechts gegliedert, von denen hier nur die Gebietskörperschaften und die Berufskörperschaften hervorgehoben werden sollen.

Österreich ist nicht nur eine der „perfekten“ Verbändegesellschaften, sondern auch eine der perfekten Parteiengesellschaften. Parteien- und Verbändestaat wä- ‘ re zu eng formuliert.

Dem Charakter einer „Staatsgesellschaft“ entsprechen nicht nur die vielen öffentlich-rechtlichen Korporationen, sondern auch die Symbiose, die der öffent-

liehe mit dem privaten Sektor in der Wirtschaft, auf dem Gebiet der Kultur und im Bereich der Information miteinander eingegangen sind. Da das Bildungswesen fast zur Gänze verstaatlicht ist, ist Maria Theresias Satz „Die Schule ist ein politisch Ding“ konsequent verwirklicht. Die zunehmende Verrechtlichung fast aller Betriebe hat Österreich auch zu einem perfekten „Rechts-Staat“ gemacht. Weniger Recht könnte indes mehr Rechtsstaat bedeuten.

In dieser durchorganisierten, ja geradezu blockierten und besetzten Gesellschaft ist scheinbar für „private“ politische Konfliktaustragung kein Raum. Bürger- und Basisinitiativen scheinen ebenso den Gegenbeweis zu erbringen wie manche Aktionen der direkten Demokratie. Wird trotzdem nicht viel Neues und Spontanes durch die Fülle der Institutionen so kanalisiert und domestiziert, daß Innovationen zu kurz kommen und manche Initiativen in die Illegalität gedrängt werden?

Es stellt sich die Frage, ob die zentralisierte Konfliktaustragung, die Konfliktregelung von oben, durch Bürokratie und Regierung, durch Präsidentenkompromiß oder gar durch Formulierung des Vorsitzenden nicht allzusehr auf politische und ökonomische Schönwetterlagen angepaßt war. Wird sie auch in der Schlechtwetterlage bis zur Basis funktionieren?

Die Kleinheit des Staates läßt zwar einen largen Umgang mit Konfliktpotential zu. Aber sollten wir nicht von der zentralen zur dezentralen Konfliktregelung übergehen?

Wir müssen beginnen, die Vorstellung einer Gesellschaft ohne Zentralen und Zentrum auszuhalten und die Selbständigkeit und Privatautonomie zum Angelpunkt der Politik zu machen.

Denn viele Konflikte haben sich verlagert. Sie spielen sich nicht auf der zentralen Ebene ab, sondern „vor Ort“. Sie spielen sich nicht im abstrakten ab, sondern im konkreten.

Die Fragen und die Schauplätze der Politik sind heute vielfach lokaler und regionaler Natur. Apperzeptionsverweigerung und Kommunikationsverweigerung gegenüber der Basis entziehen der zentralen Politik die Grundlage. Vielleicht weicht sie deshalb in zweite Wirklichkeiten aus und wird zum Motor neuer ideologischer Auseinandersetzungen, da die Grenzen des Sozialstaätes erreicht sind.

Der Autor ist Ordinarius für Rechtslehre an der Wiener Universität für Bodenkultur.

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