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Avantgarde des Konservativismus?

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Weniger als zwei Jahre nach ihrer Gründung ist heute ‘ die „Schüler- Union“ (SU) mit rund 25.000 Mitgliedern die größte politische Schülerorganisation der Bundesrepublik. Mindestalter für den Beitritt sind 12 Jahre; die meisten Mitglieder finden sich unter den 16- bis 18jäh- rigen an den Gymnasien und Oberrealschulen. Die Organisation ist nach Orts-, Kreis- und Landesverbänden gegliedert und auf Bundesebene besteht eine — der föderativen Kulturhoheit entsprechende — Vorschlags-, nicht aber beschlußfähige Koordination. Die Bindung an die CDU/CSU garantiert organisatorisch die auf allen Ebenen vorhandene direkte Verknüpfung mit der Jungen Union und personell die Tatsache, daß mindestens die Sprecher der Schüler-Union gleichzeitig auch Mitglieder der Jungen Union sein müssen. In ihrer Gesamtheit gilt die Schüler-Union auch offziell als Arbeitsgemeinschaft der Jungen Union, die sich ihrerseits als „größte Jugendorganisation der parteipolitischen Mitte“ versteht und als solche die Interessen der SU vertritt. Die Eigenständigkeit der Schüler-Union erstreckt sich auf die „Bestimmung und Artikulation ihrer Interessen und die Wahl ihrer Sprecher“. Erklärtes Ziel der Schülerorganisation „ist nicht die Politisierung der Institution Schule, sondern sachbezogene Interessenvertretung und Entwicklung des politischen Bewußtseins des einzelnen Schülers auf der Grundlage der Wertorientierung unserer Verfassung“. Ferner įst sie bestrebt, einen „Freiraum offener geistiger Auseinandersetzung und ein Erfahrungsgebiet für demokratische Praxis“ zu schaffen.

Erste Ansätze zur Gründung einer solchen Organisation gehen in das Jahr 1972 zurück, als sich insbesondere der Wirtschaftsbeirat der Union Sorgen darüber machte, wie die Jugend vermehrt an die Ziele der Marktwirtschaft herangeführt werden könnte. Diese Bestrebungen trafen sich mit — allerdings etwas anders motivierten — Überlegungen innerhalb der Jungen Union, bei denen vor allem der jetzige Bundesvorsitzende Wissmann eine führende Rolle spielte. Mitte 1973 entstanden die ersten Gruppen: im April 1974 wurden bereits 20.000 Mitglieder gezählt.

Als Gründe für diesen überraschenden Aufschwung werden allerdings mehr negative denn positive Faktoren genannt. Zu den ersteren gehören der Mißmut über die pauschale Systemdiffamierung von seiten der radikalen Linken, die Absage an Heilsideologien und an die Penetranz linker Pädagogen sowie — nicht zuletzt — der erhöhte Leistungsdruck durch den Numerus clausus. Aus dieser Haltung der Ablehnung entstand dann auch der Trend, sich stärker der konkreten, sachbezogenen Interessenvertretung zuzuwenden und sich — im Zeichen der Nostalgie — vorerst noch diffus an anderen Wertvorstellungen zu orientieren. Eine imveröffentlichte Befragung der Bundesregierung bestätigt, daß sich zur Zeit über 90 Prozent der Jugendlichen wieder nach traditionellen Werten, wie Sicherheit, Ordnung, Geborgenheit und Erfolg, ausrichten. Ein nicht zu unterschätzendes Element der Schüler- Union bildet ferner die oft völlig apolitisch getönte Geselligkeit. Dazu kommt — vor allem in Norddeutschland — ein gewisser Schwerpunkt der sozialen Dienste.

Für die regierenden Bonner Koalitionsparteien bedeutet die Schüler-Union, deren Aktivität sich auch bei den Wahlkämpfen und beim Wahlverhalten der Jungwähler niederschlägt, eine merkliche Herausforderung. Konkurrenzgründungen, wie der Sozialdemokratische Schülerbund, und Parallelorganisationen der FDP haben bisher noch keine großen Erfolge aufweisen können. Auch die „Rote Schülerfront“ der DKP und der „Kommunistische Oberschülerverband“ der KPD/ML, die noch früher initiativ geworden sind, treten jetzt eher auf der Stelle.

Die in all diesen Organisationen geforderte straffere Bindung an die Partei und deren ideologische Grundrichtung scheint nicht mehr richtig „anzukommen“. Freilich hat auch die CDU/CSU nicht gerade ungetrübte Freude mit ihrem rührigen Nachwuchs. So war beispielsweise der laute Beifall, den der Vertreter der Sozialausschüsse, Norbert Blüm, anläßlich des letzten Bundestreffens der SU in Recklinghausen erhielt, für manche Parteimitglieder ein schlechtes Zeichen und auch der emanzipatorische Verteilungsschlüssel für die schulische Mitbestimmung, der bei der gleichen Tagung gegen den Widerstand der Bayern und Berliner verabschiedet wurde, war wenig geeignet, unter den Konservativeren Sympathien zu wecken.

In Hessen sind sogar einige Gruppierungen so links „abgerutscht“, daß rechte Gegenorganisationen geschaffen werden mußten. Aber alles in allem scheint die Grundkonstante der Schüler-Union trotz der lokalen und regionalen Unterschiede doch auch weiterhin mit den Zielen der CDU/CSU übereinzustimmen. Durch Beratungsdienste, Nachhilfeunter richt, Wiederbelebung der Schülermitverwaltung und mit einem schon ziemlich konkret gewordenen Aktionsprogramm wollen sie als „Avantgarde des bürgerlich-konservativen Lagers an der Spitze des Fortschritts stehen“. Und zumindest ihre Ziele deuten mehr auf einen Trend als auf eine Mode, wenn sie eine „langfristige politische Klimaveränderung an der Schule“ anstreben.

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