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Der Fall Lieblein

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Im „Experiment Theater am Liech- tenwerd“ werden derzeit drei Einakter von Walter Lieblein aufgeführt. Dieser Wiener Autor, der 1973 im Alter von 83 Jahren starb, fühlte sich zeitlebens als Dramatiker nicht genug anerkannt. Eigenartig genug wurde mit seiner Situation die Situation des Dramas, wie sie sich vor edlem nach dem letzten Krieg entwickelte, grell beleuchtet.

Hatte Lieblein als Dramatiker tatsächlich Bedeutung? Im Burgtheater und im Volkstheater wurden von ihm vorzügliche und sehr wirksame Dramatisierungen von Romanen Dostojewskis gespielt. Aber daran maß er sich kein besonderes Verdienst bei, das sei „nicht Lieblein“, sondern Dostojewski, den er propagieren wolle, da er fand, daß ihn die jüngere Generation kaum kenne. Dagegen war er besonders stolz darauf, daß Max Reinhardt 1926 in einer Matinee sein Stück „Der Niemand“ aufgeführt hat. Insgesamt schrieb er 43 Bühnenwerke!

Was ihn kennzeichnet, ist seine schärfst gespannte Dramatik, er war Dramatiker im Ursinn des Wortes. Und dies in einer Zeit, da die Stücke immer undramatischer wurden. Er erstrebte noch das eher Notwendige, nicht das nur zu oft Beiläufige, das heute unsere Bühnen beherrscht. Diese Dramatik forcierte er, die Stücke endeten sehr oft letal. Fünf Einakter von ihm, die 1964 im Kleinen Theater der Josefstadt aufgeführt wurden, endeten mit Mord, mit Totschlag, einer mit Selbstmord nach vollbrachtem Gattenmord. Das Schicksal schlägt da zu. Aber so oft nacheinander an einem Abend?

Die Notwendigkeit, Schicksalstragödien zu schreiben, betonte er immer wieder mit Vehemenz. Schicksal gibt es aber kaum mehr in heutigen Stük- ken, und die Vorstellung, daß jeder Mensch dem Schicksalhaften untertan ist, wird in vermeintlicher Autonomie mitunter geradezu hohnvoll abgelehnt. Auch hierin lag Lieblein in der heutigen Theaterlandschaft schief. Ob aber das weitgehend spannungsarme,

fast undramatische Theater, das Schicksalhaftes nicht spürbar macht, auch das Theater der Zukunft sein wird, ist eine andere Frage. Ob dann eines Tages Liebleins Stücke eher spielbar sein werden, wird zu überprüfen sein.

Im „Experiment am Liechtenwerd“ gibt es als Uraufführung den Einakter „Pendelschlag des Bösen“. Ein Revolutionär nimmt einen Geheimagenten gefangen, will ihn aus Rache töten, wird aber von ihm getötet. Pendelschlag? Frühere Morde lösen wieder Mord aus. Herausgearbeitet wird die Angst des Mörders vor seinem beabsichtigten Mord. Eine spannungsreiche Szene, die nicht letal endet: „Neid“. Eine Gedemütigte begnügt sich mit einer letztlich harmlosen Kindesentführung. In „Abschied“ tötet die Geliebte ihren Liebhaber unmittelbar vor seiner Heirat mit einer anderen.

Gespielt werden die drei Einakter unter der geschickten Regie des jungen Günther Treptow vorzüglich. Vor allem fallt Friederike Nowak in zwei Rollen durch Nuancierung, Einfühlung und Temperament auf. Aber auch Heide Stahl, Klaus Ulrich und der Regisseur selbst in den weiteren Rollen zeichnen gut die Charaktere. Jana Za- lud entwarf für die kleine Bühne beachtliche Bühnenbüder.

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