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Und Torberg hatte recht

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Nun liegen sie also vor, diese Briefe, gegen deren Veröffentlichung 1977 Friedrich Torberg aus rechtlichen Gründen Einspruch erhob: „Der Briefwechsel mit Alfred Kubin 1903 bis 1952", Band VII einer auf zehn Bände geplanten Ausgabe allzu „Sämtlicher Werke" des beispiellos skurrilen Autors Fritz von Herzmanovsky-Orlando (1877— 1954).

Gleichzeitig erschien als Band I „Der Gaulschreck im Rosennetz", das einzige Werk des posthum so berühmt gewordenen Schriftstellers, das zu seinen Lebzeiten, 1928, gedruckt worden war. Rund ein Drittel jedes Bandes ist einem literarhistorischen Anhang als Anhängsel überlassen, wo sich akademische Leidenschaft an diesem extrem unakademischen Künstler austobt. Fakultative Leserfrage an die Fakultät: cui bono?

Kurzum: Der bei seinem Tod faktisch unbekannte und vor 25 Jahren jäh populär gewordene

Fritz von Herzmanovsky-Orlando ist eine bravouröse Erfindung seines Herausgebers Friedrich Torberg. Es war ein Fund, als er des Freundes szenischen und erzählenden Nachlaß fand, der zwar weder druck- noch bühnenreif, aber brauchbar war: Der ErzProfi Torberg veredelte den ErzDilettanten Herzmanovsky wie ein Gärtner, der Wildobst so lange kopuliert, bis es genießbar geworden ist. Der dank Torberg nicht Vergessene, sondern Verewigte, hatte Freunde unter Redakteuren und Theatergrößen (u. a. Raoul Aslan), aber sie druckten seine Werke nie, führten sie auch nicht auf und wußten, warum. Daß ihn die Leute nun mit Vergnügen lesen, die Bühnen spielen, die Zeitungen entzückt rezensieren und sogar Literarhistoriker literarhistorisch finden - all das ist allein

Friedrich Torberg zu danken.

Philologen sind undankbar und mögen es nicht, daß sie mit der Nase auf etwas gestoßen werden von einem, der nicht zur Zunft gehört. So ist es auch mit Karl Kraus, der die Kanzel 1912 aufklärte, daß Nestroy der größte deutschsprachige Bühnensatiriker war, nicht bloß ein Spaßmacher für die Vorstadt: Kraus habe Nestroy mißverständlich gedeutet, grollen neueste Kompendien. Der „Anhang" für „Sämtliche Werke" hängt nicht offen an mit Torberg, der sorgsam „Gesammelte Werke" expressis verbis „Herausgegeben und bearbeitet" hatte: Mit einer Art de mortuis nil nisi bene wird dem Entdecker ex cathedra, also von oben herab und mit Nachsicht der Taxen, „eine Bilanz von 800 Abweichungen" allein beim Roman vorgerechnet, in der Mehrzahl „heute unmotiviert und kaum verständlich" für den germanistisch dressierten Verstand.

War der Riesenerfolg des Tor-bergschen Herzmanovsky ein Mißverständnis ?

Wahre Schulmeisterei behauptet, man habe den Autor „schulmeistern" wollen, in die „Substanz" eingegriffen, wenn z. B. „gepinserlt" gedruckt wurde, wo „gepimpserlt" geschrieben stand.

Der Erstdruck einer Korrespondenz freilich enthält Briefe, die ihn nicht erreichen — nämlich den.Herzmanovsky-Orlando auf dem Niveau der „Gesammelten Werke" und sie wird zum fatalen Beleg, welch ein Plunder sich herausstellt, wenn Herzmanovsky „vollständig und ungekürzt" zu Buche steht. Nein, es sind nicht nur die „schwer erträglichen politischen Äußerungen FHOs" samt der vom „Kommentar" zugegebenen „floskelhaften Oberflächlichkeit". Alberne Witzeleien des gelernten Architekten und Malers verraten selbst bei Fachurteilen banalsten Biertischhumor: Er habe „Kokoschkafcas gesehen, daß man sich schämen könnte", schämt sich jedoch für solches „kaka" nicht und bedauert, daß es „dafür noch immer Käufer" gibt. „Dasselbe gilt vom schauerlich unbegabten Holzmeister. Angara soll unbeschreiblich scheußlich und trostlos öd sein." Und „Angara" (statt „Ankara") soll, bitte, Esprit bedeuten. Es ist fast so „trostlos öd" und humorarm wie der Ernst des Philologen-Beamtentums, dem höchstens eine Burleske von Herzmanovsky-Orlando gerecht werden könnte — in Torbergscher Fassung, versteht sich.

SÄMTLICHE WERKE, BD. I u. VII. Von Fritz von Herzmanovsky-Orlando. Residenz Verlag. Salzburg 1983. 244 u. 487 Seiten, öS 295,- u. 480,-.

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