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Kapriolen eines Tarockaniers

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Drei flotte kakanische Mägdelein stapfen mit Nashorn und Tiger im Gefolge zum Teich, wo den lieben Tierchen eine Großreinemachprozedur droht. Gemütlich wie ein Wiener Heurigengeher scharrt das Nashorn im Gras, geschreckt schaut der Tiger, als ob einem Quartalsäufer Milch verabreicht werden sollte… Kunststück! „österreichisch Mostindien” nennt der Zeichner Fritz von Herzmanovsky-Orlando dieses liebenswürdig-witzige Blatt, das mit über 300 anderen Zeichnungen, Aquarellen, Studien und Familiendokumenten im Historischen Museum der Stadt Wien gezeigt wird. Die größte Herzmanovsky-Schau, die es je gab. Ein Versuch, den liebenswertesten, deswegen aber noch lange nie seichten, bloß kabarettistischen Artisten des untergegangenen Vielvölkerstaats anläßlich seines 100. Geburtstags (30. April) ins rechte Licht zu rücken.

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Drei flotte kakanische Mägdelein stapfen mit Nashorn und Tiger im Gefolge zum Teich, wo den lieben Tierchen eine Großreinemachprozedur droht. Gemütlich wie ein Wiener Heurigengeher scharrt das Nashorn im Gras, geschreckt schaut der Tiger, als ob einem Quartalsäufer Milch verabreicht werden sollte… Kunststück! „österreichisch Mostindien” nennt der Zeichner Fritz von Herzmanovsky-Orlando dieses liebenswürdig-witzige Blatt, das mit über 300 anderen Zeichnungen, Aquarellen, Studien und Familiendokumenten im Historischen Museum der Stadt Wien gezeigt wird. Die größte Herzmanovsky-Schau, die es je gab. Ein Versuch, den liebenswertesten, deswegen aber noch lange nie seichten, bloß kabarettistischen Artisten des untergegangenen Vielvölkerstaats anläßlich seines 100. Geburtstags (30. April) ins rechte Licht zu rücken.

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Sprach Österreichs Psychograph Robert Musil vom alten Kaiserstaat als dem Kakanien, von der Versuchsstation für Weltuntergang, so hat der Altösterreicher Herzmanovsky in diesem zu Tode getroffenen Reich vor allem die heiter-skurrilen Vorkommnisse, die Seltsamkeiten und Absonderlichkeiten registriert. Absurditäten aus Tarockanien: ein Reich bockfüßiger Scaramuccios, rotwangig-lieblicher Weibsmonstren, riesigbenaster Ge- ruchsfetischisten und Hermaphroditen. Eine Szenerie ungemein witziger Schlüpfrigkeiten auch, die in Vieldeutigkeiten zu kultivieren Herzmanovsky nicht müde wurde. In duftig hingekritzelten und kolorierten Blättern wie auch in Worten. Fast fällt es einem schwer, ein Urteil zu fällen, ob wohl der Dichter Herzmanovsky mit seinem „Gaulschreck im Rosennetz”, mit „Zerbinettas Befreiung”, seinem „Maskenspiel der Genien” und seinem Schauspiel „Kaiser Joseph und die Bahnwärterstochter” origineller sei oder der einfallsreiche Illustrator und Schöpfer phantastischer Figuren und Landschaften.

Keine Frage, daß „FHO” - wie ihn seine Freunde liebevoll nannten - zeit seines Lebens ein Original wienerischer Provenienz war: 1877 wurde er im Bezirk Wieden geboren, als Sohn eines Sektionschefs im Ackerbauministerium, des Ritters von Herzmanovsky, und der Industriellentochter Aloisia von Orlando, in der Karlskirche getauft, die auch später noch durch seine Architekturstudien und Zeichnungen spuken sollte, dann Theresianist … Er führte ein Leben kultiviertesten traditionsreichen Großstadtstils, ließ sich vom Bühnenbilder- und Kostümzeichnen faszinieren, studierte dann an der Technischen Hochschule, 1903 wurde er Stadtbaumeister (das Zeugnis dazu unterschrieb ihm Heinrich von Ferstel, der Erbauer der großen Ringstraßenpaläste und der Votivkirche).

Von da ab hat er sich sogar als Techniker und Erfinder hervorgetan. Und als es um die stilgerechte Restaurierung von Burg Kreuzenstein und des Turms von Schloß Tirol ging, war er als Denkmalexperte der Richtige. Seine Freundschaft mit Alfred Kubin und mit berühmten Kunstsammlem schärfte auch sein Verständnis für Kunst und Kunstsammeln.

Gerade die Beschäftigung mjf den damals in Mode gekommenen mystischen Geisteswissenschaften, mit griechischer, byzantinischer, venezianischer und österreichischer Geschichte und mit Mythologie, mit Religionen, Geheimlehren und Todesmystik wurde für sein Schaffen entscheidend. Wie eine Sturzflut ergießen sich Eindrücke, Erkenntnisse, Spekulationen in seine eigenen Arbeiten, die gerade durch die Kombination und Umsetzung von soviel Detailwissen den Charakter des Absonderlichen annehmen.

1911 heiratete FHO Carmen, eine der schönsten Frauen Wiens, seine Muse. Kurz darauf zog er sich eine Nieren- und Blasenkrankheit zu, die ihn bis an sein Lebensende zu strenger Diät zwang, aber auch zur Übersiedlung aus dem „Herzen des alten Reichs” nach Meran, dem „wärmsten Ort des Kaiserreichs”. Er ist dort 1954 auf seinem Schloß Rametz 77jährig gestorben. Aber er gab dort auch seinen Beruf als Architekt und Ingenieur auf und widmete sich ausschließlich der Dichtung, dem Zeichnen, dem Sam meln. Beschäftigungen, die nur durch die Kriegswirren zwischen 1939 und 1945 gestört wurden.

Erst seit Ende der vierziger Jahre traten Herzmanovskys Werke ihren Siegeszug durch Mitteleuropa an. Ob gleich schon 1928 „alle Welt”, das heißt, die Kenner, von seinem „Gaulschreck im Rosennetz” sprach und die Galerie Würthle 1932 eine sensationelle Ausstellung seines’ zeichnerischen Werks vorstellte. Beides bedeutete durchschlagenden Erfolg, allerdings nur künstlerisch, nicht aber materiell. Denn seine verschwenderische Fülle von Einfällen, die er in alles schüttete, was er bearbeitete, bescherte Unverwechselbares, ebenjene „märchenhafte Paraphrase des (österreichischen) Kulturbildes, ein Bild dieser hochkulturvollen genialischen Menschen voll Ritterlichkeit und amüsanter, eleganter Angetepscht- heit”. Und da wollte Herzmanovsky noch einmal „eine Essenz aus dem verklungenen, verglühenden Österreich geben, das schon im Moment des Kriegsbeginns (1914) zerstampft und zertrampelt war. Heute erst wissen wir, die wir es noch erlebt haben”, schreibt er, „was wir leider unwieder- bringbar verloren haben”.

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