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Karneval in Österreich

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Ein Fąschiflgsfest im Akademietheater von ganz eigener Art. Nestroys „Häuptling Abend, w i n d". .zusammen mit Fritz H erz- rn a n o v s k y - O r 1 andos „parodistischem Spiel" „Kaiser Joseph und di ė Bahnwärters- t o c h t e r“: an eineni Abend. Nestroys Spätwerk, mit der Musik von OffenJjach, eignet sich aufs beste als Einführung in die skurrile, hintergründige Welt Herzmanovsky-Ortändos; der es, wie kein zweiter, versteht, die beiden Oesterreich zu vereinen: das „lichte“,, sannseitige, heiter-helle Oesterreich,- das so viele zu kennen glauben, Und sich deshalb- zu verkennen erlauben, und jenes andere Oesterreich! das ,in Maulpertsch, Grillparzer, Kubin, Kafka, Broch und’ dem Großteil der neueren österreichischen Dichtung und Kunst präsent wird: dunkel, düster, zwielichtig, nicht ungefährlich, das dämonische Wesen und Unwesen der Dinge ansagend. Bildnis des Hintergesichts der Schöpfung (wurzelnd im Barock, deutlich erkennbar auch bei Raimund). Nestroy, hier ganz als Einführung zu Herzmanovsky-Orlando verstanden, malt eine heiter- friedsame Südseeinselwelt von Naturkindern: Rousseau auf der Bühne. Dieses heitere Völkchen, geführt von den beiden Häuptlingen — wir nennen sie hier mit ihrem bürgerlichen Namen — Hermann Thimig und Hugo Gottschlich, ist ein Volk von Menschenfressern. Die beiden befreundeten Häuptlinge haben vor Jahren ihre Frauen aufgefressen und sind eben dabei, den Sohn des Besucherhäuptlings (Robert Lindner) zu verspeisen, der, ein Mischling zwischen Braun und Weiß, soeben als Friseur aus Europa heim kehrt. Nestroy versteht es in dieser Burleske, in der mehr als einmal bitterböser Ernst, als „Zuckerl“ (hier: als Gulasch und Eingemachtes aus Menschenfleisch) verpackt, aufscheint, etliche Lichter dem Zivilisationsrummel der Welthandel, Weltkrieg und, auf ihre Weise, Menschenraub treibenden „weißen" Mächte und Menschen und dem barbarischen Urwesen dieser Wilden aufzusetzen. Am stärksten kommt dies, prächtig dargestellt, in dem so sanften und abgeklärten Häuptling Abendwind von Hermann Thimig zum Ausdruck: In der Maske der Milde, ja der Schwäche, ja der Bonhomie: ein Abgrund van Tücke, Hinterhältigkeit, Grausamkeit — und Humor. Potentaten dieser Art gibt es heute noch auf dieser einen Erde: sie waren ehedem zumal in balkanischen Und anderen Randgebieten Europas als Herrscher zu Hause. Tiefenpsychologen werden, nicht zu Unrecht, sagen: Hier offenbart sich, auch ein abgründiger Haß gegen den „Vater“, gegen den „gütigen“, „milden“ Herrschervater in den patriarchalisch geführten Vaterländern Alteuropas. — Dą,n ?hejj!lrwjj plper,.. pch ą .„Votf l Herz-, manoj’shyröflpif ps. ' Zur Auffuhnujg uiid IRK., Gestaltung zwei Vorbemerkungen. Leopold Lindt- berg hat mit großer Mühe und Sorgfalt Regie geführt, fast’ zuviel Regie, so daß Zeit und Raum fehlen, um die hintergründigen Momente dieses Spiels genügend sichtbar und bemerkbar zu machen. Blitzartig jagen Scherze und skurrile Raketen einander; das prächtige Duett Josef Meinrad—Inge Kon- radi überspielt das ganze Spiel, wenn auch nicht die glänzenden Partner (Adrienne Gessner als ehrgeizig-geizige alternde Witwe und Braut, Alfred Neugebauer als Bahnhofvörstand, Hugo Gottschlich und die anderen).

So kömmt aber, durch die besten Absichten, Fritz Herzmanovsky-Orlando, für den sein Entdecker, Freund und Bearbeiter, Friedrich Torberg, zu Recht einen literarischen und kulturpolitischen F.eldzug in Mitteleuropa und Umgebung führt, zu kurz. Herzmanovsky ist, wenn man so starke Persönlichkeiten vergleichen darf, ein heiterer Kafka (wobei nicht vergessen werden soll, daß Kafka selbst seine düstersten Piecen lachend vorlas). Herzmanovsky wirkt in vielem heute noch moderner als Kafka, weil er nicht wie Kafka (in der Nachfolge Kierkegaards und der Tragiker des 19. Jahrhunderts) das Hauptaugenmerk dem vielbereisten unheimlichheimlichen Innenreich in der Brust des Ich zuwendet, sondern dem abgründigen Pandämonium der „Gesellschaft“, bestimmt durch die Zwischenwelt der Technik. So oft ist es ja nur billige Phrase und albernes Gerede, wenn da von der „Dämonie“ der Technik gesprochen wird. Herzmanovsky. mit dem breiten Atem epischer Geduld, zieht aus, die elbischen, verführerischen und unmenschlichen Ge- ßlde einer Welt zu erkunden, in der der Mensch sich verliert, weil er der Meisterung der Dingwelt, der industriell-technischen Großwelt innerlich nicht gewachsen ist. Die „Eisenbahn“ wird Herzmanovsky zum großartigen Sinnbild dieser Verirrung des Menschen durch sich selbst; der Zauberlehrling scheitert — bereits in seinen Anfängen. Es hat guten Sinn, den kühnen Pionier-Kaiser Joseph, Held der Legende, und in der Wirklichkeit begeistert und berauscht vom Fortschritt, und seine österreichische Um- und Nachwelt hier als Exempel in Bildern und Rollen vorzustellen, um die es gewittert von hintersinnigem Humor. Eisenbahn? Die Eisenbahn ist. wie wir es heute nur an Ueberbombern. Riesentunnels und manchen Großkombinaten der Industrie noch zu ersehen vermögen, ein von Dämonen, Elben, Poltergeistern und kleinen Teufeln umsponnenes Phänomen. Da verirrt sich ein Zug im Wald, wird von Schwammerln überwachsen aufgefunden (wie versenkte U-Boote in Meerestiefen); da umtanzen ihn dienstbare Geister höchst fragwürdiger Art: berufsmäßige Wahrsagerinnen, die seine Ankunft und

Abfahrtszeit Vorhersagen (sie sind Verkörperungen der antiken Parzen, Schicksalsgöttinnen, haben Tod und Leben der Reisenden, wenn nicht in der Hand, so doch mit im Spiel); da kratzen in den Tunnelwänden gräßliche Burschen den Salpeter von den Wänden, um Schießpulver zu erzeugen (wie oft haben die munteren Züge das „Menschenmateria!“ an die Fronten der Kriege gebracht). Alle, die mit der „Eisenbahn“ zu tun haben, sind versuchte und überforderte Menschen. Herzmanovsky aber ist ein Genie der Güte, der Tröstung gerade durch das Unheimliche und Versucherische. Seine Eisenbahner entziehen sich deshalb dieser Versuchung nicht etwa dadurch, daß sie in „Wuzelwang an der Wuzel“, auf dieser Semmeringstrecke, „ihre“ Brücken in die Luft sprengen, sie treiben anderen Schabernack, indem sie sich „einfach“ als perchtenartige Burschen verkleiden und wildern gehen. Der Fürst dieses neuen Reiches ist ein Lichtfürst, eine Heilsgestalt: Kaiser Joseph. (Das Kapitel: altösterreichischer Heilsglaube bei Herzmanovsky, eingekleidet in humorig-skurrile Masken, bedürfte einer eigenen Untersuchung.) Diese Licht- und Erlösergestalt, um die das tausendjährige himmelblaue Kaiserwetter leuchtet, das noch Kaiser Franz Josephs Geburtstag überstrahlte, wird durch Josef Meinrad glaubwürdig verkörpert. Sie triumphiert über die Finsternis. Lachen, unbändiges Lachen löst den Gespensterreigen auf, wie Sonne den Nebel.

Lindtberg legt alles Gewicht auf die schnelle Lösung, auf das Ueberspielen des Epischen, des breiten Stroms sinnig-sinnlicher, transparenter Bilder Herzmanovskys, dessen großartige Weltvision hier also durch Bilder und Bildchen ersetzt wird. So paßte es sich wohl für eine Faschingsveranstaltung. Vielleicht gelingt es Torberg eines Tages, auch den „anderen" Herzmanovsky auf die Bühne zu bringen; ein freilich sehr schwieriges Unterfangen.

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